Die Wirren um die Wien Energie: Eine Analyse in acht Punkten
Die Causa Wien Energie lähmt seit Wochen die Stadtpolitik – und sorgt zwischen und innerhalb der Parteien für Unruhe. Unverändert unbeantwortet bleibt eine der zentralen Fragen: Wurde die Wien Energie, die vor wenigen Wochen so in finanzielle Schieflage geriet, dass sie den Bund um Hilfe bitten musste, ein Opfer der unruhigen Märkte? Oder haben die Verantwortlichen beim Risikomanagement gepatzt? Anfang Oktober dürfte es dazu neue Erkenntnisse geben.
Der KURIER gibt einen Überblick über die aktuellen Entwicklungen.
Gibt es bereits neue Erkenntnisse zum umstrittenen Risikomanagement bei der Wien Energie?
Nein, eher im Gegenteil. Um jene Gutachten, die die Stadt bei drei Unternehmen – PwC, Ithuba und Freshfields – beauftragt hat, herrscht immer mehr Verwirrung. Die Stadt rückte zuerst zu einer Pressekonferenz mit den Prüfern aus, um der Wien Energie „branchenübliches“ Risikomanagement zu bescheinigen. Wenig später tauchten im Nachrichtenmagazin profil Passagen aus einem Prüfbericht auf, die belegen sollen, dass die Stadt bereits ab dem Herbst 2021 über eine mögliche finanzielle Schieflage des Unternehmens informiert war.
Die ÖVP Wien wiederum ortet irreführende Methoden der Wiener SPÖ: Diese habe absichtlich den Eindruck erweckt, dass es sich bei den Gutachten um die Ergebnisse einer Wirtschaftsprüfung gehandelt habe. Das war aber nicht der Fall. Dass hier vor allem der rote und der pinke Rathausklub unpräzise kommuniziert haben, gestand man später auch im Büro des zuständigen Finanzstadtrats Peter Hanke (SPÖ) ein.
Das Kernproblem jedenfalls bleibt: Die Prüfberichte der drei Unternehmen sind nicht öffentlich. Die Wiener SPÖ hält sie unter Verschluss. Dass ÖVP-Chef Karl Mahrer sich zuletzt in einem dramatisch inszenierten Videoappell direkt an Stadtchef Michael Ludwig (SPÖ) wandte und die Herausgabe der Ergebnisse forderte, änderte daran nichts. Ob man die Gutachten überhaupt veröffentlichen darf, sei unklar, heißt es aus der Stadt. Juristen der Wien Energie würden dies derzeit prüfen.
Wann könnte es neue Erkenntnisse geben
Klarheit könnte der Oktober bringen, wie immer wieder zu hören ist: Die Stadt hat die Gutachten nämlich offenbar an den Bund übersandt – und in dem Darlehensvertrag, den man rund um die Zwei-Milliarden-Euro-Kreditlinie mit dem Bund geschlossen hat, zudem einige weitere Zugeständnisse gemacht. So hat man alle Handelsgeschäfte der Wien Energie seit dem Jahr 2020 offengelegt. Und der Bund entsandte als Kreditgeber ein Mitglied in das Aufsichtsgremium der Wien Energie: Die Wahl fiel auf den Energieexperten Joachim Rumstadt aus Deutschland.
Wie politische Beobachter vermuten, dürfte der Bund im Oktober die Unterlagen der Wien Energie gesichtet haben – und sich dann wohl offiziell oder inoffiziell zu Wort melden.
Welche Schritte zur Aufklärung wurden abseits dessen sonst noch gesetzt?
Jedenfalls offizielle Ergebnisse sind von zwei Rechnungshofprüfungen zu erwarten: Sowohl der Bundes- als auch der Stadtrechnungshof wollen sich der Causa annehmen, was vor einigen Wochen zu einem eher skurrilen Wettlauf führte: An sich gibt es die Vereinbarung, dass der Bundes- und die Landesrechnungshöfe nie gleichzeitig prüfen. In der (partei-)politisch hochbrisanten Causa wollte aber keine der beiden Seiten zurückstecken. Der Stadtrechnungshof hat seine Prüfung, die Bürgermeister Ludwig eilig beantragte, bereits begonnen. Wann die beiden Institutionen ihre Berichte veröffentlichen, ist unklar.
Und wie steht es um die Untersuchungskommission, die in Wien eingerichtet werden soll?
Eher schlecht. An sich wollten FPÖ und ÖVP gemeinsam die U-Kommission im Gemeinderat beantragen. Dann aber kam es ÖVP-intern zu einem Streit über die Parteilinie. Die FPÖ nutzte das, um die Pakttreue der Türkisen infrage zu stellen – und der ÖVP eine übermäßige Nähe zur SPÖ zu attestieren.
Nicht ganz zu unrecht: Tatsächlich gibt es Kreise in der ÖVP – rund um Wirtschaftskammer-Wien-Präsident Walter Ruck –, die den konfrontativen Kurs gegenüber der Wiener SPÖ nicht gutheißen.
Der interne Richtungsstreit eskalierte bei einer Sitzung des Finanzausschusses, bei der Wirtschaftsbund-Mitglieder unter den ÖVP-Abgeordneten eilig den Raum verließen, um nicht gegen die umstrittene Anwendung der Notkompetenz durch den Bürgermeister stimmen zu müssen. (Was eigentlich Parteilinie ist.) In einer Sitzung des ÖVP-Parteivorstandes kam es dann zum offenen Konflikt zwischen Parteichef Karl Mahrer und Ruck. Seither hängt der Haussegen schief.
Die FPÖ fordert nun eine Garantieerklärung, dass alle in der ÖVP die „schonungslose“ Aufklärung der Causa Wien Energie mittragen. Erst dann wolle man gemeinsam die U-Kommission beantragen. In der ÖVP überlegt man nun, der FPÖ den Rücken zu kehren und die U-Kommission mit den Grünen zu paktieren. Dort hat man – wie berichtet – derzeit aber andere Probleme: In immer mehr grünen Bezirksparteien rumort es, weil man den kantigen Oppositionskurs der neuen Parteiführung nicht mittragen will.
Wann soll die U-Kommission starten?
Eigentlich noch dieses Jahr, voraussichtlich im November. Aber: Die SPÖ stellt mittlerweile infrage, ob eine U-Kommission, die sich mit einem sogenannten ausgegliederten Unternehmen wie der Wien Energie befassen soll, rechtlich überhaupt möglich ist.
In der jüngsten Präsidialsitzung des Wiener Landtages kam es rund um diese Frage zur Auseinandersetzung zwischen dem roten Landtagspräsidenten Ernst Woller und dem blauen Klubobmann Maximilian Krauss. Woller hat angekündigt, zu der Rechtsfrage ein Gutachten einzuholen. Die Opposition ist grob verärgert. Nicht zuletzt, weil SPÖ und Neos erst vor Kurzem angekündigt haben, die Kontrollrechte auszuweiten.
Wen die SPÖ mit dem Gutachten beauftragen will, das ist unklar. Üblicherweise stützt man sich auf die Expertise der Juristen in der Magistratsdirektion, die bei der Opposition aber schlecht angeschrieben sind. Der Leiter der MD Recht, Karl Pauer, wollte in einem KURIER-Gespräch zuletzt keine Einschätzung zu der Frage abgeben: Man sei nicht mit der Bitte um Prüfung an ihn herangetreten.
Wie positionieren sich die Neos als kleiner Koalitionspartner in der heiklen Causa?
Kaum. Rund um die Neos-Führungsspitze ist es ruhig geworden. Direkt, nachdem die Causa Wien Energie aufkam, verwickelte sich Vizebürgermeister Christoph Wiederkehr angesichts der Frage, ob er über jene 1,4 Milliarden Euro, die Ludwig der Wien Energie im Sommer eigenmächtig zugeschossen hatte, informiert war, in peinliche Widersprüche. Wiederkehr gibt seither keine Interviews zum Thema. Nur, als er unlängst von der Presse am Rande eines Medientermins zu anderen Themen abgefangen worden war, forderte er von der SPÖ „Zugeständnisse“. Klubobfrau Bettina Emmerling hält sich ebenso bedeckt.
Für die Neos ist die Sache heikel: Sie sind 2020 vor allem mit dem Versprechen in die Stadtregierung eingezogen, für mehr Transparenz zu sorgen. Ob das Transparenzpaket, das man mit dem SPÖ-Klub nun geschnürt hat, Verbesserungen bringt, wird sich erst zeigen.
Dass Ludwig seine Notkompetenz nutzte, sorgt für Debatten. Was kann sich in dieser Frage noch tun?
Die Hausjuristen des Bürgermeisters meinen, dass die Anwendung der Notkompetenz, mit der er der Wien Energie heimlich zu einer Kreditlinie von 1,4 Milliarden Euro verhalf, rechtlich gedeckt sei. Die Opposition hält dagegen. Endgültig klären könnte die Frage die Staatsanwaltschaft, falls sie gegen den SPÖ-Chef wegen Amtsmissbrauch ermitteln würde. Derzeit gibt es dafür keine Anzeichen.
Wie steht es um die zwei Milliarden Euro, die die Stadt vom Bund erbeten hat?
Die Wien Energie hat die genehmigten Kredite mit Stand Sonntag noch nicht abgerufen, heißt es aus dem Büro von Stadtrat Hanke. Bis April 2023 hätte sie dazu noch die Möglichkeit.
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