Im Wiener Centralbad, der heutigen Kaiserbründl Herrensauna, wurde er nach allzu deutlichen Annäherungsversuchen öffentlich von einem Offizier geohrfeigt. Ein Skandal! Die Verbannung nach Salzburg war die Folge. Hier starb er 1919, weiterhin von reichlich Tratsch begleitet. Auf seinem Grabstein: Kein Name, dafür ein Gedicht an den Kaiser.
"Wider die Natur"
Das Schicksal meinte es vergleichsweise gut mit ihm – denn Homosexualität war damals als „Unzucht wider die Natur“ verboten und wurde mit schwerem Kerker bestraft. Ein Paragraf, erklärt Brandstätter, der von den Nationalsozialisten übernommen wurde, und aufgrund seiner geschlechtsneutralen Formulierung auch die Verfolgung lesbischer Frauen ermöglichte.
Für die Gruppe geht es nun weiter stadteinwärts, zum Haus in der Annagasse 8. „Hier wohnte eine ganz besondere Frau“, sagt Gerd: Burgschauspielerin Dorothea Neff. Oder wie sie ehrfürchtig genannt wurde: Die Neff. Eine der wenigen Österreicherinnen und Österreicher, die in der Holocaust-Gedenkstätte Yad Vashem als „Gerechte unter den Völkern“ geehrt wurde. Denn im Hinterzimmer ihrer Wohnung versteckte sie über vier Kriegsjahre ihre jüdische Lebensgefährtin, die Modeschöpferin Lilli Wolff. Für beide ein lebensgefährliches Unterfangen.
Obwohl Neff letztendlich für ihre Courage geehrt wurde, blieb der Aspekt der Liebesbeziehung durchwegs schamhaft ausgeklammert. „In allen seit dem Krieg erschienenen Publikationen wurde die Beziehung der beiden Frauen bestenfalls verklausuliert oder gleich totgeschwiegen“, sagt Gerd. „Wie traurig, dass man das nicht benennen darf.“ Vor dem Musikverein, von dem eine große Regenbogenfahne weht, macht die Gruppe wieder Halt.
Nackt im Konzertsaal
Hier erzählt der Guide von einem denkwürdigen Zwischenfall, der sich am 1. Jänner 1982 ereignete: Lorin Maazel dirigierte gerade das Neujahrskonzert, da stürmte Florian Sommer, Aktivist der Homosexuellen Initiative (HOSI), mit einem Freund auf die Bühne – bekleidet nur mit Trillerpfeife und Transparent: „Menschenrechte für Schwule“. Leider wurden nur die Zuschauer im Musikvereinssaal Zeugen der Aktion. Für das TV-Publikum wurde in genau diesem Moment die traditionelle Balletteinlage eingespielt. „Coole Aktion, falscher Moment“, fasst es Gerd zusammen.
Im Resselpark angekommen, bleibt die Gruppe mit Blick auf die imposante Karlskirche stehen. Diese verdankt ihren Namen Kaiser Karl VI. Während dessen Herrschaft ging man bei den der sogenannten „Sodomitischen Sünd“ Überführten auf Nummer sicher: Sie wurden geköpft und dann noch am Scheiterhaufen verbrannt.
Dabei war der Kaiser wohl selbst bisexuell, sagt Gerd. Das lässt ein Blick in die Tagebuchaufzeichnungen des Kaisers vermuten. Während sich dessen Schreibstil in den rund 30 Jahre umspannenden Aufzeichnungen als knackig beschreiben lässt – Notiz beim ersten Treffen mit seiner Braut: „Königin sehr schön“ –, breitete er den Schmerz über den Tod seines Oberstallmeisters Graf Althan auf zwölf langen Seiten aus: Sein „einziges Herz“, sein „alles“, sein „liebster Michael Johann Althann“ sei von ihm gegangen.
Gegen das Vergessen
Karls Tochter, Kaiserin Maria Theresia, ließ die Todesstrafe für „Sodomiten“ übrigens abmildern: In ihrer Regentschaft wurden diese dann nur noch enthauptet.
Ein Totalverbot für Homosexualität galt bis 1971. Dass in Sachen Gleichstellung in den vergangenen Jahrzehnten so viele Fortschritte erzielt wurden, ist hauptsächlich dem Engagement von Menschen aus der queeren Community zu verdanken. „Alles musste eingeklagt werden“, sagt Brandstätter über die seither erzielten Erfolge.
Vor dem erst knapp zwei Wochen alten Denkmal zur Erinnerung an homosexuelle NS-Opfer, einem Regenbogen in Grauschattierungen, endet die Führung. Allein aus Wien wurden mehr als hundert Männer in Konzentrationslager deportiert, weniger als ein Drittel überlebte. Nach der Befreiung Österreichs wurde niemand von ihnen als Opfer des Nationalsozialismus anerkannt. Auch diesen vielen namenlosen Menschen, die aufgrund ihrer sexuellen Orientierung brutal ermordet wurden, soll die Führung eine Stimme geben.
„Lasst den Regenbogen auf euch wirken“, sagt Gerd zur Gruppe. Er habe zwar seine Farben verloren, weise aber dennoch den Weg von der einen Seite zur anderen.
Kommentare