Der Streik, der keinem weh tat

Der Streik, der keinem weh tat
Scharfe Kampfreden, aber keine Engpässe bei der Patientenversorgung.

Solch deftige Vorträge waren wohl schon lange nicht mehr im altehrwürdigen Billroth-Haus im 9. Bezirk zu hören. Zum Auftakt des gestrigen Ärztestreiks heizen Kammerfunktionäre den versammelten Kollegen noch einmal ordentlich ein. Gegen die "Ausrottung des Hausarztes" wettert da etwa der Kärntner Gert Wiegele, Vize-Obmann der niedergelassenen Ärzte, angesichts der von der Bundesregierung geplanten Gesundheitsreform. Sie sollte am Nachmittag den Nationalrat passieren.

Seit Wochen laufen die Ärzte gegen die Reform Sturm. Sie befürchten vor allem, dass das bewährte Hausarzt-Modell den profitorientierten Primärversorgungszentren geopfert werden soll. Damit sei die wohnortnahe Versorgung und die freie Arztwahl in Gefahr.

Als erste Protestmaßnahme sperrte ein großer Teil der Allgemeinmediziner in Wien, dem Burgenland und in Kärnten am Mittwoch ihre Praxen zu. In Kärnten beteiligten sich auch Fachärzte am Streik. "Ohne die Ärzte einzubinden, will die Politik ein bewährtes System ändern", sagt Ursula Koch-Turner, Hausärztin in Hietzing. Wie rund 600 Wiener Kollegen hat sie ihre Ordination dichtgemacht. Gemeinsam mit knapp 150 anderen Ärzten marschiert sie jetzt in Richtung Innenstadt, um ihrem Ärger Luft zu machen.

Wenige Gehminuten entfernt, im AKH, ist vom Ärzte-Aufruhr nichts zu spüren. Trotz Streiks werden die Ambulanzen nicht von den Patienten gestürmt. "Gestern war mehr los", sagt eine Sprecherin. Auch in den Gemeindespitälern herrschte laut einem KAV-Sprecher "Normalbetrieb".

Etwas mehr zu tun hatte der für den Streiktag eingerichtete Ärztefunkdienst, der mit 18 Autos und zwei Telefon-Ärzten im Einsatz war. Bis zum späten Nachmittag verzeichnete man 410 Anrufe und 170 Visiten. Das entspreche einem durchschnittlichen Wochenenddienst.

Als Reaktion auf den Streik hatten auch die Gesundheitszentren der WGKK ihre Öffnungszeiten ausgeweitet. Das wäre nicht notwendig gewesen, wie ein Lokalaugenschein Mittwochfrüh im Gesundheitszentrum Mariahilf zeigt. Die Wartebereiche sind halbleer, "es kommen nicht mehr Patienten als an anderen Tagen. Es gibt aber viele Anrufe von Menschen, die sich krankschreiben lassen wollen", schildert der Ärztliche Leiter Johann Hitzelhammer.

Wirbel um Empfehlung

Ein "unnötiges Theater" einer Funktionärskaste, die offenbar den Kontakt zu den Patienten verloren habe, ist der Ärztestreik für Patientenanwalt Gerald Bachinger.

Für Aufregung sorgt die schriftliche Empfehlung der Wiener Ärztekammer an ihre Mitglieder, sich am Streiktag nicht am E-Card-System anzumelden – auch dann nicht, wenn sie Patienten an diesem Tag behandeln.

Hintergrund ist, dass die Sozialversicherung über das Stecken der E-Card überprüfen kann, welche Ärzte am Streik teilgenommen haben. Für den Hauptverband ist die Empfehlung "eindeutig rechtswidrig" und eine Aufforderung zum Vertragsbruch. Über etwaige Konsequenzen hat die WGKK zu entscheiden. Dort prüft man die Causa noch.

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