Es geht tief hinab in dem Café in der Wiener Kramergasse. Tiefer als so manches Haus im ersten Wiener Gemeindebezirk hoch ist. Im vierten Kellergeschoss häufen sich Steinblöcke im Ziegelgemäuer, die so gar nicht dazu passen wollen.
Rolf M. Urrisk-Obertyński klärt auf: „Wir stehen de facto auf römischem Boden“, sagt der Professor und ehemalige Brigadier des Österreichischen Bundesheeres. „Die Steine stammen aus der von den Römern errichteten Porta principalis dextra, dem Osttor des Militärlagers Vindobona, und wurden zum Bau dieser Kellergewölbe verwendet, um Ziegel zu sparen.“
Dreimal große Liebe
Mit dem römischen Lager beginnt auch die Geschichte Wiens – und damit auch die mehr als 2.000 Jahre alte Militärhistorie der Stadt. Wenige haben sie so intensiv studiert wie Urrisk-Obertyński, der sich dennoch nicht als Historiker bezeichnen will. „Ich sehe mich mehr als Chronist“, sagt er zum KURIER. Nach seiner militärischen Laufbahn wollte er eigentlich „nur“ einen militärhistorischen Führer erstellen. „Allerdings lässt sich diese Geschichte nicht in einem Heft unterbringen“, lacht er.
Und so verband er seine drei Leidenschaften: „Meine Liebe zu meiner Frau (er forscht mit ihr gemeinsam, Anm.), meinem Beruf, meiner Stadt Wien“, sagt er. Mittlerweile hat Urrisk-Obertyński zahlreiche militärhistorische Bücher verfasst, heute, Dienstag, erscheint sein insgesamt achtes Buch zur Militärgeschichte Wiens.
Josephinische Säule
Noch bevor es aus dem Keller hinausgeht, offenbart sich ein weiteres Zeugnis aus alter Zeit: Im ersten Geschoß stützt eine sogenannte Josephinische Säule das Gewölbe, die wie die römischen Steinquader nicht dazu passen will: „Als 200 Adelige und Innungsmeister 1711 die mehr als 22 Tonnen schwere Pummerin zum Stephansdom ziehen sollten, ordnete Kaiser Joseph I. an, die Kellergewölbe zu stützen, damit sie unter diesem Gewicht nicht zusammenbrechen – eine weise Entscheidung“, erklärt Professor Urrisk-Obertyński.
Geschärfter Blick
Hunderte Denkmäler, Gebäude, Gräber, Tafeln mit militärischem Bezug hat er allein im ersten Wiener Gemeindebezirk entdeckt, katalogisiert, recherchiert.
„Geht man aufmerksam durch die Straßen und blickt man ein paar Meter höher, tut sich eine Vielzahl an Geschichten und Geschichte auf“, sagt er – und deutet als Beispiel auf die frische Fassade eines Hauses in der Rotgasse: „Hier war das Mosaik der Porta principalis dextra angebracht – es wurde bei der Renovierung entfernt“, sagt Urrisk-Obertyński mit verfinsterter Miene.
Weißer Flakturm
Dass immer wieder Spuren der Geschichte aus – wie er sagt – Dummheit, Bosheit oder Ignoranz vernichtet werden, sorgt bei dem Brigadier in Ruhe für Unverständnis. Ein Grund mehr für ihn, auf die reiche Geschichte der Stadt aufmerksam zu machen. „Wenige wissen etwa, dass Adolf Hitler den Flakturm in der Stift-Kaserne zu einem ‚Denkmal für den Triumph der Deutschen Wehrmacht‘ machen wollte. Der dazu angedachte weiße Marmor lag bereits in Frankreich bereit“, sagt er.
Selbst die Straßennummern – und Schilder haben – wie so vieles – einen militärischen Hintergrund: „Mitte des 18. Jahrhunderts war die Stellung der Habsburger nicht zuletzt wegen der Erbfolgekriege geschwächt – man brauchte Soldaten“, erklärt Urrisk-Obertyński. „Und so hat man 1770 ein neues Rekrutierungssystem eingeführt – jede Gemeinde musste nach einer Volkszählung eine entsprechende Anzahl an Rekruten stellen.“
Um dem Ganzen ein System zu geben, wurden Haus- beziehungsweise Konskriptionsnummern eingeführt und in Wien angebracht und die Wehrpflichtigen wurden ausgehoben. „So war es dann auch einfacher, Steuern einzutreiben“, sagt Urrisk-Obertyński.
Mit allen Mitteln
Im Zuge seiner Recherchen kennt sein Forschergeist keine Grenzen. Nur mit List und Hartnäckigkeit gelang es ihm, sich Zutritt zum Dach eines Geschäftshauses zu verschaffen, um den vis-à-vis befindlichen Husaren am Graben von Angesicht zu Angesicht fotografieren zu können. Ans Aufhören denkt der Mann nicht – im Gegenteil.
Seine Augen leuchten, wenn er von den Büchern erzählt, die er noch schreiben möchte, von den Abenteuern, die er im Zuge seiner Recherchen erlebt. Als nächstes soll ein Sonderband zu den Flughäfen Wiens erscheinen. Was das mit den Rosinenbombern von Berlin zu tun hat? Man darf auch auf dieses Werk gespannt sein.
Buchpräsentation
Dienstag , präsentiert Urrisk-Obertyński um 18 Uhr sein Werk im Rathaus.
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