Den Deserteuren läuft die Zeit davon
Als Richard Wadani am Morgen des 16. Oktober 1944 in der deutschen Eifel knapp 200 Meter durchs Unterholz robbte, ging es nicht nur um Leben und Tod. Für Wadani ging es auch um Krieg und Frieden. Er wollte nicht mehr für Hitler kämpfen. Er wollte dabei helfen, sein Volk von der Naziherrschaft zu befreien. Der heute 89-Jährige desertierte an jenem Tag aus der deutschen Wehrmacht. Fortan kämpfte er an der Seite der Alliierten. "Es war nicht die Angst vor dem Krieg, die mich desertieren ließ", sagt er, "es war die Gewissheit, auf der falschen Seite zu stehen."
68 Jahre später steht Wadani auf dem Heldenplatz – hinter ihm liegen Burgtor und Krypta und vor ihm das Bundeskanzleramt. Irgendwo hier dürfte bald ein Denkmal für Deserteure entstehen. Jahrzehntelang wurden Menschen wie Wadani als Kameradenmörder beschimpft; als Verräter, die die Heimat im Stich gelassen hatten. "Es war für die Mehrheit eine Möglichkeit, mit der eigenen Schuld umzugehen." Dass Wadani Widerstand leistete, wo andere Befehle befolgten, ist erst seit Kurzem im kollektiven Gedächtnis verankert.
Noch als Wehrmachtssoldat versorgte er die russische Bevölkerung an der Ostfront mit Konserven und Tabak. Als seine Einheit Partisanen einkesselte, warnte er die Menschen mit zwei Luftschüssen vor. "Sonst hätten sie keine Chance gehabt." Wadani landete vor Gericht und entkam einem Todesurteil wohl nur knapp. Andere hatten weniger Glück: 15.000 Deserteure wurden während des Krieges hingerichtet.
Die rot-grüne Stadtregierung möchte diesen Menschen nun ein Denkmal setzen. So steht es im Regierungspakt. Allein bis heute ist der Standort unklar. Zwar scheinen Helden- oder Ballhausplatz wahrscheinlich, doch eine Entscheidung steht aus.
"Viele sind von uns aber nicht mehr übrig", sagt der 89-Jährige. "Ich fürchte, dass die Politik das Thema auf die lange Bank schiebt." Zuletzt hatte Verteidigungsminister Norbert Darabos (SPÖ) angekündigt, die Krypta, in der der Gefallenen beider Weltkriege gedacht wird, neu gestalten zu wollen. Die Rede war von einer möglichen Verknüpfung mit dem Deserteursprojekt. "Dabei hat das eine mit dem anderen nichts zu tun", sagt Historiker Walter Manoschek. "Hier könnte vermengt werden, was nicht zusammengehört."
Reih und Glied mit der SS
Ein gemeinsames Gedenken in der Krypta wäre auch für Wadani undenkbar. "Wir stünden auch mit Soldaten der Wehrmacht und der Waffen-SS in Reih und Glied. Es wäre die größte anzunehmende Provokation." Auch Eva Blimlinger, Rektorin an der Akademie der bildenden Künste, wäre gegen eine solche Lösung: "Das wäre ein katastrophales Signal." Brigitte Bailer-Galanda, Leiterin des Dokumentationsarchivs des österreichischen Widerstands (DÖW) versteht nicht, warum Rot-Grün so lange für die Standortwahl benötigt. "Der Ballhausplatz bietet sich sehr an. Der Platz gehört der Stadt, eine Einigung mit dem Bund wäre anders als am Heldenplatz nicht nötig", sagt sie. "Abwarten ist die schlechteste Lösung." Das Büro von Kulturstadtrat Andreas Mailath-Pokorny (SP) versteht die Aufregung nicht. "Wir sind im Plan. Das Denkmal wird 2013 stehen." Eine optimistische Ansage. Immerhin kann es ohne Standortwahl keine künstlerische Ausschreibung geben. Und bis heute hat Pokorny keinen Kontakt zu Wirtschaftsminister Reinhold Mitterlehner (ÖVP) aufgenommen? Schließlich ist der Heldenplatz Bundeseigentum. "Unser Go muss noch nicht erfolgen, da wir ja noch im Zeitplan sind", beharrt man in Pokornys Büro.
Wadani ist skeptisch. "Meine Jahre sind gezählt. Ich würde das Denkmal noch gerne erleben." Die anderen, knapp 100 heute noch lebenden Deserteure werden das wohl ähnlich sehen.
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