Das Rotlicht in der Krise
Die abgestandene Luft riecht nach süßem Parfum, Alkohol und Zigaretten. In Kombination mit dem stark gedimmten roten Licht ist hier alles genau so, wie man es sich in einem Bordell erwartet. Nur die Atmosphäre ist an diesem Samstag alles andere als „sexy“.
Der KURIER ist mit der Polizei hier, bei einer Rotlicht-Kontrolle. Nach dem Tod einer 23-jährigen Escort-Dame, die Ende September von ihrem Freier in Oberösterreich ermordet worden sein soll, erhaschte die Öffentlichkeit einen kurzen Einblick in diese Szene, die sonst im Verborgenen bleibt.
Die Ermittlungen in diesem Fall laufen. Aber wie gefährlich und unter welchen Umständen leben Frauen, die sich in Österreich prostituieren?
Prekäre Umstände durch Krise
Wolfgang Langer, Leiter des Referats für Prostitutionsangelegenheiten, ist bei der Wiener Polizei der Mann für die Rotlicht-Kontrollen. Der große, schlanke Polizist mit seinen prägnanten Gesichtszügen und der Glatze weiß, wie man mit den Protagonisten der Szene umgehen muss.
2.500 Frauen waren 2021 als Sexarbeiterinnen in Wien registriert
Die grüne Karte wird nur ausgestellt, wenn sich die Frauen regelmäßig der angeordneten Gesundheitsuntersuchung unterziehen
45 Prozent der Frauen, die derzeit in Wien als Sexarbeiterinnen arbeiten, kommen aus Rumänien, gefolgt von Bulgarien und Ungarn. Asiatinnen sind im Vergleich zu den Vorjahren nur noch wenige tätig
Überprüfungen durch die Polizei finden in jedem Lokal zirka zwei Mal jährlich statt. Dabei werden auch bauliche und verwaltungsrechtliche Mängel von der Exekutive kontrolliert
345 Rotlicht-Lokale gibt es derzeit schätzungsweise in ganz Wien
Mietwohnungen wurden in der Zeit der Pandemie von Prostituierten als Ausweichmöglichkeit zum Arbeiten genutzt. Viele Frauen sind nicht wieder in die Lokale zurückgegangen und nutzen sie illegal weiter
Obwohl eine Kontrolle für die Frauen unangenehm ist, versucht er mit ein paar netten Worten, die Situation zu entspannen. Und das ist auch gleich im ersten Lokal dringend notwendig, denn es gibt schlechte Nachrichten – es muss sofort geschlossen werden.
„Je weniger es in den Herkunftsländern zu verdienen gibt, desto mehr Frauen kommen nach Österreich“
Die zwei Frauen, die sich hier „anbieten“, sprechen kaum Deutsch. Sie kommen wie etwa 45 Prozent der Sexarbeiterinnen aus Rumänien. Das Bett, in dem sie die Männer empfangen, steht in einem etwa drei Quadratmeter kleinen Raum, einer umfunktionierten Abstellkammer. Auch eine Dusche ist in die Ecke gepfercht. Sie ist verschimmelt. Die Laken sind dreckig und Wolfgang Langer hat noch viele andere Probleme erkannt, wie eine nicht funktionierende Lüftung und fehlende Notausgangsschilder.
Hier sieht man die Energiekrise, sagt Langer: „Je weniger es in den Herkunftsländern zu verdienen gibt, desto mehr Frauen kommen nach Österreich. Hier ist es aber so, dass viele Lokale heruntergekommen sind, weil die Besitzer nichts mehr investieren können.“
Gesetzeslücke
Obwohl die Polizei das Lokal vorübergehend schließt, warnt Langer die Frauen noch: Sie haben den Schlüssel der Eingangstür von innen stecken lassen. Sperrt ein Freier zu und nimmt ihn an sich, sind sie gefangen. Es werden auch Anzeigen wegen der Mängel geschrieben. Bezahlen wird die Bußgelder aber niemand, denn es gibt ein Problem, das die Wiener Ermittler oft haben. „Eine der Frauen sagt, dass sie die Betreiberin des Lokals ist, offiziell gemeldet hat sie sich aber nie. Das ist reformbedürftig“, sagt Langer. Diese „Masche“ hat Kalkül. Durch eine Gesetzeslücke können die Betreiber der Lokale in Wien oft wechseln. Die Anzeigen gehen ins Leere.
Das nächste Lokal, das kontrolliert wird, liegt in Wien-Neubau. Es ist größer und neu renoviert. Beim Eintreffen der Polizei sind 15 Frauen anwesend, die gerade mit Kunden in ihren Zimmern sind oder leicht bekleidet im Aufenthaltsraum sitzen. Die Kontrolle sorgt für Irritation und die Empfangsdame muss auf Rumänisch übersetzen, was nun zu tun ist. „Einigen Frauen fehlt die grüne Karte, also der Gesundheitsnachweis. Außerdem besteht der Verdacht auf Menschenhandel“, sagt der Ermittler. Auch hier werden die Zimmer vorübergehend geschlossen.
Nur mehr wenige Zuhälter
Dass Frauen zur Prostitution gezwungen werden, passiere laut Langer immer seltener. Der klassische Zuhälter, der seine Mädchen auf die Straße schickt, existiert so nicht mehr. „Die meisten der Frauen haben Straßenschläue. Es ist heute oft eher so, dass sie es sind, die junge Männer bei sich halten, die dann auf sie aufpassen sollen“, sagt der erfahrene Ermittler.
Ein Problem, das es seit der Pandemie gibt, und das für die Sexarbeiterinnen gefährlich werden kann, ist die Wohnungsprostitution. Als 2020 alle Rotlicht-Lokale schließen mussten, zogen sich die Frauen in Privatwohnungen zurück.
„Freier gehen in private Wohnungen, in denen vielleicht schon ein Mann mit einem Kampfhund wartet, der sie ausraubt“
Auch bei der Kontrolle am Wochenende wurden fünf solcher Wohnungen überprüft. „Dort verdienen sie mehr, das macht dieses Geschäft natürlich interessanter“, sagt Langer. Die Frauen arbeiten aber unter dem Radar, haben kein Gesundheitszertifikat und meist niemanden, an den sie sich wenden können. Auch für die Freier ist das gefährlich: „Die Männer gehen in irgendeine private Wohnung, in der dann vielleicht schon ein Mann mit einem Kampfhund auf sie wartet, der sie ausraubt.“
Und auch sie sind kein Ding aus längst vergangener Zeit: Klein-Lkw in denen sich Frauen prostituieren. Vor allem in Wien-Floridsdorf parken sie nach wie vor. „Auch hier sollte gesetzlich etwas getan werden. In diesen Fahrzeugen wird mit Gaskochern geheizt. Es ist nur eine Frage der Zeit, bis es zu einem Unfall kommt und eine Frau eine Vergiftung erleidet“, sagt Langer.
Die Streife an diesem Wochenende geht mit einer Bilanz von zwei Lokalschließungen bei sechs Überprüfungen zu Ende. Es gab mehrere Anzeigen wegen verschiedener Mängel.
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