Das Museumsquartier und die Macht des Turms
Der Männerakt von Egon Schiele, der Armlehnstuhl von Koloman Moser und Andy Warhols „Orange Car Crash“ sind unter Kunst-Auskennern die Charakteristika des Museumsquartiers. Für die breite Masse sind es Plastikungetüme mit dem Namen „Enzi“.
Jahr für Jahr werden sie unter Medienrummel im Frühling in den Hof des MQ geräumt. Gestern war es wieder soweit: 76 Stück in der per Voting ausgesuchten Farbe „MA48orange“ wurden präsentiert.
Und doch war diesmal etwas anders. Der Beginn der Enzi-Saison wird von einer Ankündigung überschattet, die es in sich hat. Geht es nach der neuen MQ-Direktorin Bettina Leidl, soll das Areal ein neues Charakteristikum bekommen: Ihr schwebt, wie der KURIER berichtet hat, eine „architektonische Landmark“ vor, um die Institutionen des Areals sichtbarer zu machen. Ein Landmark, das ist – im Klartext – zumeist eine Art Turm. Realisieren will Leidl diesen bis 2030, im Rahmen eines großen Umbaus.
Ein Vorstoß, der Potenzial hat, für Ärger und Debatten zu sorgen. Das legen auch erste Reaktionen nahe. Der Grund: Wie man mit Hochhäusern in der Stadt umgeht, das ist in Wien höchst umstritten.
Machtsymbol
Äußerst skeptisch sieht die Turm-Pläne etwa Markus Tomaselli, Vorstand des Instituts für Städtebau an der Technischen Universität Wien: „Eine Landmark in Form eines hohen, baulichen Elements ist nicht notwendig. Das ist die falsche Sprache.“
Der Experte begründet seine Ablehnung: Ein vertikaler Baukörper symbolisiere dem Betrachter visuell stets einen Machtanspruch. Die Kirche oder Herrscher machten sich das einst zunutze: Kirchtürmen oder Burgfriede seien ihre Symbole, sagt Tomaselli. Später „hat sich der Kapitalismus das zu Eigen gemacht. Von einer Kultureinrichtung würde ich nicht erwarten, dass sie sich so in Szene setzt.“
Viel abgewinnen kann Tomaselli hingegen Leidls Plan, das MQ stärker mit seinem Umfeld zu verbinden. „Der Raum zwischen Burgtor und MQ ist durchschnitten von Ringstraße und der Zweierlinie. Wenn es durch Freiraumgestaltung gelingt, diese Bereiche zusammenzufügen, ist das ein guter Zugang.“
Euphorischer ist Hans-Peter Wipplinger, Direktor des Leopold Museums. Er hätte nichts gegen ein „markantes Zeichen“. Aber nicht, weil die Menschen nicht wüssten, wo das MQ liege, oder weil es darum ginge, (noch) mehr Besucher anzulocken. Sondern als ein Statement.
Was für Wipplinger bleibt, ist das Problem der Diskrepanz zwischen den Besuchern des Areals und jenen, die tatsächlich kulturelle Einrichtungen besuchen. „Es geht darum, die Menschen nicht nur ins große Wohnzimmer zu bekommen“, sagt er. „Sondern darum, dass sie die Schwelle überwinden.“
Panoramablick
Diskussionen über Türme haben nicht nur im MQ Tradition. Wien und Hochhäuser in der Innenstadt – ein problembehaftetes Verhältnis. Bis heute fehlt ein funktionierendes Hochhauskonzept, wie es andere Städte haben; die Debatte um den Heumarkt-Turm und das Weltkulturerbe sind Ausfluss dessen.
Auch das MQ, angesiedelt am Gelände der Hofstallungen aus dem 18. und 19. Jahrhundert, war größer und sichtbarer geplant. Der Entwurf der Architekten Laurids und Manfred Ortner aus 1990 sah zwei Türme vor. Einen schlanken mit elliptischem Grundriss („Leseturm“, siehe links), einen zylindrischen für Büros.
Im Zuge der Redimensionierungen bis 1998 fielen die Türme. Die Solitärbauten für das Museum moderner Kunst und das Leopold Museum wurden niedriger.
Eine Bürgerinitiative hatte gegen den Bau mobil gemacht. Den Ausschlag gab aber der Protest des damaligen Leiner-Chefs Herbert Koch. Er wollte den Panoramablick seines Penthouses im Leiner-Gebäude an der Mariahilfer Straße – das mittlerweile für den Bau des neuen Warenhauses KaDeWe weichen musste – nicht durch einen Turm gestört wissen.
Mithilfe der Kronen Zeitung gelang es, den Druck auf die Stadtregierung zu erhöhen, bis der Turm Geschichte war. Die Krone-Kampagne habe „wie ein Rasenmäher funktioniert“, soll Koch später eingestanden haben. „Man muss wissen, wie man seinen Einfluss geltend machen kann“, wird er im Standard zitiert.
Kein Leseturm
Die Nutzer des MQ beklagten daraufhin immer wieder die mangelnde Sichtbarkeit. Und auch Laurids Ortner unterbreitete weitere Vorschläge, darunter die „Libelle“, die nun auf das Dach des Leopold Museums gesetzt wurde. Sie fungiert mit den Lichtskulpturen von Brigitte Kowanz tatsächlich als „Landmark“. Aber nur in der Nacht.
MQ-Direktorin Leidl fände es reizvoll, wenn es künftig auch untertags eine höhere Sichtbarkeit gäbe. Das bedeute aber keinesfalls, dass sie nun doch noch den Leseturm realisieren will, sagt Leidl zum KURIER: Denn schon damals, in den 1990er-Jahren, sei niemanden klar gewesen, was er genau leisten soll.
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