Beschwerden sind des Wieners Lust

Beschwerden sind des Wieners Lust
Am öftesten echauffieren sich die Wiener über Verkehr, Baustellen, Lärm und Verunreinigungen.

Unter den EU-Bürgern zählen die Österreicher laut Eurostat-Umfrage zu den zufriedensten Menschen. Hinter Dänen, Finnen und Schweden auf Platz vier, wird behauptet. Kein Wunder. Kommt ja nicht von ungefähr, dass das Beratungsunternehmen Mercer Wien 2015 erneut zur Stadt mit der höchsten Lebensqualität weltweit gekürt hat. Trotzdem werden Herr und Frau Wiener das Image der Raunzer nicht los. Auch die Statistik des städtischen Bürgerdiensts belegt: Die Hauptstädter beschweren sich gern.

Insgesamt verzeichnete die amtliche Infostelle, die in 14 Bezirksämtern, in Servicebussen sowie telefonisch oder per eMail erreichbar ist, im Vorjahr 270.000 Bürger-Kontakte. In rund 30.000 Fällen erforderten die vorgebrachten Probleme eine intensive Bearbeitung. Damit ist das Beschwerde-Bedürfnis der Wiener freilich noch nicht abgedeckt.

Lieblingsprobleme

Beschwerden sind des Wieners Lust
Beschwerdemanager Martin Rosenkranz vom Bürgerdienst Wien, Bezirksamt Hietzing am 06.08.2015.
Am weitaus häufigsten echauffieren sich die Wiener über den Verkehr: Der eine will eine Ampel, die andere einen Schutzweg und der Dritte klagt über schlechte Sichtverhältnisse. Baustellen brennen ihnen ebenfalls häufig unter den Nägeln , weil sie als zu groß oder zu laut empfunden werden.

Weitere "Lieblingsprobleme" sind scheppernde Kanaldeckel, Schlaglöcher, zu laute Schanigärten, vermeintlich überzogene Sperrstunden, Verunreinigungen aller Art und – im Winter – nicht erfolgte Schneeräumungen.

Dass die Bewohner der laut mehrerer Studien weltweit lebenswertesten Stadt derartig vielfältige Probleme sehen, ist für Beschwerdemanager Martin Rosenkranz vom Bürgerdienst Wien-West – zuständig für den 12., 13., 14. und 23. Bezirk und somit für mehr als 330.000 Einwohner – kein Widerspruch: "Wien steht deshalb so gut da, weil die Bürgeranliegen schnell behandelt werden", ist er überzeugt.

Seine Mitarbeiter besprechen die vorgebrachten Beschwerden mit der jeweils zuständigen Fachabteilung und informieren die Bürger dann über die Fortschritte.

Mit dem klassischen Raunzertum werde er so gut wie überhaupt nicht mehr konfrontiert, sagt Rosenkranz. "Die Anliegen sind im Normalfall höchst sachbezogen, die Beschwerden haben Hand und Fuß." Aufgeregte oder gar aggressive Bürger säßen ihm nur in absoluten Ausnahmefällen gegenüber.

Ein wenig anders hört sich die Interpretation von Stadt-Psychologin Cornelia Ehmayer an. Das Weltgeschehen und die vielen Katastrophenmeldungen würden die Wiener ängstlicher und in der Folge aggressiver machen. "Außerdem werden wir ungeduldiger", sagt Ehmayer. "Die Menschen sind hektischer als früher. Sie erwarten, dass alles jetzt sofort passiert." Das schlägt sich im Raunzen und Beschweren nieder. Trotzdem sieht Ehmayer die Eigenschaft nicht nur negativ: "Es gehört ebenso zu den Wienern wie die Gemütlichkeit. Wenn die Wiener zum Raunzen und Jammern aufhören, dann würde ich mir Sorgen machen."

www.wien.gv.at/buergerdienst/

Egal ob Lichttelefon, Gebietskrankenkasse, Universität, Flughafen, ÖBB oder EU-Kommission – ein professionelles Beschwerdemanagement darf nirgends mehr fehlen. Von eigens geschaffenen Institutionen wie Volks- oder Patientenanwaltschaft ganz zu schweigen. Manchmal brauchen die zuständigen Mitarbeiter allerdings gute Nerven.

Viel zu tun hat etwa die Servicestelle von Wiener Wohnen. Im Schnitt gehen jährlich 70.000 Beschwerden ein. In mehr als 50 Prozent richten sie sich gegen andere Mieter. Klassiker der Beschwerde-Hitparade sind fehlende Sauberkeit, Lärmbelästigung und der klassische "Bankerlstreit". Letzterer bedeutet: Ein Teil der Mieter will Sitzbänke im Innenhof, um gemütlich mit den Nachbarn plaudern zu können. Und andere wollen die Bänke entfernt wissen, weil es ihnen zu laut ist. Natürlich gibt es aber auch skurrile Ausreißer: Etwa die Beschwerde jener Mietpartei, die ein Schwein als Haustier halten wollte und dafür keine Genehmigung bekam. Oder die jenes Mieters, der sich vom lauten Sexualleben seines Nachbarn gestört fühlte.

Nicht minder originell sind zum Teil die Anliegen, mit denen die Beschwerdestelle von Wien Energie konfrontiert wird. Da beschwerte sich etwa ein Maler in Geldnot, dass er seine Rechnung nicht in Bildern abstottern durfte. Eine andere Kundin meldete einen Vampir im Fernwärme-Zählerkasten (und verneinte, als sie gefragt wurde, ob sie vielleicht eine Fledermaus meine). Und eine ältere Person erklärte am Servicetelefon ganz aufgeregt: "Bitte kommen Sie schnell, aus meiner Steckdose kommt Vogelgezwitscher." Die Anzahl der jährlichen Beschwerden kommuniziert das Unternehmen nicht.

Ralf Hochfilzer-Schützenhöfer hat täglich zwischen 70 und 120 verschiedene Gesprächspartner am Ohr. Doch nicht alle, die beim Kundentelefon der Wiener Linien anrufen, beschweren sich. Großteils gibt Hochfilzer-Schützenhöfer Auskunft, wie man am besten von A nach B kommt. Ein Telefonat ist ihm besonders im Gedächtnis geblieben: Einmal rief ein panischer Vater an, der den Kinderwagen samt Baby in der U6 vergessen hatte. Die U-Bahn-Leitstelle wurde sofort informiert und der Vater konnte sein Kind wenig später wieder in die Arme schließen. Das Baby bekam die Aufregung gar nicht mit: Es hatte die ganze Zeit geschlafen.

Singraunzen

Oliver Hangl sitzt zwar an keinem Kundentelefon, trotzdem konfrontieren ihn die Wiener mit Dingen, die in der Stadt nicht funktionieren. Und Hangl freut sich sogar über jeden, der seinem Ärger freien Lauf lässt.

Oliver Hangl ist künstlerischer Leiter des Wiener Beschwerdechors, einem Ensemble, das die Klagen der Wiener zu Musik macht. Die Ideen für die Liedertexte kommen von den Einträgen der Stadtbewohner auf der Homepage. Platz eins ist und bleibt: Die Hundehaufen auf der Straße. Ebenfalls beliebtes Raunzerthema ist die "stinkende U-Bahn".

Über ein Konzert könnten Wiener schon bald ganz zufällig stolpern: Für den Herbst sind Guerilla-Auftritte in der ganzen Stadt geplant.

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