"Wien ist eine glückliche Stadt"
Dienstag, 11 Uhr, am Dach des DC-Towers in Wien-Floridsdorf: 220 Meter über der Copa Cagrana zeigt das Thermometer 30 Grad an. In den unteren Stockwerken wird heftig gearbeitet und geschwitzt. Der Tower ist noch eine einzige Baustelle.
An der Spitze des höchsten Gebäudes Österreichs, treten Wiens Bürgermeister Michael Häupl und sein Regierungsteam an. Im grünen Kleid hat sich die Grüne Vizebürgermeisterin Maria Vassilakou dazugesellt. Immerhin gilt es zweieinhalb Jahre Rot-Grün in Wien zu feiern – und auch zu bilanzieren.
„Was soll dieser Ort symbolisieren? Rot-Grün will hoch hinaus, oder ist die Koalition eine Baustelle?“
Der Wiener Bürgermeister braucht für die Journalisten-Frage keine Nachdenkzeit: „Natürlich Ersteres.“ Und: „Wir sind hier heraufgekommen, um zu dokumentieren, dass Wien weiter in die Höhe wachsen wird.“
Getrennte Bilanz
Die Gemeinsamkeiten enden mit dem Foto. Die präsentierte Bilanz gibt es in getrennten Foldern. Auch die Statements erfolgen nicht Schulter an Schulter. Einig sind sich beide Parteien, dass sie beim öffentlichen Verkehr, dem besseren Zusammenleben in der Stadt, oder in puncto Umwelt einiges weitergebracht haben. Die Erfolge beim Ausbau des Radwegenetzes überlässt die SPÖ den Grünen. Dafür reklamiert die Häupl-Partei ihre Kernthemen – wie Bekämpfung der Arbeitslosigkeit bis Modernisierung des Spitalwesens – für sich. Ein Thema wollen beide Parteien noch forcieren: Wohnen soll in Wien billiger werden.
„Wie funktioniert die Zusammenarbeit in der Praxis?“
„Professionell, in manchen Bereichen professioneller als früher“, sagt Häupl. Einzig beim Parkpickerl-Thema gibt er sich nachdenklich: „Das hätten wir besser kommunizieren können.“
Häupls Botschaft des Tages lautet aber: „Wien ist eine glückliche Stadt“. Denn im Vergleich zu anderen europäischen Metropolen stehe man glänzend da, meint der Wiener Bürgermeister.
Langzeitprojekt?
Ob die Koalition über diese Periode hinaus hält? Der Politologe Peter Filzmaier schließt nichts aus. „Rot-Grün ist in der Normalität angekommen“, sagt Filzmaier. Man überlasse sich die angestammten Ressorts, bisher hätten vor allem Symbol-Themen wie Verkehr oder Wohnen die Stadt dominiert.
Allerdings sind die Grünen in der komfortableren Situation. „Sie können es sich leisten, zu polarisieren. Die SPÖ muss ihre Wähler, die Hälfte der Wiener, im Auge behalten.“ Für die SPÖ könnte Rot-Grün dennoch ein Langzeitprojekt werden. Filzmaier: „Denn mit zusätzlichen Parteien, wie Team Stronach oder den Neos, wird eine Absolute in Wien nur schwer möglich sein.“
Bevölkerung
2012 lebten 1.731.000 Menschen in Wien, um 32.000 mehr als 2010.
Beschäftigte
817.200 Wiener haben eine Arbeit. 47,93 Prozent davon sind Frauen.
Arbeitslose
83.016 Wiener waren 2012 ohne Job, 11.480 davon Jugendliche. Wien hat die höchste Arbeitslosenquote in Ö: 9,5 Prozent.
Kriminalität
203.055 Anzeigen gab es 2012. Die Kriminalitätsrate sinkt in Wien seit Jahren.
Öffis
906 Millionen benutzten 2012 die Öffis. 2010 waren es 839 Mio.
Wiens SPÖ-Bürgermeister Michael Häupl bleibt sich treu. Das rot-grüne Modell wird bis zum Ende der Periode durchgezogen. „Wir haben einen Vertrag auf fünf Jahre. Ich bin vertragstreu.“ Sein Visavis, Maria Vassilakou, denkt ähnlich. Derzeit.
Wien wählt in gut zwei Jahren. Dann werden beide Parteien daran gemessen, was sie aus der einst als richtungsweisend bezeichneten Koalition gemacht haben. Profitieren konnten bisher nur die Grünen – mit ihrer Öffi- und Rad-Offensive. Die große Kür gelang aber nicht. Die Pannen rund ums Pickerl und die Gebührenlawine wurden besonders der SPÖ angelastet.
Am Anfang ging es Häupl und den Wiener Grünen um weit mehr als nur um ein neues Polit-Modell für die Stadt. Rot-Grün wollte in der Bundeshauptstadt zeigen, dass diese Regierungsform auch für die Bundespolitik taugt.
Die Euphorie ist verflogen. Die Wiener Rathaus-Koalition plagt sich mit den Mühen des Polit-Alltags. Aus anderen Bundesländern fehlt der Rückenwind.
Angesichts dieser Entwicklung hat Michael Häupl die Bremse gezogen. Die Spielräume für den Juniorpartner wurden bereits enger geschnürt. Denn die SPÖ will jetzt mit ihren Themen Wohnen, Soziales und Arbeitsplätze wenigstens die zweite Halbzeit gewinnen.
Während die Regierung ihre Arbeit bejubelt, ist die Opposition weniger euphorisch. „Die rot-grüne Bilanz ist eine Schreckensbilanz für die Bürger“, sagte FPÖ-Chef Heinz-Christian Strache. Er kritisierte die massiven Gebührenerhöhungen: „Den Wienern bleibt kaum noch Luft zum Atmen.“ Für VP-Chef Manfred Juraczka vergehe keine Woche ohne neuen Skandal. Jüngst etwa bei Wiener Wohnen. Der Juniorpartner sehe nur zu. „Die Grünen haben ihre Kontrollkompetenz vor Koalitionseintritt an der Garderobe abgegeben“, sagte Juraczka.
Kritik kommt auch aus der Wirtschaftskammer. „Wäre die Amtszeit der rot-grünen Stadtregierung ein Fußballmatch, müsste der Trainer vor Beginn der zweiten Halbzeit die bisherige Taktik überdenken“, sagte Präsidentin Brigitte Jank zur Bilanz. Was Jank noch sauer aufstößt: „Die Unternehmer verstehen nicht, warum die Stadt so viel Geld für Wohlfühlwerbung ausgibt.“
Boulevard profitiert
Die Stadt Wien ist der größte Werber Österreichs. Im ersten Quartal gab man 9,15 Millionen Euro für Werbung und Information in Medien aus. Ein Vielfaches dessen, was das von der Einwohnerzahl vergleichbare Niederösterreich ausgibt.
Den Löwenanteil erhielt der Boulevard. So flossen im ersten Quartal 1,24 Millionen an die Gratiszeitung Heute. Auf Platz zwei folgte mit 1,07 Millionen Euro die Krone. Auch das Blatt Österreich durfte sich über einen Geldregen aus der Stadtkasse freuen. 920.000 Euro überwies die Stadt Wien in den ersten vier Monaten an die Fellner-Zeitung.
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