Junge Europäer stürmen nach Wien

Spanierin Isabel Melo vermisst ihre Heimat Sevilla in Wien nur selten.
Dank junger Einwanderer wächst Wien rasant – auf die Stadt warten große Herausforderungen

Sie hat alles zurückgelassen. Freunde, Familie, Wohnung und das Wetter von Sevilla. Sei Juli wohnt Isabel Illesca Melo in Wien.

Die 27-Jährige Sozialpädagogin will hier den Master-Abschluss in „Internationaler Entwicklung“ machen. Vor allem aber möchte sie hier leben. „Ich wollte einfach immer schon in ein anderes Land gehen, eine andere Kultur kennenlernen“, sagt die junge Spanierin. Mit 22 war sie für ein Auslandssemester auf der Universität in Linz. „Doch ich wollte immer in eine Metropole“, sagt Melo. Jeden Tag lernt sie nun Deutsch, drei Stunden im Intensivkurs. „Wenn ich mit der Ausbildung fertig bin, möchte ich bleiben und hier arbeiten“, sagt Melo. „Wien ist eine tolle Stadt, mitten im Herzen von Europa. Hier hat man viele Möglichkeiten.“

So wie die junge Spanierin denken derzeit viele junge Menschen in Europa. Vor allem in strukturschwachen Regionen, in denen es wenige Jobs für junge Menschen gibt, versuchen viele ihr Glück in der Stadt – längst über die Grenzen hinweg. Mit großen Folgen für Wien.

Die Zahl der Wiener stieg von 2011 auf 2012 um 24.000 Einwohner. Für 2013 rechnete die Statistik Austria mit 22.500 neuen Wienern – und liegt damit falsch. Laut letzten Hochrechnungen werden heuer bereits 30.000 Menschen mehr in Wien hauptgemeldet sein, als noch ein Jahr zuvor. Die meisten kommen nach wie vor aus Deutschland. Es folgen die ehemaligen Kronländer wie Polen, Rumänien, Slowakei und Serbien, sodass so manche Experten bereits von „Habsburg reloaded“ sprechen. Aber auch Italiener und Spanier entdecken den kühlen Norden. „79 Prozent des Zuwachses kamen 2012 aus dem Ausland“, sagt Klemens Himpele, Chef der Statistik-Abteilung im Rathaus (MA23). 13 Prozent kommen aus den Bundesländern, 8 Prozent aus dem Geburtenüberhang.

Wien wird jünger

40 Prozent der Zuwanderer sind zwischen 20 und 29 Jahren alt. „Langfristig werden die Steigerungen aber aus dem Geburtenüberhang kommen“, sagt Himpele. Denn viele Junge, die zur Ausbildung nach Wien kommen, bleiben. Einige werden eine Familie gründen. Die kleine Studentenwohnung wird dann rasch zu klein.

„Die Stadt steht vor großen Herausforderungen“, sagt Planungsexperte Christof Schremmer (siehe Interview unten). Denn wenn die Nachfrage an Wohnraum steigt, steigen auch die Preise. Vor allem für junge Familien werden so die Wohnkosten zur Herausforderung. Die Antwort der Stadt heißt geförderter Wohnbau. Indem man billigen Wohnraum zur Verfügung stellt, sollen die Mieten gesamt niedrig bleiben.

Bauboom

Derzeit wird in allen Ecken der Stadt gebaut. Auf ehemaligen Bahnhofsarealen entstehen 17.500 Wohnungen. Dazu kommen noch das Eurogate-Areal mit 1800 Wohnungen und die Seestadt Aspern mit 20.000 Wohnungen. Sie alle werden nicht ausreichen, um den rasanten Zuwachs aufzunehmen.

Dass die Herausforderung groß ist, will man im Büro des Wohnbaustadtrats Michael Ludwig (SP) nicht in Abrede stellen. „Es ist aber bewältigbar. In den nächsten zwei, drei Jahren müssen wir uns keine Sorgen machen“, sagt ein Sprecher.

In Wien werden derzeit 7000 bis 8000 Wohnungen fertig gestellt, 6000 davon gefördert. Die großen Herausforderungen für die Stadt liegen allerdings in der restlichen Infrastruktur. Denn die Bewohner der neuen Wohnungen brauchen öffentliche Verkehrsmittel, einen Wasser- und Kanalanschluss. Die Kinder müssen in Kindergärten und Schulen gehen. „Wir könnten bei manchen Projekten heute anfangen zu bauen, aber müssen warten, weil noch keine Schule da ist“, sagt der Wohnbau-Sprecher.

Probleme, um die sich Isabel Melo nicht kümmern muss. Sie bereitet sich auf den nächsten Deutsch-Kurs am Montag vor. Gegen das Heimweh helfen moderne Kommunikationsmittel wie Skype oder WhatsApp. Vermisst sie denn nichts von zu Hause? „Das Wetter“, sagt Melo und lächelt.

Junge Europäer stürmen nach Wien

Christof Schremmer vom Österreichischen Institut für Raumplanung (ÖIR) will den Teufel nicht an die Wand malen. Aber die freien Wohnungen werden knapper, sagt der Experte. KURIER: Wien wächst dieses Jahr um 30.000 Menschen. Ist die Stadt darauf vorbereitet? Die Zuwächse sind in den letzten fünf Jahren stark gestiegen, damit konnte man so nicht rechnen. Das wird – wenn es weiter anhält – auch zu einer Knappheit bei Wohnungen führen. Es warten aber noch weitere Herausforderungen. Denn die Stadt muss dadurch wesentlich mehr in die Infrastruktur investieren. Wird Wohnen in Wien künftig noch leistbar sein oder erwarten uns Mieten wie in London?

Zum Glück sind wir noch weit davon entfernt. Die Mieten im ungeförderten Bereich werden aber sicher steigen. Wir müssen daher schauen, dass Wohnen für viele leistbar bleibt.Derzeit werden jährlich 7000 bis 8000 Wohnungen fertiggestellt. Der Wohnbedarf wird enorm steigen, sind da 8000 Wohnungen im Jahr genug?

Auf Dauer wird das – wenn der Zustrom wie heuer anhält – sicher nicht reichen. Wir haben eine massive Zuwanderung aus der EU, vor allem auch aus Deutschland. Verschärft wird das durch die Krise, in der viele ihr Geld in Immobilien geparkt haben. Damit stiegen indirekt die Grundstückspreise, wodurch sie für den geförderten Wohnbau oft zu teuer sind. Ist sozialer Wohnbau für die Stadt noch leistbar?

In den letzten Jahren konnten große Grundstücke auf Bahnhofsgeländen erschlossen werden. Man muss aber auch künftig günstiges Bauland zur Verfügung haben. Daher muss man schon jetzt vorausschauend kaufen. Und man braucht zusätzlich neue Instrumente der Raumplanung, etwa mit einer neuen Widmungskategorie „geförderter Wohnbau“. Wenn man etwa Grünland so auf Bauland umwidmet, ist sichergestellt, dass dort nur leistbare Wohnungen errichtet werden.Viele Altbauhäuser haben nur 4 bis 6 Stockwerke. Muss in Zukunft höher gebaut werden?

Es wird bereits höher gebaut. Die Stadt baut jetzt schon meist 8 bis 10 Geschoße in einem Wohnhaus. In der Innenstadt werden die Dachböden ausgebaut. Man muss aber darauf achten, dass die Neubauten im Einklang mit der Umgebung sind und im dicht verbauten Gebiet ausreichend Freiräume bleiben.

Da wehren sich oft Anrainer gegen sogenannte Monsterbauten, die ihre Ruhe im Grünen bedroht sehen. Etwa in Liesing entlang der U6.

Es ist die Kunst der Stadtplanung, dass es für alle passt. Es ist aber legitim zu sagen, dass in einem Gebiet, das an der U-Bahn liegt, höher gebaut wird. Immerhin hat die Stadt viel Geld investiert, um möglichst vielen Bewohnern ein tolles Verkehrsmittel zur Verfügung zu stellen.


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