Urteile im Bandenkrieg, der keiner war: Ein Schuld- und ein Freispruch

Medientermin LPD Wien: Schwerpunktkontrollen
Ein Tschetschene soll im Vorjahr auf Syrer geschossen haben. Gewalttätige Auseinandersetzungen waren vorausgegangen. Nun setzte es 14 Jahre Haft – nicht rechtskräftig.

Wildwestszenen, ein Schädelbruch und mit Macheten ausgetragene Straßenschlachten – all das war im Vorjahr über einen ethnischen Konflikt zwischen Syrern und Tschetschenen in Wien zu berichten. Den traurigen Höhepunkt erlebte der „Bandenkrieg“ – später relativierte die Polizei, es habe sich nicht um Banden, sondern „lose Zusammenschlüsse junger Männer“ gehandelt – am 5. Juli 2024 im Anton-Kummerer-Park in der Brigittenau. 

Dort wurden in der Nacht mindestens sechs Schüsse auf Syrer abgegeben. Die Kugeln verfehlten ihr Ziel nur knapp. Zwei der Männer  wurden dennoch durch von Fahrzeugen abprallende Projektile verletzt. Sie erlitten eine Splitterverletzung bzw. eine Rissquetschwunde. 

Dafür verantworten mussten sich am Mittwoch, dem zweiten Prozesstag, zwei Tschetschenen im Alter von 29 und 30 Jahren. Ihnen wird Mordversuch zur Last gelegt. Der ältere Erstangeklagte soll die Waffe betätigt haben, während dem Zweitangeklagten  ein psychischer Tatbeitrag angelastet wird.

Belastendes Gutachten

Die Beschuldigten wiesen am Mittwoch weiterhin jede Schuld von sich. Als eine Gruppe Syrer den Park mit Eisenstangen, Holzlatten sowie Stich- und Hiebwaffen stürmte, habe man sich sofort aus dem Staub gemacht. Dass sich die Männer zum Tatzeitpunkt zumindest im Umfeld der Schießerei befunden haben, konnten sie insofern nicht abstreiten, als eine Rufdatenauswertung ihrer Handys ergeben hatte, dass sie nicht weiter als einen Kilometer vom Tatort entfernt waren.

Der mutmaßliche Schütze beteuerte, mit seinem Auto nur „in der Nähe“ des Parks gewesen zu sein, als Schüsse fielen, aber in ebendiesen geflüchtet zu sein. 

Ausgerechnet das Fluchtfahrzeug wurde ihm jedoch zum Verhängnis. In dem Wagen wurden Schmauchspuren gefunden. „Diese passen eindeutig zu den Partikeln aus den sichergestellten Patronenhülsen“,  führte der Schießsachverständige Ingo Wieser aus.

Der Angeklagte, der sich selbst als Waffenfan bezeichnet, erklärte das wie folgt: „Ich war nach der Arbeit auf einem Schießstand in der Slowakei.“

Eine Rechnung, die für Richter Wolfgang Etl nicht aufging: „Sie waren an diesem Abend um 18 Uhr im Fitnessstudio. Davor in der Arbeit. Dazwischen waren sie noch in der Slowakei?“ 

Entlastende Zeugin

Dem 29-Jährigen wird  vorgeworfen, seinen Freund zur Schussabgabe bestärkt zu haben. Laut Staatsanwaltschaft war er ebenfalls bewaffnet, das konnte ihm jedoch nicht nachgewiesen werden. Gutachter Wieser erwähnte in diesem Zusammenhang, dass die Polizei in dem Fall bei der Sicherung der Spuren „suboptimal gearbeitet“ habe. 

 Außerdem sagte eine Freundin des 29-jährigen Tschetschenen am Mittwoch als Zeugin aus und überraschte mit einer teils sehr detaillierten Erinnerung: „Wir waren in der Klosterneuburger Straße Pizza essen. Wahrscheinlich halal. Als wir nachher auf einer Bank saßen und rauchten, liefen  junge Tschetschenen  vorbei.“ 

Wie viele, auch nur ungefähr, konnte die junge Frau allerdings nicht sagen. Sicher war sie sich jedoch, dass ihr Begleiter nur „kurz mit ihnen sprach und ein Stück mitging“. Als die Schüsse fielen, kam er zurück und meinte: „Wir sollten uns entfernen.“ 

Tasche im Fluchtauto

Da die Polizei keine Hülsen gefunden hatte, hielt Gutachter Wieser es für möglich, dass die Schussabgabe aus jenem Auto erfolgte, in dem die Schmauchspuren nachgewiesen wurden. Klarheit herrschte jedenfalls über die Herkunft einer Bauchtasche, die in dem Fahrzeug sichergestellt wurde und auf der sich ebenfalls Schmauchspuren befanden. Sie gehört dem 29-jährigen Zweitangeklagten. 

In seinem Falle reichte das den Geschworenen aber nicht für einen Schuldspruch, ein Tatbeitrag habe nicht nachgewiesen werden können. Der 30-jährige Schütze hingegen wurde wegen versuchten Mordes zu 14 Jahren Haft verurteilt. Das Urteil ist in beiden Fällen  nicht rechtskräftig.

Klarheit: Die wichtigsten Begriffe

Die Jugendkriminalität umfasst in der Regel Straftaten von Jugendlichen im Alter von 14 bis 18 Jahren sowie von jungen Erwachsenen im Alter von 18 bis 20 Jahren. Im Gegensatz zu Jugendlichen unter 14 Jahren sind diese Altersgruppen deliktsfähig, das heißt strafbar (die Setzung von Erziehungsmaßnahmen, etwa die Unterbringung in einer betreuten Wohngemeinschaft, ist auch bei unter 14-Jährigen möglich). Die Strafrahmen nach dem Jugendgerichtsgesetz, also bei 14- bis 18-Jährigen, sind in vielen Fällen niedriger als bei Erwachsenen. 

Derzeit werden jedoch immer wieder Forderungen nach härten Strafen für junge Täter laut, nachdem Berichte über minderjährige Handyräuber, Autoknacker, Schläger, Vergewaltiger oder Drogendealer in der subjektiven Wahrnehmung vieler in den vergangenen Jahren zugenommen haben. Tatsache ist: In Wien wurden im Vorjahr 568 Minderjährige angezeigt. Zu Festnahmen kam es allerdings nur in 55 Fällen. Der Grund dafür: Ein Großteil der Delikte geht auf zwei oder drei Dutzend sogenannter Intensivtäter zurück, also Unbelehrbare, die wiederholt straffällig werden.

Die Wiener Polizei ist eine der größten Polizeidienststellen in Österreich und spielt eine zentrale Rolle in der öffentlichen Sicherheit und Ordnung in der Stadt. Die Beamten sind in verschiedenen Abteilungen und Einheiten organisiert, die sich auf unterschiedliche Bereiche wie Kriminalitätsbekämpfung, Verkehrssicherheit und öffentliche Sicherheit konzentrieren. Laut LPD arbeiteten mit Stand Dezember 2024 insgesamt 7.278 Exekutivbedienstete inkl. Vertragsbedienstete mit Sondervertrag in Wien.

Die Brigittenau ist der 20. Bezirk und wurde 1900 mit der Trennung der Leopoldstadt zum eigenständigen Bezirk. Zur Leopoldstadt gehörte die Brigittenau seit 1850. Urkundlich erwähnt wurde die Brigittenau allerdings schon mehr als 200 Jahre davor im Jahr 1670. Die Auf einer Fläche von 5,7 km² leben heute rund 87.000 Menschen . Mehr als ein Fünftel der Bezirksfläche besteht aus Gewässer, da die Brigittenau sich mit der Leopldstadt die Insel zwischen Donau und Donaukanal teilt. Bezirksvorsteherin ist Christine Dubravac-Widholm (SPÖ).

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