Bis wann Wien eine autofreie City realisieren könnte

Ein jahrelanges Hickhack zwischen Stadt Wien und Bund fand am Sonntag ein jähes Ende: Verkehrsminister Peter Hanke (SPÖ) verkündete, dass er eine Novelle zur Erneuerung der Straßenverkehrsordnung (StVO) in Begutachtung schicken werde. Damit wird kamerabasiertes Zufahrtsmanagement für Innenstädte ermöglicht.
Mehr als 25 Städte – darunter St. Pölten, Leoben, Linz und (am lautesten) Wien – hatten das in der Vergangenheit gefordert. Das Ziel ist, dass man Stadtzentren verkehrsberuhigt. Durch die Kameras könne man Kennzeichen etwa bei der Einfahrt in die Innere Stadt fotografieren. Wer nicht dort wohnt oder in eine Garage fährt, muss nach 30 Minuten den Bezirk verlassen.
Aus einer technischen Machbarkeitsstudie, die vor Jahren erstellt wurde, geht hervor, dass so täglich bis zu 15.700 Einfahrten verhindert und die Stellplatzauslastung um fast ein Viertel reduziert werden können. Bürgermeister Michael Ludwig (SPÖ), Markus Figl (ÖVP), der Bezirksvorsteher der Inneren Stadt und Wirtschaftskammer-Wien-Präsident Walter Ruck jubelten via Aussendung.
Ausschreibung notwendig
Bis dem Jubel die Umsetzung folgt, werden allerdings noch Jahre in Land ziehen.
Laut Hanke sei das Ziel für das Inkrafttreten der Novelle der 1. Jänner 2026. Und dann geht die Arbeit erst richtig los, wie Wiens Verkehrsstadträtin Ulli Sima dem KURIER erklärt. Ab dann könne die europaweite Ausschreibung starten – dafür müsste man etwa ein Jahr einkalkulieren. Im Endeffekt würde jemand den Zuschlag bekommen, der „das kann und auch schon Ähnliches umgesetzt hat. Bei so einem Projekt kann man nicht die Katze im Sack kaufen“.
Danach müsse die betreffende Firma alles Benötigte erst produzieren. „So etwas hat niemand auf Halde liegen“, so Sima, gleichzeitig müsse die Stadt mit den baulichen Vorbereitungen starten. Für beides müsse man insgesamt rund ein Jahr anberaumen.
Vor 2028 ist also nicht mit einer autofreien City zu rechnen.
Rote-grüne Verstimmungen
„Die Grünen haben eines der größten Klimaschutzprojekte in der Geschichte unserer Stadt vergeigt“, ärgert sich Sima.“ Zur Erinnerung: Mit der ehemaligen Klimaschutzministerin Leonore Gewessler (Grüne) hat sich Sima eine jahrelange Auseinandersetzung geliefert.
Erprobt
Kamerabasierte Systeme sind in Österreich bereits im Einsatz– etwa bei der Mauterfassung, der Section Control und bei Ein- und Ausfahrtssystemen in Parkgaragen
Städte autonom
Mit der Novelle der StVO soll ein rechtlicher Rahmen für ein automatisiertes Zufahrtsmanagement geschaffen werden. Mit Kameras soll eine digitale Zufahrtskontrolle ermöglicht werden, Die konkrete Ausgestaltung wird den Städten und Gemeinden obliegen
Ausnahmen
In Wien soll es für Anrainer möglich sein, in die City zu fahren, auch das Parken in Garagen ist möglich. Die Wirtschaft pocht auf praktikable Regeln für Unternehmer
Gewessler hatte wie Hanke zwar vorgehabt, eine Novelle der StVO umzusetzen. In deren Entwurf sei aber vorgesehen gewesen, dass bei Demos die bildverarbeitenden Einrichtungen auszuschalten und zu verhängen seien.
Entsprechende Events gibt es in der Innenstadt an die 1.800 pro Jahr. „Die Kameras wären mehr aus- als eingeschaltet“, sagte Sima damals. Im Klimaschutzministerium begründete man den strengen Entwurf allerdings mit datenschutzrechtlichen Bestimmungen.
Bei den Regierungsverhandlungen mit ÖVP und Neos, wo Sima bei den Verkehrsthemen mit am Tisch gesessen hatte, hätte die Diskussion über die Kameras hingegen „gefühlt fünf Sekunden“ gedauert. Bei den Grünen beurteilt man sie Sachlage naturgemäß genau konträr: Das Warten auf Kameras sei nur eine „Ausrede“ und Wahlkampfgeplänkel. „Die Verkehrsberuhigung der Wiener Innenstadt könnte schon längst umgesetzt sein“, erklärte Mobilitätssprecher Kilian Stark.
Massive Kritik von der FPÖ
Kritik von FPÖ Während alle anderen Parteien sich trotz Streits in der Frage einig sind, dass die City verkehrsberuhigt gehört, setzte es von den Blauen scharfe Kritik. Wiener FPÖ-Obmann Dominik Nepp ortete gar einen „Anschlag auf die Unternehmer“ und er fürchtet ein „Autoverbot“.
Klarheit: Die wichtigsten Begriffe
SPÖ steht für Sozialdemokratische Partei Österreichs. Gegründet wurde sie 1889 in Hainfeld (NÖ) als Sozialdemokratische Arbeiterpartei, ihre Wurzeln liegen in der Arbeiterbewegung. Die Parteifarbe ist Rot.
In Österreich zählt die SPÖ zu den sogenannten linken Parteien; im Grundsatzprogramm von 1998 bekennt sie sich zu den Werten Freiheit, Gleichheit, Gerechtigkeit, Solidarität und Vollbeschäftigung. Säulen der Partei sind auch die Vertreter aus Arbeiterkammer (AK) und Gewerkschaftsbund (ÖGB). Seit 1945 stellt die Wiener SPÖ durchgehend den Bürgermeister – aktuell ist das Michael Ludwig.
Die Grünen stehen für die Grüne Alternative. Gegründet wurde die Partei 1986 als Zusammenschluss der konservativen Vereinten Grünen Österreichs (VGÖ) und der progressiveren Alternativen Liste Österreichs (ALÖ). Parteifarbe ist Grün. Ihre Wurzeln hat die Partei in der Widerstandsbewegung der 1980er-Jahre gegen das Kraftwerk in Hainburg und das Atomkraftwerk in Zwentendorf. Politisch stehen die Grünen links außen. Sie treten für Ökologie, den Schutz von Minderheiten und für Migration ein. In Wien waren die Grünen von 2010 bis 2020 Koalitionspartner der SPÖ, Spitzenkandidatin bei der Wahl ist Judith Pühringer.
Ulli Sima(Jahrgang 1968) ist Stadträtin für Innovation, Stadtplanung und Mobilität. Seit 2004 ist sie für die SPÖ in der Wiener Landesregierung. Davor war sie Nationalratsabgeordnete sowie Mitarbeiterin bei Global 2000.
Die Innere Stadt ist das historische Zentrum Wiens und gehört zur gleichnamigen UNESCO-Welterbestätte. Sie war schon im Jahr 97 als römisches Legionslager besiedelt. Mit 16.538 Einwohnern ist sie der bevölkerungsärmste Bezirk der Stadt - im Jahr 1880 lebten auf ihrem Gebiet 73.000 Menschen. Gleichzeitig pendeln täglich über 114.000 Menschen zum Arbeiten in den Bezirk. Die PKW-Dichte ist im Wien-Schnitt sehr hoch: Pro 100 Menschen gibt es in der Inneren Stadt 98 Autos. Bezirksvorsteher ist Markus Figl (ÖVP).
Die Daten der aktuellesten Modal Split Erhebung zeigen: Das mit 34 Prozent meist genutzte Verkehrsmittel der Wiener und Wienerinnen sind die Öffis, sie bilden das Rückgrat des Wiener Mobilitätssystem.
Im „Trend“ ist weiterhin das Zu-Fuß-Gehen: 30 Prozent aller Wege werden zu Fuß zurückgelegt, noch immer liegt dieser Wert über dem Anteil aus Zeiten vor Corona und damit auf einem hohen Niveau. Noch nie seit der ersten Erhebung des Modal Split im Jahr 1993 wurde ein so geringer Anteil an PKW-Nutzung in Wien gemessen. Nur mehr 25 Prozent aller täglichen Wege werden mit dem PKW zurückgelegt.
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