Ausstellung: Wie die Demokratie in Österreich zerstört wurde
90 Jahre nach der Ausschaltung des Parlaments widmet sich eine Ausstellung in der Wienbibliothek den verhängnisvollen Ereignissen der Jahre 1933 und 1934
„Das sind Dinge, da wollen wir nicht daran rühren“, kommentierte der Herr Karl, Helmut Qualtingers legendäre Kunstfigur, die blutigen Ereignisse im Februar 1934. Der Aufstand des republikanischen Schutzbundes der Sozialdemokraten, der vom Ständestaat-Regime niedergeschlagen wurde, blieb im Bewusstsein des Nachkriegsösterreich lange Zeit ausgeblendet.
2024 jährt sich der Bürgerkrieg zum 90. Mal. Anlass für die Wienbibliothek im Rathaus, gemeinsam mit dem Wien Museum eine Ausstellung samt umfassendem Begleitbuch zusammenzustellen. Anders als ursprünglich geplant, widmet sich die Schau „Die Zerstörung der Demokratie“ nicht nur den Februarkämpfen, sondern setzt bereits im März davor ein, als die Regierung unter dem christlichsozialen Bundeskanzler Engelbert Dollfuß das Parlament ausschalten ließ. „Der Februar 1934 markiert nur das Ende dieses Zerstörungsprozesses“, sagt Anita Eichinger, Direktorin der Wienbibliothek.
Ausstellung
„Die Zerstörung der Demokratie – Österreich, März 1933 bis Februar 1934“ in der Wienbibliothek im Rathaus, Ausstellungskabinett. Bis 16. Februar 2024 (Mo. bis Fr., 9 bis 19 Uhr) Eintritt frei
Katalog
Bernhard Hachleitner, Alfred Pfoser, Katharina Prager, Werner Michael Schwarz (Hrsg.), 328 Seiten, 35 Euro
Die Ausstellung will vor allem mit der geläufigen Vorstellung aufräumen, das Ende der Demokratie in Österreich sei schicksalhafte Folge der damaligen Wirtschaftskrise und der unüberbrückbaren Gegensätze zwischen Christlichsozialen und Sozialdemokraten gewesen. „Wir fokussieren uns darauf, wie die Demokratie bewusst und gezielt zerstört wurde“, sagt Werner Michael Schwarz, Historiker und Kurator im Wien Museum.
Tricks und Gewalt
Mit einer Mischung aus politisch-juristischen Tricks und blanker Gewalt wurden in nur wenigen Monaten die Grundfesten des demokratischen Staats beseitigt. Der Ausschaltung des Parlaments folgten, stets unter dem Anschein der Legalität, massive Eingriffe in die Grundrechte – Zensur, Verbot von Wahlen und die Einschränkung der Versammlungsfreiheit. Schließlich wurde auch die Todesstrafe wiedereingeführt. Wohl keine dieser Maßnahmen hätte einer Prüfung des Verfassungsgerichtshofs standgehalten. Deshalb schaltete die Dollfuß-Regierung auch ihn kurzerhand aus.
Ein Antrieb für die Radikalisierung des Regimes sei laut Historiker Alfred Pfoser die blanke Angst vor dem Machtverlust gewesen: Bei den Wiener Gemeinderatswahlen 1932 hatten die Nationalsozialisten aus dem Stand 17,4 Prozent gewonnen – fast vollständig auf Kosten der Christlichsozialen. „Doch schon viele Zeitgenossen sahen voraus: Dollfuß hätte den Nationalsozialisten kein größeres Geschenk als die Ausschaltung des Parlaments machen können“, sagt Historiker Bernhard Hachleitner. Verhängnisvoll sollte sich auch das enge Bündnis mit dem faschistischen Italien auswirken.
Über die Bewertung des Bundeskanzlers, der 1934 von NS-Putschisten ermordet wurde, wird bis heute leidenschaftlich entlang der Grenzlinien der politischen Lager gestritten. Für die Historiker ergibt sich jedoch ein eindeutiger Befund: „Es ist erstaunlich, dass Dollfuß so lange in Schutz genommen wurde“, sagt Schwarz.
Angriff auf die Moderne
Er verweist auf eine Ansprache des Kanzlers aus dem April 1933, in der Dollfuß „voller Zynismus den Parlamentarismus verhöhnte“ und ein Geschichtsbild skizzierte, „das als Generalangriff auf die Moderne gesehen werden kann“. Gepaart mit einer „konstruierten Wir-Gruppe, die bodenständig und christlich-deutsch ist“ – als Gegensatz zu Sozialdemokratie, jüdisch-marxistischem Geist und Freimaurertum, wie der Historiker schildert.
Für die Politikwissenschaftlerin Tamara Ehs sind die Ereignisse von 1933/34 ein „Playbook des Autokratismus“. Durchaus mit Relevanz für die Gegenwart, wie Eichinger betont. „Wir erleben derzeit in Europa, auch in Österreich, einzelne Akte, die auf eine Zerstörung der Demokratie hinweisen.“
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