Anpfiff im Prozess gegen Rapid-Fans

Der Reihe nach nahmen die 29 Fans Platz. Sie sind teilweise geständig, streiten den Landfriedensbruch ab.
29 wegen "Landfriedensbruch" auf der Anklagebank.

Freundschaftlich ging es nur auf dem Spielfeld zu, danach flogen die Fäuste, Flaschen und Heurigenbänke. Die tumultartigen Szenen nach dem Freundschaftsspiel zwischen dem SK Rapid Wien und dem 1. FC Nürnberg am 7. September des Vorjahres werden seit Mittwoch vor einem Schöffensenat juristisch aufgearbeitet. Im Gänsemarsch nahmen 29 angeklagte Rapid-Fans im geräumigen Lehrsaal des Wiener Landesgerichts Platz – mit Sicht auf drei Pinnwände.

Darauf hat Staatsanwältin Stefanie Schön die 52 Seiten starke Anklage in Bildern samt Beschreibungen aufbereitet. Sie stammen von Überwachungskameras. Die Anklägerin wählte drastische Worte: Sie schreibt von "blankem Hass" und "noch nie dagewesener Gewaltbereitschaft" der Fans gegen Polizisten und Ordner.

Die Palette an Vorwürfen ist breit und variiert je nach Angeklagtem: Sie reicht von (versuchter) schwerer Körperverletzung, schwerer Sachbeschädigung (34.600 Euro), Widerstand gegen die Staatsgewalt bis hin zu Landfriedensbruch, den Schön allen 29 zur Last legt.

Zur Erklärung: Der Paragraf erlaubt es, auch Mitläufer vor Gericht zu stellen. Es reicht, wenn sich hundert Personen versammeln und es zu Gewalt kommt. Vor der exzessiven Anwendung des Gesetzes warnte das Wiener Oberlandesgericht – und zwar in einer Berufungsverhandlung in genau der angeklagten Causa. Nicht jeder Teilnehmer sei automatisch Straftäter, mahnte der Berufungssenat. Anklang fand das offenbar nicht. Schön sprach von "Straßenschlachten" mit der Polizei, zu der sich die Fans verabredet hätten.

"Aus Situation heraus"

Widerspruch erntete sie von allen sieben Verteidigern. "Niemand hat sich verabredet, das entstand aus der Situation heraus", erklärt etwa Anwalt Nikolaus Rast.

Schwere Vorwürfe gegen die Anklagebehörde brachte Manfred Arthofer, Anwalt von gleich 22 Rapid-Fans, vor. Der Video-Zusammenschnitt der Staatsanwaltschaft sei "manipulativ" und das Rohmaterial nicht ausgehändigt worden. Genau das wird in der Verhandlung gezeigt. Arthofer: "Da sind Ordner zu sehen, die auf Fans hintreten." Man werde klar sehen, von wem die Gewalt ausging, sagt Arthofer. Fangruppen sprachen damals von ausufernder Gewalt durch die Polizei und Ordner.

Einige Angeklagte gestanden einzelne Taten, stritten aber das "Date" zum Landfriedensbruch ab. Auch jenes Drittel der Beschuldigten, die wegen des Delikts vorbestraft sind. Zwei, die voll geständig waren, fassten drei Monate bedingte Haft und ein sechsmonatiges Stadionverbot aus. Der Prozess läuft bis 1. August.

Bis Sonntag steht bei der Weltmeisterschaft noch Gourmetkost für den Fußballfan auf dem Programm, nur sechs Tage später gibt’s wieder Hausmannskost in der heimischen Fußballliga. Für echte Kicker-Fans kann es eben nie genügend Matches geben.

Anpfiff im Prozess gegen Rapid-Fans
APA18774448_10062014 - WIEN - ÖSTERREICH: Club-Präsident Michael Krammer während der Pressekonferenz am Dienstag, 10. Juni 2014, in Wien. FOTO: APA/HERBERT PFARRHOFER
Doch sogenannte echte Fans begingen in der vergangenen Saison – auch abseits der Partien – unverzeihliche Fouls am Image des heimischen Fußballs. Trauriger Höhepunkt war dieAttacke vor der Generali-Arena am Verteilerkreis im April. Junge Rapid-Chaoten schlugen den violetten Nachwuchskicker Valentin Grubeck nach dem Training grün und blau. Zehn Angeklagte müssen sich wegen Körperverletzung am 1. August vor Gericht verantworten. Bereits in zwei Wochen stehen die Rädelsführer der Straßenschlacht um das Hanappi-Stadion (Freundschaftsspiel gegen Nürnberg) in Wien vor Gericht. In diesem Fall gingen die Anhänger beider Teams auf die Polizei los. Laut Staatsanwaltschaft wird ein Rapid-Anhänger sogar in beiden Prozessen angeklagt. Hochdekorierte Rapidler beschuldigen die Polizei jedoch, damals beide Fan-Gruppen bewusst provoziert zu haben.

"Null-Toleranz-Politik"

"Das sind Kriminelle, die wir aus unseren Reihen vertreiben wollen", erklärte Rapid-Präsident Michael Krammer. Das Rapid-Präsidium wartet noch die Urteile ab. Dann drohen einigen Hooligans lebenslange Stadionverbote. Krammer kündigte in diesem Bereich eine "absolute Null-Toleranz-Politik" an.

Neben Straßenschlachten zwischen Fans und Polizei kommt es auf heimischen Fußballplätzen immer häufiger zu rechtsradikalen Sympathie-Kundgebungen, die weit in den Tatbestand der Wiederbetätigung hinein reichen. Ein extrem rasch wachsendes Phänomen in europäischen Stadien.

Anpfiff im Prozess gegen Rapid-Fans
APA14048168 - 07082013 - HAFNARFJÖRDUR - ISLAND: Austria-Präsident Wolfgang Katzian auf der Tribüne vor Beginn des Championsleague-Qualifikationsspieles FH Hafnarfjördur - FK Austria Wien am Mittwoch, 7. August 2013, in Hafnarfjördur. APA-FOTO: ROLAND SCHLAGER
Für Austria-Präsidenten und Spitzengewerkschafter Wolfgang Katzian kann es hier nur die Rote Karte geben: "Wir bringen alle strafrechtlich relevanten Vorfälle ausnahmslos zur Anzeige." Kritischer Nachsatz im KURIER-Gespräch: "Aber wir sind nicht die Behörde."

Katzian spielt damit den Ball an die Justiz weiter: "Während die Vereine ihre Hausaufgaben machen, sind bei dem Vorwurf der Wiederbetätigung die Urteile viel zu mild. Dieses strafrechtliche Vergehen wird von den Richtern viel zu oft als b’soffene Gschicht abgetan."

Katzian sieht in dieser Negativspirale auch einen gesellschaftspolitischen Hintergrund: "Vor allem bei der Wiederbetätigung müssen die Behörden genauer hinschauen und methodisch vorgehen." Er kündigte auch an, die von der Bundesliga ausgesprochenen Stadionverbote in der kommenden Saison rigoros durchzusetzen.

Die Kamera am Wiener Westbahnhof lieferte nichtssagende Bilder: Eine Horde von Rapid-Fans fuhr die Rolltreppe hinauf und wenig später wieder hinunter. Die Körperverletzungen und Sachbeschädigungen, die später ein Staatsanwalt anklagen wird, wurden von ihnen nicht dokumentiert. Das brauchte es auch nicht, denn die Anklagebehörde machte großzügigen Gebrauch von einem beinahe universell einsetzbaren ParagrafenLandfriedensbruch (§274 STGB). 75 Rapid-Fans wurden damals verurteilt – die meisten wegen Landfriedensbruch.

Einen "rechtspolitischen Wahnsinn" nennt das Werner Tomanek, der Anwalt mehrerer Rapid-Fans. "Ich war sprachlos." Der Paragraf ist ein Relikt im Strafgesetzbuch: Erfüllt ist er, wenn jemand "wissentlich" an einer Zusammenrottung teilnimmt, in deren Verlauf eine schwere Straftat passiert (siehe Infobox). Nicht die Tat entscheidet, sondern die Anwesenheit. Seine Wurzeln reichen bis ins 19. Jahrhundert und weiter zurück, als der "Landfriede" in Gefahr war.

Gesetzesreform

Anpfiff im Prozess gegen Rapid-Fans
Einige der 32 wegen Landfriedensbruch, Koerperverletzung und Sachbeschaedigungen angeklagten Fans des Fussballvereins Rapid Wien sitzen am Montag (03.10.11) in Wien vor Beginn des Prozesses im grossen Schwurgerichtssaal am Wiener Landesgericht. Am 21. Mai 2009 war es am Westbahnhof in Wien nach einem Heimspiel von Rapid Wien zu Ausschreitungen gekommen. In einer ersten Tranche wurde am Montag am Landgericht in Wien der Prozess gegen zunaechst 32 von insgesamt 85 Angeklagten eroeffnet. Foto: Ronald Zak/dapd
Für "unvereinbar" mit einem modernen Strafgesetz hält der Grüne-Justizsprecher Albert Steinhauser den Passus (siehe Interview unten). Sein Antrag, den Paragrafen aus dem Strafgesetzbuch zu entsorgen, wurde am Mittwoch im Justizausschuss vertagt und soll im Zuge der Strafgesetz-Reform behandelt werden. Für Gewaltdelikte oder Sachbeschädigungen gebe es eine juristische Handhabe, argumentiert Steinhauser. Der Paragraf sei "missbrauchsanfällig" und könne nur leicht gegen "breite Personengruppen" eingesetzt werden.

Der sogenannte "Westbahnhof-Prozess" ist kein Einzelfall. Gegen 517 Demonstranten gegen den FPÖ-Akademikerball zu Jahresbeginn liefen Ermittlungen wegen des Delikts. " Es besteht etwa ein erhöhtes Risiko für Personen, die an Demonstrationen teilnehmen", befürchtet Steinhauser. Am 23. Juli sitzen erneut 29 Rapid-Fans auf der Anklagebank, denen großteils Landfriedensbruch angelastet wird.

Strafrechtsprofessor Richard Soyer mahnt zu "großer Zurückhaltung" bei der Anwendung des Paragrafen, die er zuletzt als "irritierend" empfand. Er sei "grundsätzlich für eine solche Bestimmung. Das ist eine Grundfeste jeder Strafrechtsordnung". In einer funktionierenden Demokratie seien keine Umstürze zu fürchten. "Aber die Zeiten können sich auch ändern."

Tomanek warnt vor der "rechtsstaatlichen Grauzone" und bringt ein Beispiel: "Ich bin neugierig wie ein Hausmeister. Wenn sich bei einer Ansammlung was tut und Rapid-Fans dabei sind, die ich kenne, dann schaue ich mir das an – und bin schon verdächtig."

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