120 Jahren Wiener Linien: Welche Skurrilitäten schon mitfuhren

120 Jahren Wiener Linien: Welche Skurrilitäten schon mitfuhren
Nicht nur Fahrgäste wurden in den vergangenen 120 Jahren von den Wiener Linien durch die Stadt transportiert. Wissenswertes aus den frühen Jahren des Öffi-Verkehrs.

Sie gehören zu Wien wie die Gemeindebauten, ein weißer G’spritzter und unser weltbekannter Grant: die Wiener Linien. Seit 120 Jahren prägen sie nicht nur das Stadtbild, sondern Sprache, Kultur und Humor. Wenn einer etwa „mit dem 71er fährt“, dann weiß man, das heißt nichts Gutes. Wolfgang Ambros machte das „Schaffnerlos“ zu einem Hit, und Kabarettist Andreas Vitásek nannte eines seiner Programme „Kurzzugende“ (und wie passend für Wien: ein kleiner Tod spielte auch mit).

Pferde zogen die Straßenbahn

Öffentlichen Verkehr gibt es freilich länger als 120 Jahre. Hans Baierl, selbst einst Busfahrer, leitet das Verkehrsmuseum der Wiener Linien. „Schon 1865 sind von Pferden gezogene Straßenbahnen gefahren“, erzählt er. Damals waren private Betreiber verantwortlich, 1903 übernahm die Stadt den Betrieb – daher nun das 120-Jahr-Jubiläum.

Der Kaiser und die Tradition

In den Anfangstagen war übrigens noch nicht jeder ein uneingeschränkter Öffi-Fan: Dem Kaiser etwa missfielen die Oberleitungen, die zum Betrieb der Tramway nötig waren. „Sagen wir so: Ihm war Tradition lieber als Moderne“, erklärt Baierl und lacht. Um die Optik der Ringstraße nicht zu beeinträchtigen, wurde der Strom für die Straßenbahnen dort extra unter den Schienen geführt – leider ein „etwas störungsanfälliges System“, so Baierl.

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120 Jahren Wiener Linien: Welche Skurrilitäten schon mitfuhren

Während des Ersten Weltkriegs hielten Frauen den Betrieb der Wiener Linien aufrecht.

Während des Ersten Weltkriegs waren übrigens die Hälfte der Mitarbeiter Frauen, da die Männer im Kriegseinsatz waren: Sie arbeiteten etwa als Schaffnerinnen, verlegten Pflastersteine und hielten das System aufrecht.

Die Geschichte des Verkehrs erzählt also auch viel über das Leben der Menschen: In den 1920er-Jahren wuchs die Stadt, Gemeindebauten entstanden, Vorstädte wurden öffentlich angebunden. Man fuhr bereits in Drei-Minuten-Intervallen um den Ring, und die Stadtbahn (die heutige U6) wurde angekauft und elektrifiziert.

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Ein Doppelstockwagen der Linie 49 in den 1910er-Jahren: Leider ist kein Exemplar erhalten.

Auf die Größe kam es an

Auf der Linie 49 waren einst übrigens Doppelstockwagen unterwegs. „Leider ist keiner erhalten“, sagt Baierl. Und auch bei Menschen kam es auf die Größe an: Kinder wurden beim Einstieg bei markierten Haltestangen abgemessen. Wer unter 1,20 Meter lag, fuhr zum Halbpreis.

In den 1920er-Jahren hatte das Wiener Straßenbahnnetz kilometermäßig bereits eine Ausdehnung wie in Weltstädten wie Paris. „Man hat mit der Tramway nicht nur Fahrgäste, sondern auch Lebensmittel, Kohle oder Kranke transportier“, so Baierl. Und es gab eine Leichentram, die zwölf Särge fasste und zum Zentralfriedhof fuhr.

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Menschentrauben an den Waggons

Vielsagend sind auch Bilder aus der Nachkriegszeit, die regelrechte Menschentrauben an den Waggons zeigen – die Trittbrettfahrer: Das Land wurde wieder aufgebaut, jeder musste zur Arbeit.

Da der Fuhrpark im Zweiten Weltkrieg großteils zerstört worden war, waren in Wien ein paar „Amerikaner“ unterwegs: Straßenbahnwaggons, die aus New York importiert und hier neu lackiert wurden. „Diese Fahrzeuge waren sehr beliebt und sind bis in die 1960er-Jahre gefahren“, so Baierl. Heute zwar Kult, damals aber eher unbeliebt waren Stockautobusse, etwa der 13A. „Die Leute sind lieber unten gesessen, aus Sorge, sonst nicht rechtzeitig aussteigen zu können.“

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Bus

Erinnerungen an London: Bis in die 1990er-Jahre war der 13A als Doppelstockbus unterwegs .

Freilich kam es auch zu tragischen Ereignissen: Das bekannteste Bild ist wohl das eines Busses, der nach dem Einsturz der Reichsbrücke im August 1976 in der Donau landete. „Dem Lenker ist Gott sei Dank nichts passiert“, sagt Baierl. „Er ist drei Stunden auf dem Dach gesessen und hat auf seine Rettung gewartet.“ Der Bus wurde repariert und war bis 1989 im Dienst. Nun kann man ihn im Verkehrsmuseum besichtigen.

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Am 1. August 1976 stürzte die Reichsbrücke ein. Der Bus war noch bis 1989 in Betrieb, heute steht er im Verkehrsmuseum.

Und heute? Da verbindet man die Wiener Linien wohl in erster Linie mit der U-Bahn. Die Bauarbeiten begannen 1969 am Karlsplatz. „Anfangs waren viele skeptisch: Es hieß, wozu brauchen wir so etwas Teures überhaupt“, beschreibt Baierl. Heute ist sie aus der Stadt nicht wegzudenken, der Grant über den U-Bahn-Bau ist gewichen: „Der blaue U-Bahn-Würfel steht mittlerweile für die schnellste Fortbewegung in der Stadt.“

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