Während des Ersten Weltkriegs waren übrigens die Hälfte der Mitarbeiter Frauen, da die Männer im Kriegseinsatz waren: Sie arbeiteten etwa als Schaffnerinnen, verlegten Pflastersteine und hielten das System aufrecht.
Die Geschichte des Verkehrs erzählt also auch viel über das Leben der Menschen: In den 1920er-Jahren wuchs die Stadt, Gemeindebauten entstanden, Vorstädte wurden öffentlich angebunden. Man fuhr bereits in Drei-Minuten-Intervallen um den Ring, und die Stadtbahn (die heutige U6) wurde angekauft und elektrifiziert.
Auf die Größe kam es an
Auf der Linie 49 waren einst übrigens Doppelstockwagen unterwegs. „Leider ist keiner erhalten“, sagt Baierl. Und auch bei Menschen kam es auf die Größe an: Kinder wurden beim Einstieg bei markierten Haltestangen abgemessen. Wer unter 1,20 Meter lag, fuhr zum Halbpreis.
In den 1920er-Jahren hatte das Wiener Straßenbahnnetz kilometermäßig bereits eine Ausdehnung wie in Weltstädten wie Paris. „Man hat mit der Tramway nicht nur Fahrgäste, sondern auch Lebensmittel, Kohle oder Kranke transportier“, so Baierl. Und es gab eine Leichentram, die zwölf Särge fasste und zum Zentralfriedhof fuhr.
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Menschentrauben an den Waggons
Vielsagend sind auch Bilder aus der Nachkriegszeit, die regelrechte Menschentrauben an den Waggons zeigen – die Trittbrettfahrer: Das Land wurde wieder aufgebaut, jeder musste zur Arbeit.
Da der Fuhrpark im Zweiten Weltkrieg großteils zerstört worden war, waren in Wien ein paar „Amerikaner“ unterwegs: Straßenbahnwaggons, die aus New York importiert und hier neu lackiert wurden. „Diese Fahrzeuge waren sehr beliebt und sind bis in die 1960er-Jahre gefahren“, so Baierl. Heute zwar Kult, damals aber eher unbeliebt waren Stockautobusse, etwa der 13A. „Die Leute sind lieber unten gesessen, aus Sorge, sonst nicht rechtzeitig aussteigen zu können.“
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Freilich kam es auch zu tragischen Ereignissen: Das bekannteste Bild ist wohl das eines Busses, der nach dem Einsturz der Reichsbrücke im August 1976 in der Donau landete. „Dem Lenker ist Gott sei Dank nichts passiert“, sagt Baierl. „Er ist drei Stunden auf dem Dach gesessen und hat auf seine Rettung gewartet.“ Der Bus wurde repariert und war bis 1989 im Dienst. Nun kann man ihn im Verkehrsmuseum besichtigen.
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Und heute? Da verbindet man die Wiener Linien wohl in erster Linie mit der U-Bahn. Die Bauarbeiten begannen 1969 am Karlsplatz. „Anfangs waren viele skeptisch: Es hieß, wozu brauchen wir so etwas Teures überhaupt“, beschreibt Baierl. Heute ist sie aus der Stadt nicht wegzudenken, der Grant über den U-Bahn-Bau ist gewichen: „Der blaue U-Bahn-Würfel steht mittlerweile für die schnellste Fortbewegung in der Stadt.“
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