Kontroverse Frau: Alice Schalek jenseits von Karl Kraus' Schatten

Frau auf Schwarz-Weiß-Foto mit Kamera
Alice Schalek war eine der ersten Journalistinnen Österreichs und wurde als böse Karl-Kraus-Figur bekannt. Ein Buch zeigt neue Seiten.

"Eines der ärgsten Kriegsgräuel" war sie einst für den Schriftsteller Karl Kraus. In der Fackel nannte er Alice Schalek ein "Frauenzimmer", das "obszöne Tagebuchblätter" verfasse. Sein Urteil: "Pfui Teufel!"

Einzementiert war ihr schlechter Ruf dann, als Kraus eine Figur seines Stücks "Die letzten Tage der Menschheit" nach Schalek benannte: eine kriegslüsterne, skrupellose Reporterin.

Doch wer war Alice Schalek wirklich? Die Kultur- und Sozialanthropologin Gabriele Habinger von der Universität Wien beleuchtet die Facetten der umstrittenen Journalistin nun in einem Buch.

Zudem enthält das Buch Schaleks Reportagen aus Afrika, Indien und Nord- und Südamerika aus den 1920er- und 1930er-Jahren.

Untergriffige und frauenfeindliche Kritik

"Karl Kraus hat sie ganz fürchterlich beschrieben, als Mannsweib", sagt Habinger im KURIER- Interview. Wie sie im Buch darlegt, war Schaleks Kriegsberichterstattung über den Ersten Weltkrieg in der Tat kein Ruhmesblatt, vieles war propagandistisch.

"Es ist aber zu kurz gegriffen, sie darauf zu reduzieren", betont Habinger. "Denn die Kritik war untergriffig und frauenfeindlich. Kraus hat sich an jüdischen Frauen gestoßen, wenn sie in der Öffentlichkeit gestanden sind."

Geboren ist Schalek am 21. August 1874. Sie entstammt einer liberalen, gebildeten, jüdischen Familie. Der Daseinszweck höherer Töchter jener Zeit war, eine standesgemäße Ehe zu führen; Aktivitäten beschränkten sich meist auf Näharbeiten oder ein paar karitative Tätigkeiten.

Nicht so bei Alice Schalek: "Sie wollte so leben, wie sie es sich vorstellte", beschreibt Habinger. Da die Schaleks fortschrittlich waren, durften Alice und ihre Schwester im Winter eislaufen und im Sommer am Land Dirndl tragen: Eine Emanzipation von der strengen Kleiderordnung in den Städten, wo Frauen schmerzende Mieder und unhandliche Hüte trugen. Während dieser lockeren Tage der Sommerfrische entdeckte Schalek auch ihre große Liebe zum Bergsteigen.

Eine der ersten Journalistinnen

Eine Vernunftehe wollte sie nie führen, stattdessen engagierte sie sich als eine der ersten Frauen im Journalismus. Ihr erster Reisebericht über eine Fjordfahrt in Skandinavien erschien 1903 – noch unter einem Pseudonym – in der Neuen Freien Presse. Viele Reiseberichte folgten, auch in internationalen Medien wie dem National Geographic.

Schalek dürfte zudem eine gute und humorvolle Rednerin gewesen sein. Und sie fotografierte, wo immer sie auch war – "sicher fast ein bisschen penetrant", sagt Habinger und lacht. Ihre Vorträge mit kolorierten Lichtbildern füllten Säle in Wien. Begehrt waren etwa ihre Schilderungen aus Neuguinea, Samoa und Hawaii.

Im Auswandererschiff nach Südamerika

"Sie hat sich aber auch sehr für die Frauenbewegung eingesetzt. Und ihre späten Reportagen waren auf Soziales und das Leben einfacher Menschen fokussiert", so Habinger. So begleitete sie ein Auswandererschiff nach Südamerika und schrieb über Schicksale und geplatzte Träume österreichischer Exilanten. Zu jener Zeit trat Schalek auch Kriegs-kritisch auf und sprach sich für die bedingungslose Anerkennung der Menschenrechte aus: Eine weitere Facette dieser Persönlichkeit mit vielen widersprüchlichen Eigenschaften.

Obwohl sie zum Protestantismus übergetreten war, musste sie schließlich vor den Nazis flüchten. 1940 landete sie in New York, über ihr Leben hier ist kaum etwas bekannt. Sie starb 1956 mit 82 Jahren in einem Pflegeheim.

Ein ruinierter Ruf

Was überlebte, war das Bild, das Kraus erschaffen hatte. Alice Schalek hatte einst übrigens eine Beleidigungsklage eingereicht; ihr Bruder Norbert den Schriftsteller gar zum Duell gefordert. Doch der Ruf blieb ruiniert – bis heute.

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