Ärzte wollen keine Spitzel im Haus

Mehr Ehrlichkeit im Wiener Spitalsärztestreit
Kampagne gegen Testpatienten der Versicherungen, die Betrug aufdecken sollen.

Die Sommerpause war nur kurz. Nach dem – mittlerweile beigelegten Streit um die Arbeitszeit in den Spitälern – schaltet die Wiener Ärztekammer schon wieder in den Protest-Modus. Mit Plakaten, Inseraten und einer Online-Unterschriftenaktion macht sie seit Montag gegen das ab Jänner geplante Mystery-Shopping in den Arzt-Ordinationen mobil.

Der Hintergrund: In der Vorwoche beschloss der Nationalrat das Sozialbetrugsbekämpfungsgesetz, mit dem zum Teil die Steuerreform gegenfinanziert werden soll. Damit sollen unter anderem ab 1. Jänner dem Krankenstands- und eCard-Missbrauch der Kampf angesagt werden. Die Sozialversicherungen können künftig im Verdachtsfall Test-Patienten zur Überprüfung ärztlicher Leistungen in die Ordinationen ausschicken. Damit sollen zum Beispiel Ärzte überführt werden, die ihre Patienten allzu leichtfertig krank schreiben. 15 Millionen Euro an Mehreinnahmen erhofft sich das Finanzministerium dadurch.

"Vertrauensbruch"

Die Ärztevertreter schäumen: Das Mystery Shopping bedeute einen "unwiderruflichen Vertrauensbruch in der Beziehung zwischen Arzt und Patient", sagt Johannes Steinhart, Vizepräsident der Wiener Ärztekammer. Denn wenn Ärzte zukünftig nicht mehr sicher sein könnten, dass Patienten ihnen gegenüber nicht mehr die Wahrheit sprechen, seien sie gezwungen, sich zusätzlich abzusichern – etwa durch zusätzliche Untersuchungen oder "Sicherheitsüberweisungen" zu Fachärzten. "Das bedeutet nicht nur eine zusätzliche Belastung für die Patienten. Das staatlich legitimierte Spitzelwesen wird auch den Steuerzahlern eine Menge Geld kosten", warnt Steinhart. Somit werde das ursprüngliche Ziel der Maßnahme ad absurdum geführt. "Wenn nur zehn Prozent der Patienten, die heute krankgeschrieben werden, zusätzlich überwiesen werden, steigen die Facharzt-Kontakte um 600.000, die 26,4 Millionen Euro kosten", rechnet Gesundheitsökonom Ernest Pichlbauer in einem Beitrag auf medonline.at vor.

Im Hauptverband der Sozialversicherungsträger kann man die Bedenken nicht nachvollziehen: "Es werden ja nicht zu sämtlichen Ärzten Mystery Shopper hingeschickt. Nur zu solchen, bei deren Abrechnungen es Auffälligkeiten gibt", sagt ein Sprecher. Anders als mit Testpatienten ließen sich ungerechtfertigte Krankschreibungen nur schwer aufdecken. So komme es vor, dass der Patient diese von der Sprechstundenhilfe bekomme, ohne den Arzt gesehen zu haben.

Ähnlich argumentiert man auch im Gesundheitsministerium: "Ein Arzt, der korrekt abrechnet, braucht sich nicht zu fürchten", betont eine Sprecherin. Obendrein setze die Wiener Gebietskrankenkasse (WGKK) schon seit Jahren Mystery Shopper ein, um Schwarze Schafe unter den Ärzten aufzudecken. Auf beachtliche finanzielle Einsparungen kann man dort bis dato allerdings noch nicht verweisen (unten).

Details noch offen

Trotz des auch bundesweit nur punktuell geplanten Einsatzes der Testpatienten geht man im Ministerium nach wie vor aus, dass die Maßnahme die Ausgaben der Versicherungen tatsächlich um rund 15 Millionen Euro verringern könnte.

Derzeit ist allerdings noch nicht einmal klar, wie das Gesetz in den Bundesländern konkret umgesetzt wird. Entsprechende Richtlinien müsse der Hauptverband laut Gesundheitsministerium erst ausarbeiten.

Bei der Wiener Gebietskrankenkasse (WGKK) setzt man Testpatienten schon seit 2011 ein, was schon damals wütende Proteste der Ärztekammer nach sich zog.

Freilich: Bisher rückten die Mystery Shopper der WGKK gerade einmal in acht Fällen aus, um konkrete Verdachtsfälle hinsichtlich ungerechtfertigter Krankschreibungen zu überprüfen. Demgegenüber stehen 1600 Vertragsärzte der WGKK. "Wir wenden Mystery Shopping immer als letztes Mittel an", sagt Marina Roller von der zuständigen Abteilung "Missbrauch-Entdecken-Prävention". Die WGKK ist bis dato der einzige Versicherungsträger, der über eine solche Gruppe verfügt.

Die Testpersonen gaben in der Ordination an, gesund zu sein, aber trotzdem eine Krankschreibung zu benötigen, die sie zum Teil auch tatsächlich erhielten. Die Konsequenzen: "In vier Fällen wurde eine Kündigung des Vertragspartners ausgesprochen, in einem Fall wurde der Arzt verwarnt, zwei Mal wurde die Verdachtslage entkräftet", rechnet Roller vor. In einem Fall war die Ordination übrigens bereits gesperrt, ehe die Testpatienten anrücken konnten.

Unklar bleibt allerdings die Höhe des Schadens, der dadurch von der WGKK abgewendet werden konnte. "Bei den Krankschreibungen lässt sich das nur schwer beziffern", sagt Roller.

Einfacher ist dies bei anderen Unregelmäßigkeiten. Etwa bei verrechneten Leistungen, die nicht erbracht worden sind. "Hier haben wir allein für das Jahr 2014 einen Schaden von zwei Millionen Euro aufzeigen können, der zum Teil wieder eingebracht wurde", sagt Expertin Roller. Um solche Missbrauchsfälle aufzudecken, werden aber keine Mystery Shopper eingesetzt. Hier genügt oft bereits eine Befragung der Patienten.

Ob man wegen des neuen Gesetzes künftig öfter Testpatienten ausschickt, weiß man bei der WGKK noch nicht. Roller: "Wir warten noch auf die entsprechenden Anweisungen aus dem Hauptverband."

Kommentare