"Ärzte ohne Grenzen" finanzieren Therapieplätze für Flüchtlinge

Cecilia Heiss (Geschäftsführerin Hemayat) und Maragetha Maleh (Präsidentin Ärzte ohne Grenzen Österreich)
Der Verein "Hemayat" erhält drei Jahre jeweils 150.000 Euro für die Therapie von Flüchtlingen.

Ali ist vier Jahre alt und kommt aus dem Iran. Er hat panische Angst vor Wasser. Seine Angst ist so groß, dass er nicht einmal auf einer Brücke über die Donau spazieren möchte. 2015 ist er mit seinen Eltern aus dem Iran geflüchtet - in einem Schlauboot über das Mittelmeer. Auf dem Boot freundete sich Ali mit Ahmed an. Doch Ahmed ertrank bei der Überführ. Ali und seine Eltern überlebten - sie hatten Schwimmwesten.

Es sind kleine Kinder wie Ali (Name von der Redaktion geändert), denen beim Wiener Verein Hemayat geholfen wird. Seit 1995 bietet der gemeinnützige Verein Therapiemöglichkeiten für trauamatisierte Flüchtlinge. Doch das Angebot reicht bei Weitem nicht mehr aus. Derzeit werden bei Hemayat 753 Personen aus 498 Nationen betreut, heuer wird die Zahl vermutlich auf etwa 1000 ansteigen. "Vorige Woche hatten wir an einem einzigen Tag allein zehn Anmeldungen", sagt Cecilia Heiss, Geschäftsführerin von Hemayat. 415 weitere Personen stehen bereits auf der Warteliste. Die Flüchtlinge, die bei Hemayat Therapien erhalten, leiden oft unter einer sogenannten Posttraumatischen Belastungsstörung, also einer verzögerten psychischen Reaktion auf ein extrem belastendes Ereignis. Viele haben massive Schlafstörungen, Flashbacks, Depressionen oder psychsomatische Schmerzattacken.

Es sind Leiter von Deutschkursen, die sich bei Hemayat melden, weil sich Kursteilnehmer aufgrund von Schlafstörungen oft nicht konzentrieren können. Es sind Lehrer, die melden, dass Schüler Situationen aus dem Krieg in der Klasse nachspielen und damit eine ganze Klasse verstören. Ärzte melden Selbstmordversuche und WG-Betreuer, dass sich jugendliche Flüchtlinge ritzen oder so lange mit dem Kopf gegen die Wand schlagen, bis Blut fließt. "Das sind alles Dinge, wo wir nicht sagen können: Kommen Sie bitte im nächsten Jahr wieder", sagt Heiss. Doch wer Therapie in Anspruch nehmen will, muss derzeit bis zu 18 Monate warten.

Bedarf ist groß

Jetzt greifen die "Ärzte ohne Grenzen" dem Verein unter die Arme: Drei Jahre lang stellen die Ärzte jährlich 150.000 Euro zur Verfügung. Damit kann Hemayat fünf Therapeutinnen anstellen, ein Kunsttherapieprojekt für Kinder und Jugendliche und Bewegungstherapie für Erwachsene umsetzen. Bei einer Bedarfserhebung haben die "Ärzte ohne Grenzen" festgestellt, dass zwar der Zugang zur medizinischen Versorgung über die Grundversorgun gut funktioniere, es aber an öffentlichen Therapieangeboten fehle. Und zwar in Oberösterreich, der Steiermark und vor allem in Wien, wo die meisten Asylwerber leben. "Wir wissen, dass viele Menschen, die in Europa Schutz suchen, traumatisiert sind", sagt Margaretha Maleh, Präsidentin von "Ärzte ohne Grenzen"-Österreich.

Maleh geht von etwa zwei Drittel aller Geflüchteten aus, die psychologische Unterstützung benötigen würden. "Und je länger man wartet, desto schwieriger wird die Behandlung", sagt Maleh. Und nicht nur das: "Bleiben die Symptome unbehandelt, ist ein normales Alltagsleben nicht möglich", sagt Hemayat-Chefin Cecilia Heiss. Nachsatz. "Und auch keine Integration".

"Ärzte ohne Grenzen" finanzieren Therapieplätze für Flüchtlinge
Nora Ramirez Castillo ist Therapeutin beim Verein Hemayat für traumatisierte Flüchtlinge.
Derzeit sind es vor allem Flüchtlinge aus Tschetschenien, Afghanistan, dem Iran, Syrien und dem Irak, die bei Hemayat betreut werden. Im Durchschnitt erhält jeder Klient 8 bis 10 Stunden Therapie. Die meisten Klienten sind Erwachsene, aber auch immer mehr Jugendliche werden therapiert. So auch der 15-Jährige Momo aus Afghanistan. "Sein ganzer linker Arm war von oben bis unten übersät mit Ritzen", erzählt Therapeutin Nora Ramirez Castillo. Momo hatte sich selbst verletzt. "Um Spannungen abzubauen", sagt die Therapeutin.

Viele Jugendliche stünden unter einem enormen Druck: Die Eltern zu Hause setzen oft all ihre Erwartungen in sie. Langwierige Asylverfahren und ein ungeklärter Asylstatus würden die Therapien zusätzlich verzögern. "Solange Menschen diesem Stress ausgesetzt sind, können sie nicht ihre Vergangenheit bewältigen", sagt Ärztin Maleh. Und: "Langzeitfolgen müssen immer mitbedacht werden." Wer psychische Probleme hat, könne oft nicht arbeiten, manchmal nicht einmal das Haus verlassen, sich nicht integrieren. Das sei auch ein Handlungsauftrag an die Politik.

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