Abgang bei Wiener ÖVP: Blaue Familienbande, türkise Absetzbewegung

Abgang bei Wiener ÖVP: Blaue Familienbande, türkise Absetzbewegung
Der abtrünnige ÖVP-Mann Wolfgang Kieslich hat nach seinem Wechsel zur FPÖ nicht die beste Nachrede: „Er reißt keine Lücke.“ Internes Lob gibt es für ÖVP-Chef Karl Mahrer.

Wehe, wenn sie losgelassen. Bis vor zwei Tagen stellte sich die Wiener ÖVP stets zähneknirschend, aber doch schützend vor ihren Gemeinderat Wolfgang Kieslich, wenn es wieder einmal Ärger gab. (Und den gab es öfter.)

Seit vorgestern, zirka 10.20 Uhr, ist es damit vorbei. Erst wenige Minuten, bevor Kieslich mit FPÖ-Chef Dominik Nepp vor die Kameras trat und seinen Parteiwechsel verkündete, informierte er seine künftigen Ex-Chefs über sein Vorhaben. Ganz schlechter Stil, klagt man in der ÖVP. Und schießt sich nun auf den 45-jährigen Überläufer ein.

Kieslichs Abgang „reißt inhaltlich keine Lücke in die ÖVP“, heißt es. „Nur um das verlorene Mandat ist es schade.“ Tatsächlich büßt die ÖVP nicht nur einen Sitz im Gemeinderat ein. Auch den Platz in den Ausschüssen, in denen Kieslich sitzt, nimmt er mit zu den Blauen. Konkret betrifft das den Verkehrs- und den Petitionsausschuss.

Wilder Abgeordneter

Bei der gestrigen Sondersitzung des Gemeinderats musste Kieslich, der jetzt formal ein wilder Abgeordneter ist, bereits seinen neuen Platz suchen. Er sitzt nun in der letzten Reihe neben den FPÖ-Mandataren.

Wie es zum Bruch mit der ÖVP kam? Kieslich selbst nannte die Impfpflicht als „rote Linie“. Er sorgte vor einigen Monaten innerhalb der Fraktion für Kopfschütteln, weil er als einziger Abgeordneter ungeimpft war. Die zunehmende Polarisierung rund um das Thema dürfte für Kieslich tatsächlich eine Belastung gewesen sein: Er ist privat mit einer Wiener FPÖ-Politikerin liiert.

Das wiederum soll ein Mitgrund dafür sein, dass die ÖVP in Kieslichs Heimatbezirk Simmering schon vor Monaten den Aufstand probte. Man versuchte, ihn als Bezirksparteichef loszuwerden, war aber zu ungeschickt, intern Mehrheiten zu organisieren. Im Dezember ging er freiwillig.

Die "türkise Blase"

Tatsächlich steckt mehr als nur das hinter dem Abgang – und das macht die Angelegenheit für den neuen Wiener ÖVP-Chef Karl Mahrer unangenehm. Er ist gerade bemüht, der Partei einen neuen Auftritt als „konstruktive Oppositionspartei“ zu verpassen.

Kieslich ist – oder war – der türkisen Blase um den geschiedenen Parteichef Gernot Blümel zuzurechnen. (Blümel soll es auch gewesen sein, der Kieslich „protegiert hat“, heißt es. „Bei der nächsten Wahl hätte er von uns sicher kein Mandat mehr bekommen.“)

Kieslich steht daher auch für die schleichende türkise Absetzbewegung in der Wiener ÖVP, die mit Bernadette Arnoldner den Anfang nahm. Arnoldner zog sich als Landesgeschäftsführerin zurück, als Mahrer kam. Sie sitzt derzeit im Gemeinderat, bis ein lukratives Angebot aus der Privatwirtschaft kommt.

Krisenmanagement

Das Naheverhältnis von Kieslich und Arnoldner ist verbrieft. Ebenfalls Mitglied des Freundeskreises: Manfred Juraczka, Ex-Landesparteichef mit Naheverhältnis zu Sebastian Kurz. Kieslich und die FPÖ deuteten an, dass es weitere Überläufer geben könnte. Dass es sich dabei um prominente Namen handelt, wird in der ÖVP aber ausgeschlossen.

Internes Lob gab es gestern übrigens für Mahrers Krisenmanagement. Er lud die Funktionäre am frühen Nachmittag zu einem (digitalen) Treffen, um über die Vorkommnisse zu sprechen. „Unter Blümel hätte es bei vergleichbaren Fällen auch Tage nachher noch keine Reaktion der Parteispitze gegeben“, heißt es.

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