48er-Tandler: Wie die Schätze im Wiener Mist neue Käufer finden

Zwei Mitarbeiter der 48-Tandler in Wien beim Arbeiten
Abfallvermeidung ist das oberste Ziel des Altwarenmarkts der MA48. Doch der Tandler ist längst mehr als das – und feierte diese Woche in Margareten sein zehnjähriges Bestehen.

Sind das stiefelförmige Stamperlglas, das man noch nie verwendet hat, das ausgemusterte Shirt oder der alte Föhn für den Mist bestimmt? Nur eine Frage der Perspektive. Besonders deutlich wird das bei einem Besuch im 48er-Tandler in Margareten.

Denn des einen Müll ist bekanntermaßen des anderen Schatz. „Der 48er-Tandler ist gelebte Abfallvermeidung“, sagt 48er-Sprecherin Sandra Holzinger. Und das seit genau zehn Jahren, als die große Halle in der Siebenbrunnenfeldgasse erstmals ihre Tore öffnete.

Wir sind schon auch eine kleine Bastion gegen die Teuerungswelle.

von Markus

Mitarbeiter 48er-Tandler

Gerade begutachtet eine Dame mit rötlich gefärbten Haaren die Vasen. „Ich schau’ aber nur“, sagt sie. Untergraben wird diese Aussage durch den großen Einkaufswagen, den sie vor sich herschiebt. Die Auswahl ist groß: Bleikristallvasen, Tennisschläger, Kinderspielzeug, Dampfgarer. Kaum etwas, das es hier nicht gibt, circa 150 Produktkategorien sind im Angebot.

Von der Box ins Geschäft

„Der Kleiderkasten daheim ist übervoll, im Keller steht allerhand, das man nie mehr braucht. Und statt es wegzuwerfen, hat jemand anderes noch eine Freude damit“, erklärt Holzinger das Konzept. Jährlich werden so rund 300 Tonnen Abfall eingespart.

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Die Kinderfahrräder, Dreiräder oder Roller werden vor Ort gleich ausprobiert. 

Die beiden Standorte in Margareten und Donaustadt sind an die „48er-Tandler-Boxen“ gekoppelt, die auf allen Wiener Mistplätzen stehen. Dort kann jeder unkompliziert seinen noch brauchbaren „Tand“ abgeben. Dieser wird eingesammelt, überprüft und im Logistikzentrum sortiert, bevor er an die 48er-Tandler verteilt wird. 

Drei Lkws sind täglich in Wien in Sachen Tandlerware im Einsatz. „Nachschub ist nie ein Problem“, sagt Holzinger. „Die Kollegen schlichten täglich neue Ware nach.“ Einzig die Kategorie Herrenmode ist vergleichsweise rar.

Textilwaren zum Verkauf

Der Einkauf ist hier auch mit kleinem Budget leistbar.  

Ein älterer Mann im Strohhut kommt mit seiner eigenen Bassgitarre zur Kassa, um einen Verstärker zu testen. Bald hallen die Bassklänge durch das Geschäft. Er ist zufrieden, 150 Euro wechseln den Besitzer. „Wissen’s, ich wohne ums Eck und komme regelmäßig vorbei. Alle meine Lampen und Kaffeehäferl habe ich hier gefunden, sogar einen Rollator für meine Mutter, um 20 Euro!“, erzählt der Mann, der sich als Roland vorstellt. Was wäre sein Traumfund? „Eine 60er Telecaster – aber das bleibt wohl ein Wunschtraum“, sagt er und lacht.

Die Kundschaft beim 48er-Tandler ist, auch an diesem Tag, sehr bunt gemischt: Mütter mit Kindern, die in den breiten Gängen allerhand Unfug treiben, Bobo-Musikfans, die mit konzentriertem Blick Kisten voller Schallplatten durchschauen, ältere Paare beim Nachmittagsbummel und die zwei Teenies Luisa und Viola. Beide sind zum ersten Mal hier, weil sie „ältere Dinge aus den 80er-Jahren suchen“, mit denen sie ihre Zimmer umdekorieren wollen.

Soziale Komponente

Viele kommen aber auch, weil sie sich den Einkauf anderswo nicht mehr leisten können. „Wir sind schon auch eine kleine Bastion gegen die Teuerungswelle“, sagt Markus. Er arbeitet seit fast zehn Jahren hier und sorgt dafür, dass an der Kassa der Schmäh rennt.

Elektrische Gitarre mit Verstärker

Der  Verstärker hat einen neuen Besitzer. 

„Machen wir 13 Euro, aber dafür schließen Sie mich in Ihre Gebete ein“, sagt er zu einer Dame, die sich über den guten Deal sichtlich freut. Viele der Kunden kennen die Mitarbeiter hier schon lange. „Unsere Stammgäste wohnen oft hier in der Nähe und kommen am Weg zum Supermarkt täglich hier vorbei, manchmal sogar mehrmals. Die machen dann so eine Art Grätzeltreff daraus“, erzählt Markus. „Manche bringen uns sogar Krapfen. Wir haben so leiwande Kunden.“

Dass die Initiative eine wichtige soziale Komponente erfüllt, zeigt sich aber auch daran, dass die Erlöse ausschließlich an karitative Einrichtungen, vorwiegend ans Tierquartier, gehen. Mit der Ware werden aber auch Flüchtlingseinrichtungen oder Obdachlosenheime direkt unterstützt.

Die Dame mit den rötlichen Haaren kommt an die Kassa, ihr Einkaufswagen ist gut gefüllt. Mit dem „nur Schauen“ hat es vielleicht nicht so gut geklappt. Aber dafür ist der Müllberg in Wien wieder ein Stückchen kleiner geworden.

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