258 Anzeigen wegen Gewalt an Wiener Schulen

(Symbolbild)
Runder Tisch: Suspendierungen von Schülern werden neu geregelt. Polytechnische Schulen bekommen eigene Deutschförderung.

Nach dem zweiten Runden Tisch zum Thema Gewalt und Radikalisierung an Wiener Schulen präsentieren Stadtschulrat und Polizei erste Ergebnisse. So gibt es nun erstmals aussagekräftiges Datenmaterial zu Gewaltdelikten an Schulen und darauf basierende Maßnahmen. "Eine klare Null-Toleranz-Haltung gegenüber Gewalt an Schulen" sei Konsens aller am Runden Tisch Beteiligter, sagt Stadtschulratspräsident Heinrich Himmer.

Wie Erhebungen von Polizei und Stadtschulrat zeigen, kam es in den rund 700 Wiener Schulen im Schuljahr 2017/18 zu insgesamt 258 Anzeigen und 278 Suspendierungen. 245 Schüler wurden nach disziplinären Problemen vorübergehend vom Unterricht ausgeschlossen (was bedeutet, dass einige mehrmals suspendiert wurden). Am Häufigsten kam es in der Altersgruppe der 12- bis 15-Jährigen zu Schulverweisen - in erster Linie betraf das Burschen. Im Schnitt wurden die Schüler 12 Tage lang suspendiert. Insgesamt gibt es in Wien rund 230.000 Schüler.

229 Anzeigen erfolgten nach strafbaren Handlungen gegen Leib und Leben (z.B. Körperverletzung), 12 nach Freiheitsdelikten (z.B. Nötigung oder Gefährliche Drohung) und 17 nach Vergehen gegen die sexuelle Integrität und Selbstbestimmung (z. B. sexuelle Belästigung). Die Anzeigen sind nicht gleichmäßig über ganz Wien verteilt, sondern konzentrieren sich im Wesentlichen auf etwa 25 sogenannte Brennpunktschulen. Welche das sind, will man aus Rücksicht auf die jeweiligen Standorte nicht kommunizieren.

Begleitmaßnahmen bei Suspendierungen

Kinder und Jugendliche dürften nicht kriminalisiert werden, sagt Himmer und verweist im Zusammenhang mit Gewalt und Radikalisierung auf schwierige familiäre Verhältnisse in vielen Fällen. Auch mangelnde Deutschkenntnisse können die Bereitschaft, gewalttätig zu werden, erhöhen. Um die Problematik nicht aus dem Blick zu verlieren, schnürte die Stadt in enger Kooperation mit der Polizei nun ein Maßnahmenpaket - das Himmer am Dienstag gemeinsam mit Wiens Polizeivizepräsident Michael Lepuschitz vor Journalisten präsentierte.

Darin enthalten sind unter anderem übersichtliche Broschüren für Lehrer, Eltern und Schüler, die über Rechte und Pflichten informieren. Bzw. über Konsequenzen bei Vergehen. Die Broschüre ist auch auf der Website www.gegen-gewalt-an-schulen.at abrufbar.

Darüber hinausgehend führt die Stadt Wien Begleitmaßnahmen zu den an sich bundesgesetzlich geregelten Suspendierungen ein. Anders als bisher sollen die (durchschnittlich 12 Tage) vom Unterricht ausgeschlossenen Schüler die Zeit ihrer Strafe nicht faul in der Hängematte liegen bzw. ohne Betreuung verbringen können, sondern in einer Vereinbarung mit der Schule verpflichtet werden, die versäumte Leistung trotzdem zu erbringen. Die benötigten Materialen müssen sie sich aus der Schule abholen. "Ansonsten werden die Probleme noch größer, wenn der Schüler zwei Wochen Stoff versäumt und dann zurückkommt", erklärt Himmer.

Polizei warnt vor krimineller Zukunft

Weiters ist ein verpflichtendes Gespräch mit der Schulpsychologie vorgesehen. Und ein sogenanntes Normverdeutlichungsverfahren durch das Landeskriminalamtes (LKA). "Darin erklären Kriminalpräventionsexperten den suspendierten Schülern, was ihr Verhalten auslösen kann - wie sich etwa eine Vorstrafe auf ihre Ausbildungs- und Jobchancen auswirkt", sagt Lepuschitz. Man wolle dafür sorgen, "dass die Schüler keine Klienten der Polizei werden".

Apropos Exekutive. Die wird für die Schulen auf mehreren Ebenen Ansprechpartner sein. Zum einen über die sogenannten Grätzelpolizisten, an die sich Schulen bei Problemen unmittelbar wenden können. Zum zweiten eruiert das LKA nun, an welchen Schulen Gewalt-, Suchtmittel- oder auch Cybercrime-Prävention nötig wäre. Wo Bedarf besteht werden allgemeine Informationsprogramme angeboten. Und drittens wird das Landesamt für Verfassungsschutz (wie auch schon bisher) bei Fällen von Radikalisierung und Extremismus aktiv.

Sonderprojekt für Polytechnische Schulen

Für die 13 Wiener Polytechnischen Schulen, "die als einjährige Schulform eine Vielzahl an sozialen Herausforderungen im großstädtischen Bereich vereinen", einigten sich die 46 Teilnehmer am Runden Tisch - darunter alle Rathausparteien, sämtliche Religionsgesellschaften, Lehrergewerkschaft, Kinder- und Jugendanwaltschaft, Schülervertreter, Unterrichtsministerium, Stadtschulrat und Polizei - auf ein eigenes Präventionsprojekt. Für die insgesamt 2600 Schüler wird es künftig im Stadtschulrat einen sogenannten "Case Manager" geben, der jeden einzelnen Fall eines suspendierten Schülers individuell begleitet und den Bedarf an weiteren Maßnahmen klärt. Zudem wird es für die 15- bis 16-Jährigen eine eigene Drogenprävention und für die Lehrer schulinterne Fortbildungsmöglichkeiten im Hinblick auf ihre Rechte geben.

Da mangelnde Sprachkompetenz oft die Gewaltbereitschaft erhöhe, sind zudem 800 Stunden Deutschförderung für alle Polytechnik-Schüler vorgesehen. Außerhalb der normalen Schulzeit und ohne Benotung. Es gehe lediglich darum, den Jugendlichen das Kommunizieren untereinander zu erleichtern, erläutert Himmer.

Wien führt Chancenindex ein

Ob Suspendierungen vom Unterricht per se die geeignetste Methode sind, um disziplinär auffälligen Schülern Herr zu werden, zweifelt man bei der Wiener Schulbehörde an. Mit dem Unterrichtsministerium habe man deshalb vereinbart, neue Methoden zu entwickeln, berichtet Himmer.

Eine andere Forderung an den Bund blieb dagegen bis dato ungehört. Der sogenannte Chancenindex. Damit ist die Verteilung von Mitteln nach dem individuellen Ressourcenbedarf von Schulen und nicht nach der Schüleranzahl gemeint.

In Wien werde es den Chancenindex im nächsten Schuljahr aber geben, kündigt der Stadtschulratspräsident an. "Nach transparenten Kriterien" werde man die vom Bund zugeteilten Mittel verteilen. Sogenannte Brennpunktschulen sollen dabei mehr Ressourcen erhalten als Einrichtungen mit weniger Herausforderungen. Bei gleich bleibenden Mitteln bedeute das, dass manche Schulen mehr bekämen und man anderen etwa wegnehmen müsse, stellt Himmer klar. Auch Gewaltprävention und Sozialarbeiter werde man da einsetzen, wo sie am nötigsten gebraucht würden.

Der Runde Tisch soll in Zukunft beibehalten werden. Entweder angesiedelt im Bildungsbeirat der Stadt. Oder als Jour Fixe ein Mal pro Jahr.

 

 

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