Touristenmagnet Kanal
Für die Kanalvisite hat Gottschall jenen Abschnitt gewählt, der besonders besucherfreundlich ist, weil es hier ungewöhnlich viel Platz gibt. Logisch, dass genau hier nach dem Krieg der Filmklassiker „Der dritte Mann“ (1949) gedreht wurde.
Von Mai bis Oktober bietet Wien Kanal hier die „Dritte Mann Tour“ an, die eigentlich dafür gedacht war, den Wienerinnen und Wienern ihren Kanal näherzubringen. Die Tour hat sich aber auch zu einer Touristenattraktion entwickelt; im Vorjahr haben sich insgesamt 19.000 Menschen in die Unterwelt von Wien begeben.
Der ziemlich reißende Bach, der hier durch zwei parallel verlaufende Kanalbette fließt, enthält etwa ein Fünftel des Wiener Abwassers. An einer anderen Stelle zeigt Gottschall auf einen Kanal, dessen Wasser braun verfärbt ist. „Da hat die Ottakringer Brauerei ihr Prozesswasser abgelassen“, erklärt der Kanal-Sprecher. „Das ist Wiener Helles, würde ich sagen.“ Die betreffende Röhre führt bis rauf nach Ottakring, wo neben der Brauerei auch eine Großwäscherei ihr Abwasser in den Kanal leiten. „Wenn die Wäscherei ablässt, riecht’s da unten richtig gut!“
Happy Birthday!
Die Reinigung von Kanälen und Senkgruben war ursprünglich Privatsache; mehrere Firmen haben sich die Arbeit aufgeteilt, richtig gut funktioniert hat es nicht. Vor 100 Jahren hat die Stadt daher beschlossen, aus der Kanalreinigung einen städtischen Betrieb zu machen; sämtliche 408 bei den Privatfirmen beschäftigten Arbeiter wurden zu städtischen Bediensteten. Offizieller „Geburtstag“ ist der 18. Jänner 1924, als die Kanalarbeiter in die Krankenkassa der Stadt aufgenommen wurden.
Hundert Jahre später ist Wien Kanal ein Betrieb mit 450 Mitarbeitern, von denen nur 200 im Kanal arbeiten. Das Unternehmen verfügt unter anderem über ein eigenes Planungsbüro. „Wir planen alles selber, bis auf die Statik“, sagt Josef Gottschall, der ursprünglich selbst als Bauingenieur bei Wien Kanal angefangen hat.
Nicht jeden Dreck
Auch eine Chemie-Abteilung gibt es; sie prüft, ob das von Industriebetrieben, Laboren oder Krankenhäusern abgeleitete Abwasser den erlaubten Grenzwerten entspricht. „Wir nehmen nicht jeden Dreck“, sagt Josef Gottschall.
Stolz ist Wien Kanal auf das Abwassermonitoring, das man in der Corona-Krise mit Partnern wie der TU Wien aufgebaut hat. „Inzwischen monitoren wir nicht mehr nur Coronaviren, sondern auch Influenza und andere Sachen.“ Apropos: Früher war es Hauptaufgabe der Kanalisation, die Ausbreitung von Cholera und anderen Seuchen über das Trinkwasser zu verhindern. Dieses Problem ist inzwischen gelöst, heute sind Überflutungen die Hauptgefahr.
Der Klimawandel führt zu immer häufigeren und heftigeren Starkregenereignissen; bei Wien Kanal hat man dagegen zwei Strategien entwickelt. Einerseits werden laufend die Speicherkapazitäten erweitert; unter dem Wienfluss etwa verläuft der – erst teilweise fertiggestellte – Wiental-Kanal, der mit seinen acht Metern Durchmesser an eine U-Bahn-Röhre erinnert und nur dazu da ist, Regenwasser aufzunehmen und so zu verhindern, dass Abwasser in den Wienfluss gelangt.
Weil man beim Ausbau des Systems irgendwann aber auf Grenzen stößt, hat Kanal Wien ein ausgeklügeltes Leitsystem entwickelt, das im Kanalnetz dort Kapazitäten freimacht, wo sie gerade benötigt werden.
Denn es ist ja nicht so, dass es immer im gesamten Stadtgebiet regnet. Wo genau es gerade schüttet, wird von 35 Wetterstationen ermittelt. Dann werden in Bezirken, wo es trocken ist, die Kanäle aufgestaut, damit in anderen Teilen der Stadt Platz genug für das Regenwasser ist. Dazu muss man wissen: Im Normalzustand sind Kanalrohre nur zu 10 Prozent ausgelastet; die restlichen 90 Prozent sind Reserve für Regenwasser.
Fett und Feuchttücher
Die 200 Kanalarbeiter – darunter nur zwei Kanalarbeiterinnen – holen jeden Tag 15 bis 20 Tonnen Material aus dem Kanal, ins Gewicht fallen vor allem Schotter, Laub und Feinstaub.
Problematischer ist das, was via Klo und Abwasch alles runtergelassen wird. „Das größte Problem im Kanal ist Fett, das legt sich an den Rohren extrem an“, weiß Gottschall. „Gleich danach kommen diese Feuchttücher, die zersetzen sich nämlich nicht – egal, was draufsteht.“
In London haben sie vor ein paar Jahren einen monströsen Fettpfropfen aus dem Kanal geholt, der angeblich 130 Tonnen schwer war. Josef Gottschall möchte über andere Städte nicht urteilen. Aber eines kann er sagen: So weit kann es in Wien gar nicht kommen, weil hier permanent und systematisch daran gearbeitet wird, die Kanäle sauber zu halten. „Manche Kanäle werden nur einmal im Jahr gereinigt, zu anderen fahren wir drei Mal die Woche.“ Danke dafür.
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