"Verhandeln und nicht drohen"
Johannes Hahn ist nicht leicht aus der Ruhe zu bringen, aber die ständigen Drohungen der Türkei, den Flüchtlingsdeal platzen zu lassen, bringen ihn aus der Fassung. "Das ärgert mich wirklich sehr", sagt der EU-Kommissar, zuständig für Erweiterung und Nachbarschaftspolitik, dem KURIER. Erst recht die Aussage von Staatspräsident Recep Tayyip Erdogan, die EU brauche die Türkei mehr, als die Türkei die EU brauche. "Das Gegenteil ist der Fall. Wir lassen uns nicht von Drohungen beeinflussen", weist Hahn diese Aussage zurück. "Für die EU ist die Türkei ein strategisch wichtiger Partner, das gilt auch umgekehrt. Vor diesem Hintergrund ist meine Botschaft: "Verhandeln und nicht drohen."
Trotz der Spannungen zwischen Ankara und Brüssel arbeitet die EU derzeit intensiv an der Umsetzung des Flüchtlingpaktes mit der Türkei und dessen zentralem Anliegen, die Visa-Liberalisierung ab Ende Juni. Hahn hatte dazu auch ein bilaterales Treffen mit dem türkischen Europa-Minister Volkan Bozkir.
Vier Kommissare
Gestern, Montag, waren gleich vier EU-Kommissare, darunter Hahn, zu hochrangigen politischen Gesprächen in Istanbul.
Einen Rabatt für das visafreie Reisen für türkische Staatsbürger wird es nicht geben. "Es gibt keine Sonderbehandlung, wir halten uns an Regeln", betont Hahn. Erstens einmal muss die Regierung in Ankara alle 72 Benchmarks erfüllen, dafür hat sie bis Ende April Zeit.
Die Benchmarks sind zum Teil technische Anforderungen, wie biometrische Pässe und ein Datenaustausch mit der EU. Darüber hinaus verknüpft die EU die strikte Einhaltung des Flüchtlingsdeals mit der Visa-Liberalisierung. "Das Visa-Abkommen wird die übliche Suspendierungsklausel beinhalten", bestätigt Hahn.
Visafreiheit aussetzen
Diese Klausel erlaubt es der EU, die Visafreiheit auszusetzen, wenn die Einreisen aus der Türkei in den Schengen-Raum plötzlich und rasant ansteigen. Unter diesen Einreisenden könnten sich zum Beispiel Kurden befinden, die nach ihrer Einreise um politisches Asyl ansuchen. Parallel dazu regelt ein Abkommen die Rücknahme von illegal in die EU gelangten Migranten oder abgelehnten Asylwerbern durch die Türkei. Mit der Visa-Vereinbarung wird die Türkei automatisch zum sicheren Drittstaat.
Mit der Freigabe der Visafreiheit hat die EU nämlich ein Druckmittel gegenüber der Türkei in der Hand – und das wissen die Spitzen in Ankara sehr genau.
Heute, Dienstag, macht sich Hahn ein Bild von der Situation in türkischen Flüchtlingslagern. Er besucht Camps im Kurdengebiet nahe der syrischen Grenze. Diese Lager bekommen auch EU-Gelder, zum Beispiel für Schulunterricht für Flüchtlingskinder in arabischer Sprache.
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