US-Pipeline: Auf verlorenem Posten

Tausende Menschen leisten letzten Widerstand vor dem Weiterbau der Pipeline.

Es ist nicht lange her, da blickte Tom B. K. Goldtooth vom Stamm der Navajo morgens trotz bitterster Kälte mit Stolz und Zufriedenheit auf die flache Ebene am Missouri-River bei Cannon Ball.

Der Kampf der Indianer des Standing Rock-Reservats gegen die "Dakota Access Öl-Pipeline" hatte über fast zehn Monate Tausende Demonstranten aus dem ganzen Land in diesen Zipfel North Dakotas gebracht. Medien weltweit berichteten über das Aufbegehren der Nachfahren der Ureinwohner. Die sehen durch den Bau der "schwarzen Schlange" die Reinheit ihrer Wasserquellen bedroht. Und noch mehr den spirituellen Frieden ihrer Heiligen Stätten.

Das Oceti Sakowin Camp an der Landstraße 1806, ausgestattet mit Psycho-Betreuung und indianischer Sauna (sweat lodge), war das Epizentrum des Protests. Und Tom Goldtooth, ein sanfter, weltgewandter Aktivist, seit April 2016 so etwas wie der gutgütige Geist. Vorbei.

Als der 63-Jährige mit dem schwarzen Pferdeschwanz dem KURIER vom "Facebook Hill" aus, der wegen des besseren Handy-Empfangs so heißt, mit weit ausholenden Armbewegungen die Lage erklärt, steht ihm die Enttäuschung ins zerfurchte Gesicht geschrieben.

Wigwams im Schlamm

Manche Wigwams unten am Fluss stehen im Schlamm. Viele Zelte und Hütten sind abgebaut oder vom Schmelzwasser aufgeweicht. Zig Trucks stecken fest. Alle paar Meter türmen sich Müllberge, die trotz der Schneereste unangenehme Gerüche über die Prärie treiben. Dazwischen huschen niedergeschlagen wirkende Menschen in dreckigen Thermo-Hosen umher. Sie räumen auf und packen ein.

Bis gestern Mittag 14 Uhr (Mittwoch) mussten die letzten gut 200 Protestler das Camp verlassen haben. Sonst helfen Polizei und Nationalgarde, vertreten mit Dutzenden Beamten auf den Hügeln ringsum und Überwachungs-Drohnen und Hubschraubern in der Luft, spätestens heute unbarmherzig nach.

Selbst verschuldet

Später übernimmt das "Army Corps of Engineers", eine Einheit von Bauingenieuren der Armee, wieder das Kommando. Die Konstruktion des von Obama bis zum Abschluss einer Umweltverträglichkeitsstudie auf Eis gelegten und von Trump wieder in Gang gesetzten Teilabschnitts der knapp 1900 Kilometer langen Pipeline geht weiter.

Der größte Indianer-Protest, den Amerika seit der blutigen Besetzung der Kultstätte Wounded Knee 1973 gesehen hat, ist damit Geschichte. Selbst verschuldet, wie Terry Wilkerson findet. Die 58-Jährige ist seit fast vier Monaten im Oceti Sakowin Camp. Im Medien-Zelt betreut sie anreisende Journalisten, trichtert ihnen die kulturellen Fettnäpfchen ein, in die man im Land der Sioux treten kann. "Keine Fotos bei religiösen Zeremonien. Niemals!". Die Immobilien-Maklerin aus Michigan hat nicht einen Tropfen indianisches Blut in sich. Trotzdem ließ sie Mann und Sohn zu Hause und ging in die Einöde North Dakotas. "Ich wollte nicht wieder still zusehen, wie dieses Land seine Verträge mit den Indianern bricht." Gemeint sind die Abkommen von Fort Laramie, unterzeichnet 1851 und 1868. Darin hatte Amerika den Indianern die riesigen Weiten westlich des Missouri als Heimat versprochen - "für alle Zeiten". Der Goldrausch in den Black Hills im Süden und der Druck der Siedlerströme legten bald das Fundament für den historischen Wortbruch, der letztlich auch das Aufbäumen gegen die Öl-Pipeline entfachte.

Folgt man Wilkerson und anderen Ortsfremden, die aus Oregon, Kalifornien, Florida, ja selbst aus Europa gekommen sind, dann hat ausgerechnet David Archambault II, der Stammesfüher der Sioux, einen großen Fehler gemacht, als er die Demonstranten vor wenigen Wochen zur Abreise aufrief.

"Das hat unser Momentum gekillt", sagt Wilkerson. Sie vermutet hinter den Kulissen Geldzahlungen der Pipeline-Betreiber an das Reservat, das außer einem Spielcasino kaum eigene Einnahmequellen hat. Dass Harold Frazier, führender Kopf der rivalisierenden Cheyenne River Sioux, die Aufgabe der Protestkulisse abgelehnt hat und weiter auf legal geleastem Land in der Nähe Präsenz zeigen will, dient ihr als Indiz für undurchsichtige Machenschaften.Was North Dakotas republikanischer Gouverneur Doug Burgum von sich weist. Die Anordnung zur Evakuierung der Protest-Camps folgt den Gesetzmäßigkeiten der Natur, ließ er erklären. Heißt: Mit der Schneeschmelze droht eine Überflutung und damit Lebensgefahr für die Demonstranten. Nicht zu verschweigen die Aussicht auf massenweise Wohlstandsmüll, den die selbst ernannten "Wasserschützer" hinterlassen haben. Ihr Motto "Mni Wiconi" (übersetzt: Wasser ist Leben) dürfe nicht konterkariert werden, sagen die Politiker.

Dass tatsächlich alle Demonstranten friedlich abziehen, erwartet in Cannon Ball kaum jemand. Das Landesparlament in Bismarck hat darum vorsorglich drei Eil-Gesetze verabschiedet, die den Druck erhöhen sollen. Wer gewaltsame Proteste herbeiführt, muss mit bis zu 20 Jahren Gefängnis rechnen. Wer den Abzug verweigert oder sich der Staatsgewalt widersetzt, kann bis zu ein Jahr hinter Gittern landen.

Im Laufe des Protests gab es mehrfach brutale Einsätze von Nationalgardisten und Polizei, die in Kampf-Montur mit Schlagstöcken, Pfefferspray, Dumdum-Geschossen, Lärmkanonen, bissigen Hunden und Hubschraubern gegen die Demonstranten vorgingen. Verletzte wurden auf beiden Seiten gemeldet. An einigen Tagen wurden über 100 Menschen, Alte, Frauen und Kinder verhaftet. Über Facebook verfolgten Hunderttausende weltweit die Szenen in Echtzeit mit.

Symbol der Solidarität

Standing Rock wurde so zum "Identifikationssymbol für jenes Amerika, das sich nicht lautlos fügt, wenn riesige Infrastrukturprojekte die Interessen der Betroffenen unterpflügen und Umweltbedenken ignoriert werden", schrieb eine Zeitung im Mittleren Westen.

Auch darum haben mehrere Städte symbolisch die Initiative ergriffen und Anteilnahme gezeigt. Nach Seattle hat auch New Yorks Bürgermeister Bill De Blasio Kreditinstituten, die das Pipelineprojekt finanzieren (darunter die Bayerische Landesbank) das Ende der Zusammenarbeit angedroht.

Das ist es, was Tom Goldtooth meint, wenn er das Aus des Protests heute nicht als Schlusspunkt begreift. "Zum ersten Mal seit 140 Jahren haben sich Dutzende ehemals verfeindete Stämme zusammengetan. Das war wie ein Erweckungserlebnis. Das bleibt." Am 10. März wollen die Gegner der Dakota-Pipeline in Washington vor dem Kongress ihre Wigwams aufbauen. "Es gibt viele Wege, die Tyrannei zu bekämpfen", sagt Tom Goldtooth und zeigt die Zähne, "Donald Trump wird noch lange unseren Zorn spüren."

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