Touristen vertreiben Alteingesessene aus Stadtzentren

Einheimische müssen Platz machen für Hotels und Ferienwohnungen - diese Entwicklung plagt nicht nur Barcelona: Auch Berlin, Paris, Amsterdam und London leiden darunter.

Für Manuel Mourelo stecken die pittoresken Gassen des Gotischen Viertels voller Erinnerungen: spielende Kinder, plauschende Nachbarn, traditionelle Bars. So kennt der 76-Jährige den ältesten Teil Barcelonas. "Das gibt es alles nicht mehr", sagt Mourelo. Jetzt ziehen Horden von Touristen durch die Sträßchen, auf Stadtführungen oder Segway-Touren.

Die Einheimischen müssen Platz machen für schicke Hotels und Ferienwohnungen. Tourismus zu Lasten der Einwohner - diese Entwicklung plagt nicht nur Barcelona: Berlin, Paris, Amsterdam und London leiden ebenfalls darunter.

Touristen vertreiben Alteingesessene aus Stadtzentren
(FILES) This file photo taken on June 28, 2015 shows a group of tourists riding Segway units tour in La Barceloneta suburb in Barcelona on June 28, 2015. It's low season and the sun in Barcelona shines only timidly, but Noel Sheehan's cycling tours are doing a roaring trade as holiday-makers shun their usual Mediterranean tourism hotspots after a spate of jihadist attacks. / AFP / QUIQUE GARCIA / TO GO WITH AFP STORY BY DANIEL BOSQUE
Vergangenes Jahr musste auch Mourelo dem Tourismus weichen: Die Wohnung, in der er seit 25 Jahren lebte, wurde an einen Investor verkauft, der alte Herr musste ausziehen. Eine andere Wohnung in der Gegend konnte er sich nicht leisten: "Sie wollten 1.000, 1.200, 1.500 Euro", sagt Mourelo. Bisher hatte er 500 Euro Miete im Monat bezahlt.
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Manuel Mourelo Gonzalez (C), pensioner speaks to a friend in the street where he lived for more than fifty years, in El Gotic neighbourhood in Barcelona on February 17, 2017. Hordes of tourists fill the narrow, winding alleys of Barcelona's picturesque Gothic quarter, on guided tours, bike and segway rides while residents have deserted buildings full of history to make way for quaint hotels and tourist accommodation -- an issue that affects popular spots Europe-wide. / AFP PHOTO / PAU BARRENA

"Ich fühle mich vertrieben"

"Das hier war mein Dorf. Hier hatte ich alles - meine Freunde, meine Geschäfte. Ich habe hier geheiratet, meine Kinder wurden hier geboren und ich dachte, ich würde hier sterben", erzählt Mourelo wehmütig bei einem Spaziergang durch sein altes Viertel und seine Augen füllen sich mit Tränen. "Ich fühle mich vertrieben."

Lebten 2006 noch 27.470 Menschen dauerhaft im Gotischen Viertel, waren es Ende 2015 nach Angaben der Stadtverwaltung nur noch 15.624. Inzwischen sind 63 Prozent der Menschen dort Touristen oder Leute, die einen kurzfristigen Mietvertrag für ein paar Wochen oder Monate unterschrieben haben. Innerhalb von zwei Jahren ist im Stadtteil Ciutat Vella, zu dem das Gotische Viertel gehört, die durchschnittliche Miete pro Quadratmeter laut der Immobilienwebsite "Idealista" von 14,4 auf 19 Euro gestiegen.
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(FILES) This file photo taken on June 10, 2017 showsa protester carrying a placard reading "Tourist flats displace families" during a demonstration in Barcelona against what they claim is a lack of control by the city's tourism management. Hordes of tourists fill the narrow, winding alleys of Barcelona's picturesque Gothic quarter, on guided tours, bike and segway rides while residents have deserted buildings full of history to make way for quaint hotels and tourist accommodation -- an issue that affects popular spots Europe-wide. / AFP PHOTO / LLUIS GENE / RESTRICTED TO EDITORIAL USE - NO ARCHIVES

"Entvölkerung des historischen Zentrums"

Nicht nur die teuren Mieten, auch der Lärm, das Gedränge und das Verschwinden der Geschäfte des täglichen Bedarfs vertreiben die Bewohner. "Es geht hier nicht um Gentrifizierung, also dass die ursprüngliche Bevölkerung durch eine reichere ersetzt wird", sagt Gala Pin, Beraterin im Stadtteil Ciutat Vella. "Es geht um die Entvölkerung des historischen Zentrums." Der Soziologe Daniel Sorando stellt in Europa und den USA einen Trend fest hin zu "Stadtzentren, die sich als Geldmachmaschinen begreifen, während die arbeitende Bevölkerung daraus vertrieben wird".

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Tourists walk underneath the stone arches in Park Guell, designed by modernist architect Antonio Gaudi, in Barcelona October 1, 2014. The wealthy northeastern region of Catalonia last month dropped plans for a non-binding referendum on independence from Spain on Nov. 9 after a court declared such a vote against the constitution and had instead planned to hold a "consultation of citizens" on the same day. Although Spanish Prime Minister Mariano Rajoy and politicians in Catalonia have called for dialogue over the region's status after the initial referendum plans were abandoned, tensions are still simmering before the Nov. 9 alternative vote. Picture taken October 1, 2014. REUTERS/Gustau Nacarino (SPAIN - Tags: POLITICS) ATTENTION EDITORS: PICTURE 19 OF 25 FOR WIDER IMAGE PACKAGE 'CATALONIA - THE CONSULTATION OF CITIZENS' TO FIND ALL IMAGES SEARCH 'CITIZENS'
Paris, London und Amsterdam wollen die kurzzeitige Vermietung von Wohnungen stärker regulieren, um zu verhindern, dass immer mehr Wohnraum in Ferienwohnungen umgewandelt wird. In Berlin gilt bereits seit 2014 das sogenannte Zweckentfremdungsverbot, wonach Wohnungen nur mit Genehmigung des Bezirks an Touristen vermietet werden dürfen. Jeder, der vermutet, dass eine Wohnung illegal als Ferienwohnung genutzt wird, kann den Verdacht online bei der Stadt melden. Dennoch ist die Zahl der Berliner Vermieter auf der Ferienwohnungs-Plattform Airbnb im vergangenen Jahr weiter gestiegen.
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(FILES) This file photo taken on April 28, 2016 shows a woman browsing the site of US home sharing giant Airbnb on a tablet in Berlin on April 28, 2016. Barcelona city hall said on November 24, 2016 it would fine home rental websites Airbnb and rival HomeAway 600,000 euros ($635,000) each for marketing lodgings that lacked permits to host tourists. The fine comes as the popular seaside resort struggles with a rising tide of tourism that has exasperated locals, threatening to drive out poorer residents and spoil the charm of Spain's second-largest city. / AFP PHOTO / John MACDOUGALL
Im Konflikt zwischen Bewohnern und den knapp 13 Millionen Besuchern der Hauptstadt geht es nicht nur um Wohnraum. Vor allem der Lärm und Dreck, den die Partytouristen verursachen, nervt viele Berliner. Der Simon-Dach-Kiez im Bezirk Friedrichshain-Kreuzberg gilt inzwischen als der "Ballermann von Berlin". Doch die Zeiten der "Rollkoffer raus"-Graffiti und Touristenhasser-Aufkleber mit dem Slogan "Berlin liebt dich nicht" scheinen vorbei.

Die Stadt versucht zwischen Anrainern und Touristen zu vermitteln. Zunächst verteilte sie eine Broschüre mit Benimm-Tipps für Touristen. Seit zwei Jahren gibt es in Friedrichshain-Kreuzberg die Initiative fair.kiez für "stadtverträglichen Tourismus". Anfangs sollten Pantomimen die Feiergäste auf das Ruhebedürfnis der Anrainer aufmerksam machen. Nun appellieren minimalistische Videospots an die Touristen: Bitte leise sein, den Müll entsorgen und nicht an die Häuser pinkeln.

Die Regionalregierung der Balearen will vom kommenden Jahr an eine Höchstgrenze für die Zahl der Mietwagen auf Inseln wie Mallorca und Ibiza festlegen. Laut den Plänen des zuständigen Tourismusministeriums soll das Limit von April bis Oktober gelten, den Monaten, in denen die meisten Touristen auf die Inseln strömen, berichtete die Zeitung Diario de Mallorca am Montag.

Umweltschützer fordern schon länger eine solche Begrenzung, zumal gerade Mallorca von Jahr zu Jahr einen größeren Besucherboom erlebt. Allerdings müsse zunächst einmal geklärt werden, wie viele Mietwagen überhaupt auf den Straßen unterwegs seien.

Nur 20 der insgesamt 140 Autovermieter hätten dem Ministerium bisher die Zahl ihrer Autos mitgeteilt, obwohl laut einem Dekret aus dem Jahr 2015 alle Unternehmen dazu verpflichtet wären. Bekannt sei eine Zahl von rund 41.300 Mietwagen - geschätzt werde aber, dass die Gesamtzahl bei mindestens 100.000 liege, schrieb die Zeitung. Eine Studie soll nun zunächst klären, wie viele Mietfahrzeuge auf den einzelnen Inseln unterwegs sind - und wie viele ihnen mit Blick auf Umweltschutz und Infrastruktur pro Monat zumutbar sind.

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