Titanic: Aufgetaucht und ausverkauft

Vor 100 Jahren sank die Titanic. Hüte, Bücher, Geldscheine haben am Meeresboden überdauert und erzählen Geschichten.

Im April 1912 schrieb ein australischer Teenager an seine Eltern: „Ich bin so zornig. Ich wünschte, die Titanic würde auf den Grund des Ozeans sinken.“ Jahrzehnte später, ebendort: Zwei Leute in einem U-Boot sammeln mit Roboterarmen alles, was interessant scheint, in einem länglichen Metallkorb, der vorne am Tauchboot befestigt ist. Gut 3800 Meter über dem Unglückswrack fischen Wissenschaftler die schlammverschmierten Eisenteile, Porzellanstücke, zerkratzte Glasflaschen mit gelbem Inhalt aus dem Korb und legen sie andächtig in Plastikkisten. Auch der prall gefüllte Lederkoffer des jungen Australiers ist darunter. Ein Mathematik-Buch, Fotos, Postkarten kommen zum Vorschein. Restauratoren getrauen sich kaum, die fragilen Stück zu berühren, tun es schließlich doch, entsalzen, trocknen, retten sie und machen sich auf Spurensuche.

Die Forscher stoßen auf eine der berührenden Geschichten hinter den vom Meeresboden geborgenen Titanic-Artefakten: Der junge australische Postkartenschreiber hatte sein ursprünglich gebuchtes Schiff verpasst. Um doch noch rechtzeitig zur Hochzeit seines Bruders in New Jersey zu gelangen, löste er eine Passage auf der Titanic. „Es war so, als hätte der Bub von uns entdeckt werden wollen“, sagte einer der Wissenschaftler.

Geschützt

Die Kuratorin Alex Klingelhofer ist für die Schätze zuständig, die die Bergungsfirma RMS Titanic vom gesunkenen Luxusliners gehoben hat und vermarktet: „Wir haben einige Leder-Koffer gefunden“, sagt sie im KURIER-Interview. „Das ist der Grund, warum wir Kleider, Jacken, Anzüge, Dokumente aus Papier und Postkarten haben. Sie sind in überraschend gutem Zustand. Das Leder hat die Objekte geschützt.“

Vieles sieht unter Wasser ganz anders aus. „Man kann auch nie sicher sein, was passiert, wenn man die Sachen 3800 Meter nach oben hievt – man bringt die Artefakte vom dunklen Wasser in helles Licht, ändert ihre Umgebung, andere Temperatur, Druckverhältnisse, ...“. Da könne es, sagt Klingelhofer, schon Überraschungen geben.

Einmal geborgen, mussten alle Gegenstände aus dem Wrack eine aufwendige Reinigungsprozedur durchlaufen. Denn das Meersalz war mittlerweile tief in die Artefakte eingedrungen und hatte aggressive chemische Verbindungen entstehen lassen. Der Konservator Stéphane Pennec brauchte drei Wochen, um die Seiten der Southampton Daily vom 10. April 1912 umzublättern – und als Dokument der Katastrophe für die Zukunft zu bewahren. Er entsalzte das Blatt millimeterweise mit Frischwasser und reinigte es in einer Ammoniaklösung. „Das ist das übliche Prozedere für Papier“, sagt Klingelhofer. Und noch jetzt würde ein Windstoß genügen, um das Relikt zerbröseln zu lassen.

Gereinigt

Je nach Material unterscheiden sich die Methoden der Reinigung und Konservierung: Holz und Leder brauchen Injektionen mit Polyethylen-Glykol, Papier wird gefriergetrocknet, Metall oft monatelang mit Elektrophorese gesäubert. Klingelhofer: „Die Technologien, die in den vergangen 25 Jahren entwickelt wurden, waren inspiriert vom Wunsch, die Titanic zu finden und zu sehen. Und die heraufgebrachten Artefakte zu sichern.“ Diese Sammlung sei einmalig. „Immer, wenn ich eines der Objekte betrachte, denke ich, dass es eine Geschichte zu erzählen hat. Das trägt zur Legende der Titanic bei.“

Die ungeheure Zahl der mittlerweile geborgenen Objekte, mehr als 6000, darf nicht darüber hinwegtäuschen, dass die Unternehmungen nicht nur schwierig, sondern lebensgefährlich waren. Es dauert mehr als zwei Stunden, bis das U-Boot das Wrack erreicht hat. Mitunter sind die Forscher bis zu 15 Stunden unten. Der Druck ist enorm, kein Licht, kaum Sauerstoff, dafür nur eine ganz leichte Strömung. Das ist der Grund, warum viele Artefakte auch nach Jahrzehnten noch erhalten und nicht verrottet sind, sagt Alex Klingelhofer. „Die Meerestemperatur liegt konstant um den Gefrierpunkt. Das hat zur Konservierung von Papier und Stoff beigetragen. Wir haben auch einige Hüte, darunter einen Bowlerhut (eine Melone, Anmerkung) in unserer Sammlung. Diese Hüte waren dafür ausgelegt, widrigsten Umständen zu trotzen.“

Geborgen

Die Bergungsmission von RMS Titanic war aber stets umstritten: Historiker, Meeresarchäologen, Museumsdirektoren waren entsetzt. Für viele Wissenschaftler sind private Bergungsfirmen gleichzusetzen mit Piraten, Plünderern, Grabschändern. Allerdings wird schon bald alles, was nicht heraufgeholt wird, unwiederbringlich verloren sein. Die Tiefsee schickt sich an, das Schiff ein zweites Mal zu verschlingen: Salz und Säuren lösen es auf, Eisen-fressende Mikroben zersetzen es. Diese Winzlinge hinterlassen nur korallenähnliche Wucherungen aus Schwefel, Silikat und Eisenoxid, sogenannte „rusticles“, die das Wrack überziehen wie einen Streuselkuchen.

Gezeichnet

Und so war die bisher letzte Tauchfahrt zur Titanic keine Bergungs-, sondern eine Vermessungsmission: Im Sommer 2010 wagten Wissenschaftler einen neuen Vorstoß. Ziel war es, mit modernster Technologie eine dreidimensionale Karte des Unglücksortes zu erstellen. Diese setzt sich aus 130.000 Fotos und Schallwellen-Aufnahmen zusammen und wurde am Freitag präsentiert. Der an der Expedition beteiligte Historiker Parks Stephenson sagt: „Es ist, als würde der Raum auf einmal erleuchtet.“ Und so weiß man heute zumindest, dass sich das Heck des Schiffes beim Sinken wie das Hinterteil eines Helikopters gedreht haben muss – die Titanic taumelte zu Boden.

Auktion: Die Titanic unterm Hammer

Die Versteigerung 100 Jahre nach der berühmtesten Schiffskatastrophe werden am 11. April 2012 von RMS Titanic mehr als 5000 Fundstücke versteigert. Das Unternehmen hatte 1994 die Bergungsrechte an der Titanic zugesprochen bekommen. Das Gericht knüpfte das allerdings an strenge Auflagen: Die Artefakte müssen fachkundig gehoben, konserviert und als historische Sammlung der Weltöffentlichkeit präsentiert werden.

Der Preis Nur die ganze Sammlung darf verkauft werden und auch nur, wenn sie öffentlich zugänglich bleibt. Fachleute schätzen, dass der neue Besitzer bei der Versteigerung im US-Auktionshaus Guernsey’s in New York 150 Millionen Euro für die Sammlung wird bieten müssen, die bisher sechs Millionen Menschen in diversen Ausstellungen in aller Welt gestürmt haben.

Kommentare