Tibet: "Selbstverbrennung ist Hilfeschrei"

Tibet: "Selbstverbrennung ist Hilfeschrei"
Exil-Tibeter wollen den Besuch des Dalai Lama nutzen, um auf die verzweifelte Lage ihrer alten Heimat hinzuweisen.

Menschen, deren Kleider lichterloh in Flammen stehen; verkohlte Körper auf der Straße; Sicherheitskräfte, die keine Hilfe leisten, sondern sogar noch zuschlagen – es sind zutiefst verstörende Bilder und Videos, die immer wieder aus den chinesischen Tibeter-Gebieten hinausgeschmuggelt werden. Sie dokumentieren Selbstverbrennungen aus Protest gegen die seit 62 Jahren anhaltende Besetzung T­ibets durch China.

Die unabhängige Gesellschaft für bedrohte Völker listet in ihrem jüngsten Bericht 34 solcher Fälle allein seit März 2011 auf.
Selbstverbrennung ist ein Hilfeschrei an die Welt“, meinte dazu am Dienstag Migmar Raith, einer der Organisatoren der großen S­olidaritätskundgebung für Tibet, zu der am 26. Mai auch der Dalai Lama auf dem Wiener Heldenplatz reden wird. Die einzige Form von Gewalt im tibetischen Widerstand sei jene, die sich gegen sich selbst richtet.

Die Verzweiflungstaten der meist jungen tibetischen Mönche und Nonnen sind für Raith nur der sichtbarste Ausdruck für die sich dramatisch verschlimmernde Lage der Tibeter. Die Führung in Peking habe ihr Versprechen aus der Zeit vor den Olympischen Spielen 2008 gebrochen, mehr auf die Menschenrechte zu achten.

Politisch herrsche seit damals absolute Funkstille mit der tibetischen Exil-Regierung. Deren schriftliches Angebot einer echten Autonomie für T­ibet innerhalb Chinas wurde nie beantwortet.

Zwangsansiedlung

Exil-Tibeter und ihre internationalen Unterstützer sehen die Zukunft der Minderheit von etwa sechs Millionen Menschen akut bedroht: So werden die traditionellen tibetischen Nomaden (2,3 Millionen) systematisch zwangsangesiedelt, was China als Wohlstandsgewinn anpreist. „In den Dörfern sind sie leichter zu kontrollieren, verlieren ihre Identität.

Es entstehen Probleme mit Alkohol und Drogen wie in Indianer-Reservaten“, sagt hingegen Raith.
Die Klöster, von jeher Horte des Widerstands, werden heute scharf kontrolliert. Überall gibt es KP-Büros und „patriotische Umerziehung“. Das gilt nicht nur für die Autonome Region Tibet, sondern auch für die einstigen Tibeter-Gebiete, die mittlerweile chinesischen Provinzen angegliedert wurden. Gerade dort häufen sich Selbstverbrennungen.

Durch die Ansiedelung von Han-Chinesen, die mit Privilegien nach Tibet gelockt werden, fühlen sich die Einheimischen marginalisiert – politisch, wirtschaftlich, durch Repressionen der Behörden, Einschränkungen ihrer Sprache und Religionsausübung. Ziviler Protest wird brutal aufgelöst. Wer die Tibet-Fahne hervorholt oder sich zum Dalai Lama bekennt, riskiert Haft und Folter. In Lhasa leben bereits mehr Chinesen als Tibeter.

Wünsche an Europa

 Auf all das wollen die Organisatoren der Wiener Kundgebung aufmerksam machen und setzen dabei auf die große Anziehungskraft des Dalai Lama. Sie haben auch politische Forderungen an Europas Politiker, wollen eine Fact-Finding-Mission der EU in den tibetischen Gebieten und einen eigenen Tibet-Koordinator der Union. Vor allem aber solle die EU künftig mit einer Stimme sprechen und das Thema Tibet immer wieder auf die internationale Tagesordnung setzen.

Angesichts der Verrenkungen, mit denen gerade Treffen österreichischer Politiker mit dem Dalai Lama „im religiösen Kontext“ arrangiert werden, wirken die Wünsche unerfüllbar. Hubert von Goisern, ein prominenter Tibet-Unterstützer, brachte bei der Vorstellung des Heldenplatz-Events die Problematik auf den Punkt: „Ich sitze hier, weil der Bundespräsident nicht hier sitzt.“

Heinz Fischer sei ein deklarierter Freund Chinas: „Ich weiß nicht, warum er glaubt, deshalb nicht auch ein Freund Tibets sein zu dürfen.“

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