Russland muss auf Entziehungskur

Der Kreml schränkt Alkoholverkauf ein und hebt Wodka-Preis um 36 Prozent an.

Den Blick auf den Schneematsch am Boden gesenkt, die Hände tief in die Jackentaschen vergraben und Flüche vor sich hin murmelnd, trollt sich Iwan Popow heim. Die Seinen hatten ihn ausgesandt, für Nachschub an Kartoffelchips und Bier zu sorgen. Bei Chips konnte Popow unter einem halben Dutzend Sorten wählen, bei Bier musste die Verkäuferin passen: „Haben wir nicht mehr. Leider.“

Das Bedauern war echt. Mit dem Gerstensaft machten russische Kioske 40 Prozent ihres Umsatzes. Bis zum 31. Dezember. Am 1. Jänner trat ein Gesetz in Kraft, wonach Bier nur noch in Läden mit einer Fläche von mindestens 50 Quadratmetern verkauft werden darf. Und auch dort nur zwischen 8 und 23 Uhr. Für hochprozentigen Alkohol galten diese Einschränkungen schon 2012.

15,76 Liter pro Jahr

Der Durst der Nation wurde dadurch aber nicht geringer. Laut Statistik der Weltgesundheitsorganisation WHO konsumiert der Durchschnittsrusse – Säuglinge und Greise mitinbegriffen – umgerechnet 15,76 Liter reinen Alkohols per annum. Zum Weltmeister reicht es dennoch nicht. Den Titel hält die Ex-Sowjetrepublik Moldawien mit einem Pro-Kopf-Jahresverbrauch von 18,22 Litern. Auf Platz zwei des internationalen Trink-Rankings liegt Tschechien mit 16,45 Litern, gefolgt von Ungarn mit 16,27 Litern.

Zwar versuchte Präsident Wladimir Putin – ein bekennender Antialkoholiker – zunächst, die Nation mit dem eigenen guten Beispiel und Appellen an die Vernunft für eine gesündere Lebensweise zu begeistern. Weil das nichts brachte, zieht Vater Staat jetzt andere Saiten auf.

Morgen, am 7. Jänner, – pünktlich zum orthodoxen Weihnachtsfest – steigen die Preise für Wodka um stolze 36 Prozent. Eine Halbliterflasche des Nationalgesöffs kostet dann mindestens 170 Rubel, das sind mehr als vier Euro. Für eine Flasche Branntwein sind künftig 250 Rubel zu berappen: rund sechs Euro. Das entspricht einer Steigerung von 31,5 Prozent.

Volksgesundheit

Auch dürfen Bier, Wodka und andere Spirituosen seit dem 1. Januar nur noch in einschlägigen Fachgeschäften beworben werden. Begründet wurden Verbote, Verkaufsbeschränkungen und Preissteigerungen mit der Sorge um die Volksgesundheit, und um die steht es wahrlich nicht zum Besten. Laut WHO-Statistik sterben jährlich 6,2 Prozent der Männer und 1,1 Prozent der Frauen weltweit durch Alkoholmissbrauch. In Russland und vielen anderen UdSSR-Nachfolgestaaten sind es erheblich mehr: rund 20 Prozent. Jeder fünfte Einwohner.

Zu den meisten Todesfällen kommt es durch Verletzungen, die sich die Menschen in angetrunkenem Zustand zuziehen. Absoluter Spitzenreiter sind Verkehrstote, regelmäßig berichten Medien über Autofahrer, die mit Vollgas über den Zebrastreifen brettern, Buswartehäuschen rammen oder gar ahnungslose Fußgänger auf dem Gehsteig überrollen. Die meisten Fahrzeuglenker waren sturzbesoffen, bei einigen lag der Alkoholspiegel bei weit über 2,0 Promille.

Billiger Fusel

Dazu kommt, dass der Staat es bisher nicht geschafft hat, Fusel-Panschern das Handwerk zu legen. Rund 40 Prozent aller in Russland gehandelten Spirituosen werden illegal hergestellt.

Künftig sollen daher Hersteller von Getränken mit einem Äthylalkoholgehalt von mehr als 25 Volumenprozent alle Auslieferungen im vorab bei der Behörde für die Regelung des Alkoholmarktes anmelden und aktuelle Informationen zu Route, Halten und deren Dauer nachschießen. Navigationssatelliten – neben der mit Pannen behafteten russischen Glonass-Serie auch GPS – sollen alle Bewegungen der Fusel-Fuhren überwachen und die Daten an die Regulierungsbehörde senden, wo sie für fünf Jahre gespeichert werden.

97 Millionen Rubel (umgerechnet rund 2,5 Millionen Euro) soll das Projekt den Steuerzahler kosten, wie die Rossijskaja Gaseta, das Amtsblatt der Regierung, schon im Mai schrieb. Wann das System tatsächlich zum Einsatz kommt, ist bisher unklar. Ob es funktioniert, ebenfalls.

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