Ein Schatten auf der Kremlmauer
Mit Zittern harrt die Moskauer Stadtverordnetenversammlung der UNESCO-Experten-Kommission, die da kommen wird. Womöglich schon diese Woche. Es geht um nichts Geringeres als um die Frage, ob Kreml und Roter Platz von der Liste des Weltkulturerbes gestrichen werden. Stein des Anstoßes ist ein Denkmal für Fürst Wladimir, den als Nationalheiligen verehrten Staatsgründer. Vom Schwert umgürtet und mit dem Kreuz in der erhobenen Rechten soll er im April auf dem Borowizki-Platz, gut 500 Meter von dem gleichnamigen Kremltor – dem Haupteingang für Besucher – in Stellung gehen.
Pufferzone
Die Anhöhe ist Teil der sogenannten Pufferzone: Bauliche Veränderungen dort müssen laut Weltkulturorganisation so gestaltet werden, dass ihr Schlagschatten nicht den Blick auf das Weltkulturerbe beeinträchtigt. Die Kremlmauer ist an ihrer höchsten Stelle 19 Meter Meter hoch. Die 300 Tonnen schwere Statue des Fürsten soll es auf stolze 24 Meter lichte Höhe bringen.
Fürst Wladimir spielt in Russland ebenso wie in der Ukraine eine Schlüsselrolle in den Mythen, die sich um den Ursprung eigener Staatlichkeit ranken. Von 978 bis 1015 Herrscher der Kiewer Rus – des ersten Staates der Ostslawen – ließ er sich um 987 taufen. Damit begann die Christianisierung. Erst später definierten sich Russen, Weißrussen und Ukrainer als eigene Ethnien.
Das Wladimir-Denkmal in Moskau war von Anfang an Chefsache für einen Namensvetter des Fürsten: Wladimir Putin. Im kollektiven nationalen Rausch nach dem Russland-Beitritt der Krim und den Entwicklungen in der Ostukraine sahen auch die Moskowiter Handlungsbedarf. Der Streit um den Standort erregte die Gemüter im Sommer mehr als die wirtschaftliche Misere.
Standort-Abstimmung
Neben dem Europaplatz und einen Plateau auf den Sperlingsbergen war auch der Lubjanka-Platz vor der Geheimdienstzentrale im Gespräch. Am 9. September folgte die Stadtverordnetenversammlung den Ergebnissen einer Abstimmung: 62 Prozent hatten für den kremlnahen Borowizki-Platz gestimmt. Der Vorschlag stammte von der Militärhistorischen Gesellschaft.
Die Gesellschaft für Denkmalschutz und die Denkmalpfleger der nichtstaatlichen Moskauer Organisation Archnadsor protestierten: Das Monument zerstöre das historische Stadtzentrum. Dann kam auch die erste gelbe Karte von der UNESCO: Die Empfehlung, auf den Standort zu verzichten. Daran habe sich nichts geändert, erfuhr die Stadtverordnete Jelena Schuwalowa nun. Es wäre besser, sagt sie, sich noch vor Eintreffen der Experten, deren Entscheidung definitiv ist, über Kompromisse Gedanken zu machen. Der Spielraum ist indes begrenzt, die Statue des Künstlers Salawat Scherbakow bereits in Arbeit.
Die UNESCO, fürchtet auch der eher liberale Ex-Kulturminister Michail Schwydkoi, der Putin nun als Sonderbeauftragter für kulturelle Zusammenarbeit dient, lasse sich von denkmalpflegerischen Erwägungen leiten, ein Kompromiss sei schon bei guten Beziehungen schwierig. Russlands derzeitiges Verhältnis zum Westen aber sei "weit vom Idealzustand" entfernt.
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