Holocaust: „Wahrheit muss ans Tageslicht“

Geheimarchiv des Vatikan wird auf Wunsch von Franziskus geöffnet

Eine Unmenge neuer Kenntnisse sind durch die angekündigte Öffnung des vatikanischen Geheimarchivs in Sachen Pius XII. zu erwarten“, meint Professor Robert Wistrich von der Hebräischen Universität, „kaum aber eine umwälzende Änderung der bisherigen widersprüchlichen Thesen.“ Wistrich war von 1999 bis 2001 Mitglied der jüdisch-katholischen Historikerkommission, die das Leben des umstrittenen Papstes erforschen sollte. Die Forscher stellten damals ihre Arbeit ein, da sie noch keinen Zugang zu allen Dokumenten hatten, die im Archiv lagern.

Drei Millionen Blätter

Wistrich gehört nicht zu den Verschwörungstheoretikern, die hinter den verschlossenen Toren Geheimniskrämerei und Vertuschung mutmaßen. „Es ist einfach eine ungeheure Menge Material, die aufbereitet werden musste.“ Etwa 200.000 Schachteln mit rund drei Millionen Blättern. „Und ich bin nicht so naiv, zu glauben, dass dort jeder kleinste Notizzettel aufbewahrt wird.“

Das Vatikan-Archiv ist ein Staatsarchiv wie jedes andere: Vor der Freigabe von Dokumenten müssen diese katalogisiert werden. Ohne Seitennummer und Stempel besteht die Gefahr, dass Material verschwindet. Oder auch unerlaubt von außen eingespielt wird. Schon 2001 wurde angenommen, dass die Aufbereitung frühestens 2014 beendet werden kann.

So kommt die päpstliche Bereitschaft zur Öffnung nicht überraschend. Ein enger Freund des Papstes zitierte den Papst. Der Bio-Physiker und Rabbiner Abraham Skorka aus Buenos Aires traf letzte Woche gleich zwei Mal Franziskus im Vatikan. „Die Öffnung der Archive ist durchaus angebracht“, hörte Skorka dabei, „wir haben dadurch nichts zu befürchten. Die Wahrheit muss ans Tageslicht.“

Bei der Wahrheit geht es vor allem um die Rolle Pius XII. Es steht bereits fest, dass er nicht der gleichgültige Schweiger zum Millionenmord war. Mit vorsichtiger Diplomatie suchte er Wege, den Verfolgten in ganz Europa zu helfen, darunter auch viele Katholiken. Gleichzeitig aber wollte er die Institution Kirche so weit wie möglich aus den Kämpfen heraushalten. Wie weise oder feige er dabei vorging, ist umstritten.

Um diesen Streit sachlicher führen zu können, brauchen die Historiker den Einblick in die Notizen: War Pius XII. ein Alleingänger? Oder waren am Entscheidungsprozess auch die Kurien-Kardinäle stärker eingespannt?

Historische Sicht

Vielleicht kann dann das Wort „kontrovers“ neben dem Bild von Pius XII. in der israelischen Holocaust-Gedenkstätte Yad Vaschem gestrichen werden. Die Erklärungstafel wurde schon einmal geändert. Bis 2012 vermerkte sie, was der Papst alles unterlassen hatte, den bedrohten Juden zu helfen. Jetzt verweist sie auch auf Maßnahmen, die den Juden helfen konnten.

Weitere Forschung ist auch für die eingeleitete Heiligsprechung Pius XII. wichtig. Wobei eigentlich die Aufarbeitung der Fakten durch die Historiker mit den seelischen Tiefen der Heiligsprechung nichts zu tun hat. In dieser kann Kritik auch vervollständigen: Etwa wenn Robert Wistrich meint, der Vatikan hätte durchaus lauter protestieren und auch mehr handeln können. Nicht aber Pius XII.: „Es war einfach nicht seine Art, sein Wesen. Er tat, was ihm möglich schien.“

Ab 27. Jänner, dem Holocaust-Gedenktag, sind Interviews österreichischer Auschwitz-Überlebender auf der Homepage der Burgenländischen Forschungsgesellschaft online.

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