TU-Architekten glänzen in Frankreich

Die berühmte Klosterinsel Mont-Saint-Michel im Atlantik ist über den von Dietmar Feichtinger entworfenen Lauf- und Fahrsteg erreichbar
Gegenseitige Inspiration führt zu austro-französischer Symbiose. Vorarlberger Holzbauweise Vorbild.

Man könnte von der großen "Softpower" eines kleinen Landes sprechen. Ausgerechnet in Frankreich, einem Kernland der sowohl historischen als auch aktuellen europäischen Architektur (man denke nur an Stars wie Le Corbusier oder Jean Nouvel), wird einem dieser Tage bewusst, dass Österreich zu einer Art Großmacht der zeitgenössischen und nachhaltigen Architektur avanciert ist.

Der Zufall will es, dass gerade jetzt zwei diesbezügliche Ereignisse Schlag auf Schlag aufeinander folgten. Am Freitag geriet der aus Bruck/Mur stammende und in Paris etablierte Architekt Dietmar Feichtinger, Schöpfer der auffälligsten Wasserquerungen Frankreichs der letzten Jahrzehnte, wieder einmal ins Rampenlicht. Bei einem Festakt wurde der Abschluss der Ausbuchtungsarbeiten des Mont-Saint-Michel begangen: Die Klosterburg-Insel im Atlantik ist wieder allumfassend von Wasser umgeben, wobei der Zugang über einen von Feichtinger geplanten, unglaublich geschmeidigen Lauf- und Fahr-Steg erfolgt.

Einen Tag zuvor, am Donnerstag, hatte Österreichs Botschafterin Ursula Plassnik zu einem Kolloquium über "Architektur für das Klima" geladen – eine Vorleistung für den Pariser Weltklima-Gipfel Ende November. Es ist nicht das erste Mal, dass die einfallsreiche und passionierte Gesandte mit Veranstaltungen zu angesagten Themen auftrumpft. Aber mit dem Kolloquium über innovative Bau- und Beheizungsarten ist ihr ein Volltreffer gelungen.

Eine Wienerin in Paris

TU-Architekten glänzen in Frankreich
Die Austro-französische Architektin RENÉE FLORET-SCHEIDE. Steile Erfolgskarriere von der TU-Wien nach Paris
Der Karriereverlauf der Mit-Initiatorin des Kolloquiums, der Wienerin Renée Floret-Scheide, die seit 1990 ein Architektur-Büro für Renovierungen in Paris leitet, illustriert das Erfolgsrezept talentierter Österreicher in Frankreichs Bau-Szene. Die Absolventin der Wiener TU hatte sich im Zuge ihrer Heirat mit einem Franzosen in Paris etabliert. 1991, obwohl damals noch unbekannt, erhielt sie unter 70 Mitbewerbern den Zuschlag für eine Sozialbau-Renovierung. Knapp gefolgt von Renovierungsaufträgen des französischen Außenministeriums für Frankreichs Botschaften in Riga und Belgrad.

Chance für Junge

"Zumindest damals wären derartige Erfolge für mich als Frau und eher jung in Österreich nicht so leicht gewesen", vermutet Floret-Scheide und bestätigt damit, was auch Dietmar Feichtinger gelegentlich über seinen Karrierestart in Frankreich berichtet, nämlich dass bei französischen Ausschreibungen die eingebrachten Bauprojekte ohne Vorbehalte gegen Jung-sein oder Ausländisch-sein beurteilt wurden. Gleichzeitig hatten die Österreicher einen Vorteil: "An der TU in Wien beschäftigten wir uns schon zu meiner Studienzeit mit energetischen Studien. Bauphysik war hingegen an Frankreichs Architektur-Hochschulen lange Zeit kein Thema. Es gab auch kaum Brücken zur Ingenieursausbildung."

Bei der thermischen Isolierung würde Frankreichs Bauindustrie gegenüber Ländern wie Österreich oder Deutschland einen "20-jährigen Rückstand" aufweisen, bedauert Floret-Scheide. Aber seit rund sechs Jahren sei ein "ungeheurer Aufschwung" im Gange. Vorgaben der EU und der französischen Regierungen würden Frankreich im Neubau und bei der Altbestand-Sanierung "auf höchstes europäisches Niveau" treiben. In diesem nationalen Kraftakt hätten österreichische Erfahrungswerte eine Spitzenrolle. Dabei würden sich "französische Experimentierfreude und österreichisches Savoir-faire ideal kombinieren".

Nicht nur kopieren

TU-Architekten glänzen in Frankreich
Von Vorarlberg inspiriert, mit eigenen Kreationen weiterentwickelt: Das "Batiment B", Verwaltungszentrum der Holzindustrie der Loire-Region in der französischen Atlantikstadt Nantes honorarfreies Pressefoto zur einmaligen redaktionellen Verwendung
Diese gegenseitige Befruchtung zeitigte ihren spektakulärsten Erfolg im Wiederanstieg der Holzbau-Architektur in Frankreich, nachdem dieser in den 1980er-Jahren nach ersten originellen Anläufen im Nachkriegsfrankreich weggebrochen war. "Der Auslöser war Vorarlberg", sagt Dominique Gauzin-Müller, Professorin für Öko-Architektur. Gemeinsam mit Floret-Scheide organisiert sie seit Jahren Erkundungsfahrten aus Frankreich zur europäischen Avantgarde des Holz- und Passivbaus in Westösterreich. Bisher wurden 20.000 französische Architekten, Handwerker, Ingenieure, Bauträger und Kommunalpolitiker im Ländle empfangen. Es gab auch wichtige Nebeneffekte: Auf den langen Busfahrten nach Vorarlberg (Bregenz liegt auf halber Strecke zwischen Paris und Wien) kam es zur Überwindung der in Frankreich noch ziemlich tiefen Gräben zwischen diesen jeweiligen Fachgruppen.

Einige Architekten beschränkten sich zwar aufs Kopieren und errichteten ihrerseits bloß "Vorarlberger Schachteln, von denen es inzwischen schon zu viele gibt", wie Gauzin-Müller bedauert. Aber andere wurden von der Grundeinstellung der der Vorarlberger Avantgarde beflügelt, dem Mut zum Tabubruch. Die Pariser Architektin Emmanuele Patte berichtet von Schlüsselerlebnissen in Vorarlberg: "Wir fragten uns ständig, wie konnten die das tun, etwa eine Holzdecke einziehen. In Frankreich würde das gegen die Bauordnung verstoßen. Und dann fiel bei uns der Groschen. Die Vorarlberger haben sich einfach gesagt, wir halten uns nicht mehr starr an Vorschriften und überdenken alles neu."

Mut zum Risiko

Resultat: Frankreichs aktuelle Holzarchitektur nützt in unkonventioneller Weise Bäume und Pflanzen (Frankreich hat einen der artenreichsten Waldbestände Europas) – Arten, die als Baumaterialien entweder in Vergessenheit geraten oder nie dafür in Betracht gezogen worden waren. Das löst inzwischen auch in Vorarlberger Fachkreisen Interesse und Bewunderung aus. "In Frankreich", meint Gauzin-Müller, "ist man manchmal weniger gründlich. Das hat aber den Vorteil, dass man enthemmter, risikofreudiger vorgeht."

Gemeinsam mit der Kunstuniversität Linz konzipierte Gauzin-Müller eine Wanderausstellung über die Vielseitigkeit und Eigenständigkeit der französischen Holzarchitektur ("Die Leichtigkeit des Seins – aktuelle Bauten aus Frankreich"), die im Frühjahr in Dornbirn Halt machte – "da, wo alles begann".

Es gibt sonst kaum Architekten, die 13 Brücken in Europa und davon gleich zwei in Paris über der Seine errichtet haben. Trotzdem will der 54 jährige Dietmar Feichtinger, der aus Bruck an der Mur stammt, die TU in Graz absolvierte und seit 1989 von Paris aus wirkt, nicht ewig als „Brücken-Architekt“ abgestempelt werden. Tatsächlich hat Feichtinger etliche andere Objekte, darunter in Österreich etwa die Donau-Universität Krems und das Klinikum Klagenfurt erbaut. Aber die 2006 eröffnete „Passerelle Simone-de-Beauvoir“ war wohl das Meisterwerk, das ihm zu Weltruhm verhalf. Die mit Holz verkleidete, mehrfach auf und ab-geschwungene Fußgängerbrücke trägt alle Merkmale, die auch wieder den gewundenen Steg zum Mont-Saint-Michel prägen.

Nicht das Bauwerk selber, sondern dessen Eingliederung in das Umfeld sowie das Begehungserlebnis des Brückenbenützers und seine Sicht auf die monumentale Umgebung (der Pariser Gebäudehorizont beziehungsweise die Klosterburg im Fall des aus dem Watt aufragenden Mont Saint Michel) werden zelebriert. Allein diesem Zweck dienen die extrem ausgefeilten, nachhaltigen Materialmischungen und die Schwingungen und Windungen des Konstruktionsverlaufs. Das machte Feichtinger zum idealen Partner für die ökologische und einwohnernahe Wende, weg vom autoritären Pompbau, die die rotgrüne Pariser Stadtverwaltung einleitete.

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