Kräutler: "Er ist sehr volksnah und einfach"

APA3066316 - 27102010 - EISENSTADT - ÖSTERREICH: Der seit Jahrzehnten in Brasilien tätige Bischof und Träger des Alternativen Nobelpreises, Erwin Kräutler, am Mittwoch, 27. Oktober 2010, im Rahmen eines Interviews mit der APA in Eisenstadt. APA-FOTO: ROLAND SCHLAGER
Der in Brasilien tätige Vorarlberger über den neuen Papst und die Zukunft der Kirche.

Der eine galt als Kardinal der Armen und ist jetzt Papst, der andere ist ein Bischof der Armen – und ist es immer noch: Der aus Vorarlberg stammende und in Brasilien tätige Erwin Kräutler, 73, streut im KURIER-Interview den neuen Pontifex Rosen und hofft auf Reformen.

KURIER: Am Samstag kam es zum „Gipfeltreffen“ des emeritierten und des neuen Papstes. Wird sich der alte, Benedikt XVI., weiter einmischen?

Bischof Erwin Kräutler: Nein, sicher nicht. Auf seine alten Tage wird er sich dem Gebet und der Meditation widmen. Ich kannte ihn schon vor seiner Zeit als Papst – und er mich. Als er dann 2007 in Sao Paulo war, hat er sich sehr besorgt gezeigt, weil ich Morddrohungen erhalten habe. „Beten wir füreinander“ hat er damals zu mir gesagt.

Was erwarten Sie vom Papst?

Ich war überrascht über seine Wahl, aber ich bin sehr erfreut. Der Mythos, dass das Oberhaupt aus Europa oder gar aus Italien kommen muss, ist damit ad acta gelegt. Die lateinamerikanische Kirche kann viel beitragen, und der neue Papst weiß, worum es geht. Er hat stets für die Armen Partei ergriffen.

Aber mit Befreiungstheologie, die Sie leben und die auch gesellschaftsverändernd sein will, hat Franziskus nicht sehr viel am Hut. Er muss kein Professor der Befreiungstheologie sein. Unsere Anliegen sind wichtig. Und die vertritt er. Als er sich bei seinem ersten Auftritt nach der Wahl zuerst verneigt und um den Segen der Menschen gebeten hat, wusste ich: Dass die Kirche ein Haus für die Armen sein soll, ist ihm ein Anliegen.

Stimmt, er gibt sich volksnah, aber ist er deswegen schon ein Johannes XXIII., der mit dem Zweiten Vatikanischen Konzil die Kirche revolutionierte?

Ich finde, er bricht mit der Tradition seiner Vorgänger und erinnert mich an Johannes Paul I. (26. 8–28. 9. 1978), er ist sehr volksnah und einfach. Und ich wünsche mir, dass er wie Johannes XXIII., der übrigens auch als Übergangspapst eingestuft worden war, die Fenster aufreißt und die Welt nicht als feindselig wahrnimmt. Nur so kann unser Evangelium verkündet werden: Die Liebe Gottes ist für alle da.

Braucht es ein III. Vatikanum?

Es kann sein, dass der neue Papst eines einberuft. Wichtig ist aber, dass die Bischofssynoden aufgewertet werden und ein echter Dialog in Gang kommt. Und dass der erste Satz von „Gaudium et Spes“ (Freude und Hoffnung), wie er im Zweiten Vatikanum niedergeschrieben wurde, lebendig wird: „Freude und Hoffnung, Trauer und Angst der Menschen von heute, besonders der Armen und Bedrängten aller Art, sind auch Freude und Hoffnung, Trauer und Angst der Jünger Christi.“

Die römische Kurie ist sehr mächtig und verhinderte viel. Glauben Sie, dass Franziskus sie in den Griff bekommt?

Das hoffe ich. Er muss sie total umkrempeln.

Schafft er das?

Da sollte man ihn nicht unterschätzen, er ist Jesuit, und die können sich schon durchsetzen.

Ein Jesuit, deren Orden als intellektuelle Speerspitze des Vatikans gilt, nimmt den Namen des Heiligen Franz von Assisi an, der für Spiritualität und Charisma steht – passt das zusammen?

Das ist eine wunderbare Synthese. Auch der Bettelmönch trat damals gegen die verfallende Kirche auf.

Franz von Assisi wird heute auch gerne als „Öko-Bruder“ gesehen. Erhoffen Sie sich vom neuen Pontifex Rückenwind für Ihr Engagement gegen das geplante Mega-Wasserkraftwerk Belo Monte in Ihrer Diözese?

Im Prinzip ja, aber punktuell in diesem Fall, eher nein.

Franziskus gilt als sozial-liberal, aber in Glaubensfragen sehr konservativ. Wird er die heißen Eisen, wie Frauen-Mitbestimmung oder Zölibat, anfassen?

Ich glaube schon. Die Stärkung der Frauen etwa – darum kommt man nicht mehr herum. Auch die Frage des Umgangs mit wiederverheirateten Geschiedenen muss entschieden werden.

Aber es heißt, der ehemalige Kardinal von Buenos Aires hätte die Taufe eines Kindes einer Alleinerzieherin verweigert.

Da habe ich genau das Gegenteil gehört: Dass er sich nämlich für eine solche Taufe eingesetzt hat. Natürlich ist so ein Kind zu taufen. Ich würde das immer machen.

Sie stehen dem Papst offenbar nahe. Wenn er Sie nach Rom beriefe, würden Sie gehen?

Das halte ich für ausgeschlossen, aber sollte die Order ergehen und ich die Kompetenz für den Auftrag haben, würde ich dem nachkommen. Das gebietet der Gehorsam, der kein Kadaver-Gehorsam ist, aber ich fühle mich dem Nachfolger Petri schon verpflichtet.

Wie sehen Sie den Medien-Hype um die Papstwahl?

Erklären Sie mir das, Sie sind der Experte.

Geht es vielleicht um eine undefinierte Sehnsucht?

Ich glaube schon. Die Menschen wollen Werte, und die Kirche gibt Werte.

Zur Person

1939 in Vorarlberg geboren. Mit 41 Jahren wurde er von Papst Johannes Paul II. zum Bischof-Koadjutor für die Prälatur Xingu ernannt, deren Bischof damals sein Onkel Erich Kräutler war. Die Nachfolge trat Kräutler ein Jahr später an.

Engagement Der von der Theologie der Befreiung geprägte Kräutler wurde 2010 mit dem Alternativen Nobelpreis für seinen Einsatz für Indios und Kleinbauern geehrt. Er ist vehementer Gegner des Mega-Staudammprojekts von Belo Monte. 1987 entging Kräutler einem Mordanschlag.

Am Samstag, vier Tage nach seiner feierlichen Amtseinführung flog Papst Franziskus per Hubschrauber nach Castel Gandolfo, um seinen Vorgänger zu besuchen. Der emeritierte Pontifex Benedikt XVI. wohnt dort vorübergehend, bis er in ein Kloster im Vatikan übersiedelt.

Die beiden Kirchenmänner kennen einander schon lange. Benedikt empfing Franziskus auf dem Hubschrauberlandeplatz der päpstlichen Sommerresidenz mit einer herzlichen Umarmung. In der Kapelle von Castel Gandolfo beteten sie gemeinsam. Laut Vatikansprecher Frederico Lombardi wollte Benedikt XVI. zunächst, dass Papst Franziskus hierfür eine besondere Betbank nutzt. Doch dieser kniete sich neben ihn hin und sagte: „Wir sind Brüder“.

Danach zogen sich Papst Franziskus und Benedikt XVI. mit den beiden Privatsekretären Erzbischof Georg Gänswein und Alfred Xuereb zum Mittagessen zurück.

Ein Zusammentreffen zweier Päpste hat historischen Seltenheitswert. Benedikt war am 28. Februar zurückgetreten. Der letzte und bis vor kurzem einzige Papst zuvor, der freiwillig aus dem Amt schied, war Coelestin V. im Jahr 1294.

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