Kita-Not: Wenn Eltern die Krise kriegen
Über Mütter vom Prenzlauer Berg wird hier gerne gelästert: Sie würden mit teuren Buggys durch ihren Kiez flanieren, Latte macchiato trinken und hätten keine anderen Sorgen, als über Bio-Windeln zu diskutieren. So weit das Klischee. Wer sich dieser Tage aber mit den Müttern unterhält, bekommt schnell ein anderes Bild. Eines von wenig entspannten Frauen, die an der Suche nach Betreuungsplätzen für ihre Kinder fast verzweifeln und um ihre berufliche Existenz fürchten.
Ann-Mirja Böhm ist eine davon, die 35-Jährige lebt in besagtem Klischee-Kiez und suchte ein Jahr lang berlinweit nach einer Betreuung für ihre Tochter Paulina: Sie kontaktierte über 50 Kitas und 100 Tagesmütter – ohne Erfolg. Irgendwann war sie am Ende, wusste nicht mehr weiter, erzählt sie im KURIER-Gespräch. Sie notierte Absagen und Wartelistenplätze in einer Excel-Liste, die immer länger wurde.
Aktuell fehlen etwa 2500 Plätze in Berlin. Deutschlandweit waren es 2016 rund 300.000 Betreuungsplätze für Kinder unter drei Jahren. Die Ursache: Es mangelt an Erziehern. Der Beruf ist in Deutschland nicht sehr attraktiv, die Ausbildung wird nicht vergütet, die spätere Bezahlung ist gering. Genau deswegen gründete Ann-Mirja Böhm mit anderen Eltern die Initiative „Kitakrise“ – etwa 3000 Menschen protestierten am Samstag auf der Straße. Sie forderten bessere Arbeitsbedingungen für die Erzieher und einen Ausbau der Kitas. Was Böhm besonders ärgert: „Das Problem war absehbar. Die Stadt wächst, immer mehr Menschen zieht es nach Berlin und es gibt einen Babyboom.“
Österreicher gefragt
Personal wird seit einiger Zeit auch in Österreich gesucht. Christof Laumer, Direktor der BAfEP Amstetten (Bildungsanstalt für Elementarpädagogik), hat bereits zwei Mal Besuch von einer Berliner Organisation gekommen. Sie haben ihr Konzept vorgestellt und um Absolventen geworben, berichtet Laumer. Aus München kommt ebenfalls jährlich Informationsmaterial sowie eine Einladung, die Stadt und Einrichtungen kennenzulernen. Er erklärt sich das Interesse nicht nur wegen des fehlenden Personals, auch die Grundausbildung sei hier besser. Nach fünf Jahren sind die Absolventen ausgebildete Gruppenleiter. In Deutschland läuft die Ausbildung in jedem Bundesland anders ab, auch die Bezahlung ist unterschiedlich.
Auf den Protest der Mütter hin, der in den vergangenen Tagen eine hohe mediale Aufmerksamkeit generierte, versprach der Berliner Senat zu handeln. Man wolle sich zunächst für eine bessere Bezahlung einsetzen. Von heute auf morgen werden sich dadurch nicht Tausende Erzieher rekrutieren lassen. Und da wären noch die Kitaplätze.
Wenn Charlotte durch ihre Nachbarschaft in Friedrichshain spaziert, fallen ihr sofort die Auslagen der Kitas auf: „Ausgebucht“ oder „Plätze erst ab 2020“ steht dort. „Da bekommt man kein gutes Gefühl“, sagt die 30-Jährige, die im Juli ihr erstes Kind bekommt. Sie wollte sich in einer Einrichtung vormerken lassen. Doch in der Kita hat man abgewunken, erst wenn das Kind geboren ist. Die anderen zehn Stellen, die sie und ihr Freund kontaktierten, haben sich nie gemeldet. „Wie soll man da einen Platz bekommen?“, fragt sie sich. Von der in Sonntagsreden beschworenen Vereinbarkeit von Familie und Beruf könne keine Rede sein. Und wer wie Charlotte keine Familie in der Stadt hat, ist auf Kitas angewiesen. Sie will nach einem Jahr in ihren Beruf zurückkehren. Um nicht ausgebremst zu werden und weil es eine finanzielle Frage ist: Volles Elterngeld gibt es nur für ein Jahr.
Eltern klagen
Eine Kollegin musste gar um ihre Existenz bangen. Sie ist alleinerziehend, fand keinen Platz für ihr Kind. Erst nach einer Klage bekam sie ihn zugewiesen. Das ist kein Einzelfall, viele Eltern beschreiten den Rechtsweg und sind erfolgreich. Denn ab dem ersten Lebensjahr haben Kinder Rechtsanspruch auf wohnortnahe Betreuung.
So weit musste Ann-Mirja Böhm nicht gehen. Nach einem Jahr fand sie einen Platz am anderen Ende der Stadt. Zwei Stunden verbrachten sie und ihr Mann mit Hinbringen und Abholen. Mittlerweile ist ihre Tochter in einer Kita, die näher bei der Wohnung ist. „Ein Privileg“, sagt die 35-Jährige und will sich nun für die anderen Mütter einsetzen. Zum Beispiel für eine zentrale Datenbank, die zeigt, wo es noch Plätze gibt – das würde schon vielen Eltern helfen, die Nerven zu bewahren. Vermutlich auch den Kitas.
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