Rom

Im Vatikan ist "Zeit des Vertuschens vorbei"

Papst Franziskus ist mit massivem internen Widerstand konfrontiert, aber, so Feichtlbauer, „er muss den Augiasstall ausmisten, kein Stein darf auf dem anderen bleiben“
Kirchen-Insider über Missstände am Heiligen Stuhl und Reform-Möglichkeiten des Papstes.

Er ist der Doyen der katholischen Publizistik und seit Jahrzehnten intimer Kenner des Vatikans sowie der Kirche in all ihren globalen Ausprägungen. Im KURIER-Gespräch bezieht Hubert Feichtlbauer, 83, Stellung zu den Vorwürfen in einem soeben erschienenen Buch über die Zustände im Vatikanstaat (siehe unten), und er spricht über die Zukunft des Katholizismus.

KURIER: In dem Aufsehen erregenden Werk "Alles muss ans Licht" erhebt der Journalist Gianluigi Nuzzi schwere Vorwürfe gegen den Kirchenstaat. Kurienkardinäle würden in Rom in Wohnungen von bis zu 700 Quadratmetern leben, Vatikan-Räumlichkeiten seien verwanzt, die Vermögensverwaltung sei absolut intransparent. Kann das denn alles wahr sein?

Hubert Feichtlbauer: Ja, alles deutet darauf hin, dass diese entsetzlichen Dinge stimmen. Es hat jedenfalls gegen die Anwerfungen niemand protestiert. Es ist eine Aufgabe enormen Ausmaßes, diesen Augiasstall ("Riesensaustall") auszumisten.

Im Vatikan ist "Zeit des Vertuschens vorbei"
Matinee der Erinnerung anläßlich 50 Jahre Rundfunkvolksbegehren Hubert Feichtlbauer
Auch der "Peterspfennig", den die Gläubigen in aller Welt in den Vatikan schicken – aus Österreich kommen jährlich 872.000 Euro –, soll missbräuchlich verwendet werden. Gerade einmal 20 Prozent der insgesamt mehr als 53 Millionen Euro sollen in karitative Hilfsprojekte fließen. Ist das nicht erschütternd?

Absolut, das ist erschreckend und dringend reformbedürftig. Daher ist es auch kein Zufall, dass Papst Franziskus gleich zu Beginn seines Pontifikats zur Überprüfung der Finanzen eine Kommission eingesetzt hat. Dieser Bereich und die Verwaltung schreien derart nach Erneuerung, dass man sich schämt.

Aber konkret ist der aktuelle Papst in diesem Zusammenhang noch keinen Schritt weitergekommen.

Ein Stück weit schon, die Möglichkeiten der Geldwäsche wurden abgestellt. Aber wahr ist auch: Keine Macht der Welt kann Missstände verhindern, wenn solche Strukturen herrschen. Absolute Herrschaft korrumpiert immer. Erfreulich ist freilich, dass Franziskus diese große Baustelle "angeht".

Aber kann sich der Papst gegen die Widerstände durchsetzen?

Allein nicht, er kann nur versuchen, die Weltkirche zu mobilisieren und hinter sich zu versammeln. Durch die Veröffentlichung der untragbaren Zustände wird es am ehesten zu einer Veränderung kommen. Bei dieser Reformpolitik muss das Motto lauten: Es darf kein Stein auf dem anderen bleiben. Die Zeit, in der alles unter der Tuchent gehalten wurde, ist endgültig vorbei. Dafür ist Franziskus zu sehr in die Offensive gegangen.

Was hat Franziskus den Blockieren und Bremsern entgegenzusetzen?Gerade die jüngsten Enthüllungen zeigen, dass diese Vatikan-Clique, der es nur um Macht, Einfluss und ihre Bequemlichkeit geht, im Unrecht ist. Sie hat immer in den Mittelpunkt gerückt, dass die Frage nach Gott das zentrale Problem sei. Das galt dann immer als Entschuldigung dafür, nicht über Strukturreformen zu reden.

Was treibt diese alte Hardliner-Truppe im Vatikan an?

Sie haben es sich gerichtet und glauben, zu Höherem berufen zu sein, die sich von niemandem, auch nicht vom Kirchenoberhaupt, einschränken lassen wollen. Sie haben sich fälschlicherweise eingeredet, im Besitz der alleinigen Wahrheit zu sein. Doch das entspricht nicht dem Geist der frohen Botschaft, die sie zu verkünden und zu leben hätten. Der Papst in seiner bescheidenen Art gäbe ihnen ein gutes Vorbild.

Noch einmal: Wie kommt der Pontifex an sein Ziel?

Er setzt dem Zentralismus seinen Dezentralismus entgegen – nach der Devise: Alle wollen mehr Macht, ich weniger, in meinem Rucksack steckt die ganze Macht, ich komme zu euch, wo immer ihr seid, dass ihr euch daraus nehmt. Es ist doch absurd, dass 1,2 Milliarden Menschen (Zahl der Katholiken weltweit) von einem Alleinherrscher dominiert werden. Für den Wandel braucht es aber mutige Bischöfe, die den Papst unterstützen.

Schon der Vorgänger von Franziskus, Benedikt XVI., ist am vatikanischen Apparat zerschellt, wie es heißt, und zurückgetreten. Besteht diese Gefahr auch für den aktuellen Papst?

Viele Kirchenoberhäupter sind in diesem Kontext an die Grenzen gestoßen. Sie dachten sich, ich kann ja nicht Krieg im eigenen Haus führen, also ließen sie es bleiben. Das große Verdienst von Benedikt XVI. war es, zu sagen, dafür habe ich nicht mehr die Kraft, das soll ein Neuer machen. Dafür wird er in die Geschichte eingehen. Sein Nachfolger hat jetzt schon zumindest das Bewusstsein geschaffen, dass die Zeit des Vertuschens und Aussitzens vorbei ist.

Mag sein, aber theologisch geht nichts weiter, siehe die soeben zu Ende gegangene Familiensynode.

Erfreulich war , dass es heftige Auseinandersetzungen gegeben hat. Konflikte sind immer Motoren für Veränderungen. Dass diese Konflikte nach außen gedrungen sind, ist gut. Früher ist alles hinter verschlossenen Türen nach den Regeln des Intrigantenstadels abgelaufen.

Was waren die Streitpunkte?

Unter anderem die Homosexuellen-Ehe und die heterosexuelle. Was Letztere betrifft, ist in Afrika die Vorstellung weit verbreitet, dass sie parallel stattfinden kann, während es bei uns nacheinander passiert. Das und andere Moralvorstellungen müssen in die jeweiligen Kulturen eingebettet werden. Das ist das, was der Papst mit Dezentralisierung meint. Die Letztinstanz muss das eigene Gewissen sein, kein Papst kann das umstoßen.

Illegale Bankgeschäfte, Geldwäsche, Luxussucht der Kurienkardinäle, schwarze Löcher beim Immobilienvermögen des Vatikans – solche Gerüchte kursierten in Rom seit Langem. Dass die Situation in Wahrheit noch schlimmer ist, belegt das neue Enthüllungsbuch "Alles muss ans Licht" von Gianluigi Nuzzi. Das Werk basiert auf geheimen Dokumenten und abgehörten Gesprächen aus "absolut zuverlässigen Quellen". Tonmitschnitte einer Rede von Papst Franziskus an die Kurienkardinäle im Juli 2013 zeichnen ein dramatisches Bild von einer außer Kontrolle geratenen Finanzsituation im Vatikan.

Ein schockierter Papst fordert angesichts der Geldverschwendung und Günstlingswirtschaft, die den Kirchenstaat an den Rand des Bankrotts trieb, in Zukunft Transparenz und Aufklärung. Konkret prangert Franziskus exorbitante Kosten, Bau- und Renovierungsverträge voller Fallen, unehrliche Lieferanten und überteuerte Waren an. Der Papst kündigt den Einsatz der Cosea-Kommission an, die alle Ausgaben und Konten prüfen und den Finanzbereich neu strukturieren soll.

Spenden versickern

Das achtköpfige Team, darunter Unternehmensberater von McKinsey, bringt Erschreckendes ans Licht: Nur ein Bruchteil der Spenden kommt Bedürftigen zugute. Geisterkonten bei der Vatikanbank längst verstorbener Päpste werden aufgedeckt. Das jahrzehntelange Rätselraten, ob Päpste ein Konto besitzen, wird somit gelüftet.

Gelder für den millionenschweren Markt der Heilig- und Seligsprechungsverfahren verschwinden. Daraufhin werden alle Girokonten bei der vatikanischen Güterverwaltung APSA und der Vatikanbank IOR gesperrt, die einen Bezug zu Heiligsprechungsprozessen haben. Darunter befindet sich auch das Konto von Benedikts Privatsekretär Georg Gänswein. Die meisten Kontosperren wurden wieder aufgehoben.

Weiters kommt ans Licht, dass die Vatikanbank Geldwäsche betreibt. Der Leiter der Finanzbuchhaltung der APSA, Monsignore Scarano, wurde verhaftet. Er soll unter anderem große Summen an illegalen Auslandsgeldern auf Vatikan-Konten transferiert haben. Die von Jorge Mario Bergoglio eingesetzte Taskforce stößt auf heftige Widerstände im Vatikan: Im Geheimarchiv der Kommission wurde der Tresor geknackt, Abhörwanzen wurden installiert.

"Das Buch legt den Finger in alle wunden Punkte, unter denen der Vatikan leidet. Ich denke aber, dass einige Daten, etwa die Ausgaben bei Spendengeldern, nochmals genau überprüft werden sollen", sagt Vatikan-Expertin Giovanna Chirri zum KURIER.

Was den Reformkurs von Franziskus im Finanz- und Verwaltungsbereich betrifft, ist Chirri optimistisch: "Er hat bereits vieles angestoßen, neues Personal eingesetzt, die alte Garde ausgetauscht und mehr Transparenz durchgesetzt." Schwieriger sei ein Mentalitätswechsel zu erreichen: "Konkret angesprochen auf den Luxus mancher Kardinäle sagte Franziskus auf dem Rückflug aus Brasilien: Er möchte niemanden verurteilen, aber er hofft, dass er mit seinem bescheidenen Lebensstil ein Vorbild für andere ist und sie umdenken."

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