Hoffnungsland Ruanda: Auf dem Weg zum "Singapur" Afrikas

Ruandas Hauptstadt Kigali ist blitzsauber, Plastiksackerl sind verboten
Das kleine Land schreibt eine große Erfolgsstory und setzt auf Digitalisierung und Dienstleistung. Eine Reportage.

Mindestens ein Handy pro Person liegt auf jedem der Tische im "Café Bourbon". Auch die Tablet-Dichte ist beeindruckend – bei einem Cappuccino um den stolzen Preis von umgerechnet 3,5 Euro surft man hier im Zentrum der ruandischen Hauptstadt Kigali vom bequemen Leder-Fauteuil in die ganze Welt.

Die WLAN-Verbindung ist perfekt, schnell. Und so verändert sich das Land im Herzen Afrikas. In Ermangelung eigener Rohstoffe will man als IT-, Dienstleistungs- und Konferenz-Hotspot das "Singapur" des Schwarzen Kontinents werden.

Große Ziele

Klingt hochtrabend, sehr ehrgeizig, ist es auch, wenn man bedenkt, dass drei Viertel der rund zwölf Millionen Einwohner von der Landwirtschaft leben und sechs von zehn Ruandern mit nur zwei US-Dollar pro Tag (oder weniger) auskommen müssen.

Doch die Regierung unter Präsident Paul Kagame verfolgt große Ziele: Schon in drei Jahren will man zu den sogenannten Middle-Income-Countries gehören. Durchschnittliche Wachstumsraten zwischen sechs und acht Prozent sind tatsächlich ein Versprechen für die Zukunft. Umgeben von Kriegen, Misswirtschaft und Korruption präsentiert sich Ruanda als das andere Gesicht Afrikas, als Erfolgsmodell.

Die Straßen in Kigali sind blitzsauber, die Parks gepflegt, gebaut wird an allen Ecken und Enden. Plastiksackerl sind im Gegensatz zu Österreich längst verboten, Raucher aus Lokalen verbannt.

Die Hauptstadt präsentiert sich als "place to be" und setzt mit einem modernen Konferenzzentrum auf internationale Events. Ein Gipfel der Afrikanischen Union fand dort schon statt, das afrikanische Weltwirtschaftsforum ebenso. Die Hotelketten Marriott, Intercontinental oder Serena rittern bereits um den Markt.

Unternehmerfreundlich

"Western Style" ist angesagt – und Vorrang für Business. Im gleichnamigen Indikator der Weltbank schaffte es das kleine Ruanda (gut zwei Mal so groß wie Oberösterreich) auf Platz 56 von 189 Ländern und siegte damit in der Wertung der Subsahara-Staaten. Das Unternehmer-freundliche Umfeld lockte auch die Firma "Positivo BGH", das brasilianisch-argentinische Joint Venture lässt in Kigali Laptops produzieren.

"Go digital", lautet die Devise. Visa beantragt man online. Glasfaserkabeln wurden bereits in die entlegensten Winkel des unwegsamen Landes gelegt, selbst dorthin, wo es noch gar keinen Strom gibt – das sind noch rund 70 Prozent aller Haushalte, in den kommenden Jahren soll dieser Wert aber auf 30 Prozent gedrückt werden.

Die Gemeinde Kirimbi im Westen Ruandas in der Nähe des idyllisch eingebetteten Kivu-Sees. Hier hat die Elektrizität längst Einzug gehalten. Und, wie in allen Bezirken, eine Transparenz in der Verwaltung, die ihresgleichen sucht.

Um auch nur Ansätze von Korruption zu vermeiden, ist auf einer großen Tafel auf dem Amtsgebäude vermerkt, was welche Leistung kosten darf und wie lange die Bearbeitungszeit ist. Das betrifft medizinische Angebote ebenso wie den Bildungs- und Kataster- Bereich sowie andere Sektoren.

Auf dem Anti-Korruptionsindex von Transparency International rangiert das Land bereits auf dem 44. Platz, von 167 gelisteten. Das macht die Regierung in Kigali naturgemäß zum Liebling der ausländischen Geldgeber, deren Zuwendungen 30 bis 40 des Budgets ausmachen.

Eiserne Faust

Doch diese Erfolgsstory – im Gegensatz zu anderen afrikanischen Staaten existiert auch ein Krankenversicherungssystem, das für mehr als 90 Prozent der Bevölkerung die basalen Bedürfnisse abdeckt – hat aber auch eine Schattenseite: Die demokratischen Prozesse sind unterbelichtet.

Der Tutsi Paul Kagame führt Ruanda mit eiserner Faust, seit er 1994 den Völkermord an seiner Volksgruppe durch die Hutus mit seiner Rebellen-Armee beendet hat – diesen Genozid kennen die Jungen zwar nur noch aus Erzählungen, doch da fast jede Familie in irgendeiner Form betroffen war, ist er im kollektiven Bewusstsein weiterhin stark präsent (siehe rechts).

Die Opposition in Ruanda ist jedenfalls de facto nicht vorhanden, die Presse gegängelt. Und so ist der Sieg des 59-Jährigen bei der Präsidentschaftswahl am 4. August reine Formsache. Nach einer Verfassungsreform 2015 könnte er damit legal bis 2034 weiter von der Staatsspitze aus die Geschicke des Landes lenken.

Und auch eine Nachfolgerin zeichnet sich ab. Da sich Kagames Söhne nach der Ausbildung an der US-Offizierskaderschmiede West Point dem Militär verschrieben haben, gilt seine Tochter Ange als Favoritin. Mit ihrem Gardemaß von 1,93 Metern übertrifft sie sogar ihren ebenfalls groß gewachsenen Vater. Hoch hinaus wollen beide – und das Land mitziehen.

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grafik

Auf einmal hatte Epiphanie Schwein – und ein wenig Saatgut. Danach ging es steil bergauf. Die Mutter von Kindern im Alter von fünf, sieben und elf Jahren wurde von Mitarbeitern des ruandischen Roten Kreuzes als besonders bedürftig ausgewählt und erhielt diese Starthilfe – mit einer Auflage: Vom ersten Wurf, es waren sechs Ferkel, musste sie zwei an andere Arme im Dorf abgeben und eines an die Kooperative.

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Ruanda, Rotes Kreuz
Drei kleine Schweine durfte die 39-Jährige behalten. Die verkaufte sie dann ebenso wie die sieben Ferkel des zweiten Wurfes. „Mit dem Erlös habe ich ein Feld gepachtet, auf dem ich Reis angebaut habe. Auch das brachte dann gutes Geld“, erzählt Epiphanie.

Heute haben die Kinder ausreichend zu essen, müssen nicht mehr in Lumpen zur Schule gehen, ihr einfaches Haus hat einen besseren Verputz, ein Blechdach, und nachdem das Fundament verstärkt wurde, wird es bei Starkregen nicht mehr unterspült. „Wir haben ein komplett neues Leben bekommen, zum ersten Mal bin ich so richtig glücklich“, sagt die Frau und lacht.

„Bessere“ Banane

Insgesamt fast 27.000 Menschen profitieren von derartigen Projekten, die vom Österreichischen Roten Kreuz (ÖRK) umgesetzt werden. Gesamtvolumen: mehr als eine halbe Million Euro. Ziel ist es, die Bevölkerung in den ländlichen Regionen aus der extremen Armut zu führen und sie mit nachhaltigen Initiativen so weit zu stärken, dass sie künftig auf eigenen Beinen stehen können.

Dazu gehören die Implementierung verbesserter Anbau-Methoden, die Verwendung ertragreicherer Bananenstauden (sehr wichtig in Ruanda, da aus der krummen Frucht eine Art Bier gemacht wird) oder die Verbreitung von „Sparöfen“, die einen viel höheren Effizienzgrad aufweisen.

Letzteres ist für die Bevölkerung besonders wichtig, da die Wälder fast schon zur Gänze abgeholzt sind, was zu Erosionsproblemen führt, und die aus dem benachbarten Kongo importierte Holzkohl relativ teuer ist.

„Gut zu arbeiten“

„Wir sind im Rahmen unseres Ostafrika-Schwerpunkts jetzt seit zwei Jahren in Ruanda tätig“, sagt ÖRK-Vizegeneralsekretär Michael Opriesnig bei einem Lokalaugenschein. Er habe in dem Land eine sehr „potente, wirkungsvolle und vertrauenswürdige Gesellschaft“ erfahren, mit der „gut zu arbeiten ist“. Daher werde man jetzt auch beim Aufbau eines Rettungsdienstes, den es de facto nicht gebe, mithelfen.

- Walter Friedl

Die Mehrheitsbevölkerung der Hutus war über Tutsis, aber auch über Gemäßigte ihrer Volksgruppe hergefallen, Nachbarn, die zuvor friedlich nebeneinander im selben Dorf wohnten, wurden teils mit Macheten niedergemetzelt. Überall im Land stößt man auf Schilder am Straßenrand – „Genocide Site“.

Die größte Gedenkstätte findet sich in der Hauptstadt Kigali, wo auch die Überreste von mehr als einer Viertelmillion Getöteter bestattet sind. Als Mahnmal – vergleichbar mit dem Holocaust-Memorial Yad Vashem in Israel – ist es gleichsam ein einziger beklemmender Schrei: „Nie mehr wieder!“

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The skulls and bones of Rwandan victims rest on shelves at a genocide memorial inside the church at Ntarama just outside the capital Kigali, August 6, 2010. REUTERS/Finbarr O'Reilly/File Photo

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