Einbeinig Kicken gegen die Katastrophe
Vor drei Jahren, im Jänner 2010, verwüstete ein verheerendes Erdbeben die Karibikinsel Haiti – 250.000 Menschen verloren dabei ihr Leben. Noch viele mehr verloren alles, was sie zum Leben dringendst benötigten: Millionen Menschen mussten ohne Dach über dem Kopf auskommen, Tausende wurden durch den Erdstoß schwer verstümmelt.
Zu diesen Opfern zählen auch all jene, die sich für das Amputee National Team oder das Team Zayren auf dem Fußballplatz tummeln: Die Stürmer mit nur einem Bein, der Torwart mit nur einer Hand – fast alle mit Krücken, und alle jagen dem runden Leder hinterher. Wieso? Weil sie sich ihrem Schicksal nicht ergeben wollen: „Nicht alles kann nach dem Erdbeben wiederhergestellt werden“, erzählt Mackendy Francois der Agentur Reuters. Er war 2010 in den Trümmern einer Textilfabrik begraben worden – seine Freunde trennten ihm damals ein Bein mit einer Metallsäge ab, um ihm das Leben zu retten. Und ja: „Das Leben geht weiter“, sagt der Haitianer, der für die Nationalmannschaft der Amputierten kickt.
Gemeinsam mit anderen steht er auf dem Trainingsfeld nahe Cite Soleil, Haitis größtem Slum in der Umgebung der Hauptstadt Port-au-Prince. Die Spieler des Team Zayren, größtenteils Opfer der Katastrophe, wurden von der US-Hilfsorganisation Medishare unterstützt; die Nationalteam-Kicker vom International Institute of Sport in Texas. Sie wurden medizinisch behandelt, psychologisch betreut - und erhielten auch Prothesen.
Wie von der Tarantel gestochen
Gespielt wird aber ohne diese Hilfsmittel – nur mit Krücken. Beim Match geht es darum, den Ball nur mit dem „echten“ Bein zu berühren, die Krücken dürfen nur als Hilfsmittel bei der Bewegung eingesetzt werden. Daher auch der Name des Teams: Zaryen ist das kreolische Wort für Tarantel; jenem Tier, das sich auf acht Beinen schnellstens in alle Richtungen bewegen kann. Im Falle der Zaryen-Spiele sind es zwar nur drei, langsam sind die Kicker deshalb aber lange nicht.
Die Zuseher auf den Rängen sind begeistert von den beiden Mannschaften – 2011, ein Jahr nach der Katastrophe, sind sie das erste Mal gegeneinander angetreten. Sie machen auf positive Weise sichtbar, was in Haiti zur Normalität gehört: „Land der Amputierten“ wird die Karibikinsel auch genannt, eine Folge der mehr als unzureichenden medizinischen Versorgung – vor und nach dem Beben von 2010. Nach dem Erdstoß mussten die Hilfskräfte vor Ort bis zu 100 Amputation pro Tag vornehmen, und das unter unvorstellbaren Bedingungen: "Zum Teil geht es da zu wie früher: Auf Piratenschiffen hat man den Verletzten ein Stück Holz zwischen die Zähne gesteckt und einfach abgeschnitten", beschrieb Marcel Baeriswyl, Orthopädie-Fachmann der Johanniter-Unfall-Hilfe, der Agentur dpa die damalige Situation.
Die Katastrophe bleibt
Die Lage im Land hat sich in den drei Jahren, die seit dem Erdbeben vergangen sind, nicht erheblich verbessert. Hurrikan „Sandy“ fegte im Herbst vergangenen Jahres über die Insel hinweg und hinterließ massenhaft Todesopfer – relativ unbemerkt von der restlichen Welt, da der Hurrikan zeitgleich für erhebliches Chaos in der Metropole New York sorgte. Zudem wütet seit geraumer Zeit die Cholera auf der Insel; sieben Mal musste seit 2010 der Notstand ausgerufen werden.
Menschen wie Bernard Noubert, Mittelfeldspieler bei Zaryen, sieht deshalb den Fußball als Ankerpunkt in einer schweren Zeit. „Fußball hilft mir, weiterzumachen“, sagt der junge Haitianer, der auch beide Elternteile durch das Erdbeben verloren hat. „Es ist die beste Ablenkung, um mein Herz zu erleichtern.“
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