Nobelpreis an Dialogquartett: "Haben Bürgerkrieg in Tunesien verhindert"

Viele junge Tunesier fühlen sich um ihre Revolution betrogen. Keine der Erwartungen der Jungen hat sich bisher erfüllt.
Überraschung in Oslo: Friedensnobelpreis geht nicht an Merkel, sondern an tunesische Demokratiebewegung.

Eine Jury verkündete am Freitag in Oslo, wer in diesem Jahr mit dem Friedensnobelpreis ausgezeichnet wird: Es ist das Quartett für den nationalen Dialog in Tunesien. Nach dem arabischen Frühling habe das Quartett den Weg zu Gesprächen des Friedens geebnet und den Aufbau einer pluralistischen Gesellschaft ermöglicht, so die Begründung der Jury.

"Das Quartett wurde im Sommer 2013 gegründet, als der Demokratisierungsprozess in Tunesien kurz vor dem Kollaps stand. Sie haben es geschafft einen friedvollen politischen Prozess ins Laufen zu bringen, während das Land am Rande eines Bürgerkrieges stand. Die Gruppe ermöglichte die Etablierung von Verfassungsgrundsätzen, die für alle gleichermaßen gelten – unabhängig von Geschlecht, politischer oder religiöser Orientierung."

Das Quartett besteht aus vier Organisationen der Zivilgesellschaft: dem tunesischen Gewerkschaftsverband (UGTT), dem Arbeitgeberverband (UTICA), der Menschenrechtsliga (LTDH) und der Anwaltskammer. Das Nobel-Komitee äußerte seine Hoffnung, dass der Preis Tunesiens Weg zur Demokratie sichern werde. Er solle aber auch "Ansporn für alle sein, die Frieden und Demokratie im Nahen Osten, Nordafrika und im Rest der Welt voranbringen wollen".

Merkel ging leer aus

EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker hielt im Vorfeld die deutsche Bundeskanzlerin Angela Merkel für eine würdige Trägerin. "Sie hat den Friedensnobelpreis mehr verdient als Barack Obama", sagte Juncker am Donnerstag bei einem Podiumsgespräch. Der US-Präsident hatte den Preis 2009 erhalten.

Zu den Favoriten gehörten auch Papst Franziskus sowie die Internationale Kampagne zur Abschaffung von Atomwaffen.

Der Friedensnobelpreis ist mit 8 Millionen schwedischen Kronen (etwa 850.000 Euro) dotiert und wird - anders als die anderen Nobelpreise - nicht in Stockholm, sondern in der norwegischen Hauptstadt Oslo bekanntgegeben. Überreicht werden alle Preise am 10. Dezember, dem Todestag des Preisstifters Alfred Nobel.

Im vergangenen Jahr hatten sich die damals erst 17 Jahre alte Malala Yousafzai aus Pakistan und der Inder Kailash Satyarthi die Auszeichnung für ihren Kampf für Kinderrechte geteilt.

Entscheidungen des Friedensnobelpreis-Komitees haben Tendenz zu überraschen – so auch heuer mit dem Beschluss, das "Tunesische Dialog-Quartett" auszuzeichnen. Tunesien? Von dem Land, in dem im Dezember 2010 der Arabische Frühling seinen Ursprung nahm, hörte man mit Ausnahme verheerender Attentate so gut wie nichts mehr. Während aus der großräumigen Nachbarschaft des kleinen nordafrikanischen Staates von Libyen bis Syrien nahezu nur mehr Horrornachrichten zu vermelden sind.

Umso bedeutsamer ist die Wahl des Nobelpreis-Komitees und umso größer die Hoffnung, dass diese Entscheidung auch Signalwirkung haben soll.

Tunesien hat es – mit Mühen – geschafft, sich inmitten dieses Meeres aus Gewalt, Krieg und Chaos über Wasser zu halten. Mehr noch: Tunesien ist ein demokratischer Vorreiter in der arabischen Welt. Es hat seit eineinhalb Jahren eine Verfassung, die punkto religiöser und politischer Freiheiten und Frauenrechten in der arabischen Welt ihresgleichen sucht. Und auch die Islamisten Tunesiens haben bewiesen, dass sie in der Lage sind, politische zu kooperieren.

Möglich wurde dies, inmitten einer stark polarisierten Gesellschaft, auch durch einen nationalen Dialogprozess. Eine Art sozialpartnerschaftlicher Verhandlungsmarathon, zu dem sich vier wichtigsten Organisationen des Landes zusammenfanden: Das nun ausgezeichnete "Nationale Dialog-Quartett" – bestehend aus Vertretern des Gewerkschaftsverbandes, des Arbeitgeberverbandes, der Menschenrechtsliga und der Anwaltskammer. Ihr Bemühen, ihre Kompromissbereitschaft und und ihre Entschlossenheit, einen friedlichen Weg des Dialogs zu finden war nach Meinung des Nobelpreiskomitees maßgeblich für den Erfolg Tunesiens. Und diese Errungenschaften, so die Argumentation in Oslo, mögen Signal und Vorbild dafür sein, dass ein friedlicher Übergang in Richtung Demokratie auch in der arabischen Welt nicht unmöglich ist.

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