Extreme Hundstage mit über 40 Grad werden Realität

TCM: Ein Tee, der kühlt - wie geht das?
US-Forscher haben herausgefunden: Von allen Prognosen über den Klimawandel sind nur die ganz düsteren realistisch. Heimische Klimatologen bestätigen den traurigen Befund.

US-Forscher haben herausgefunden: Von allen Prognosen über den Klimawandel sind nur die ganz düsteren realistisch. Heimische Klimatologen bestätigen den traurigen Befund.

Finden wir uns damit ab: Die Welt, wie wir sie kennen, wird es bald nicht mehr geben. Das Klima ist keine Wet­terfront, die wieder vorüberzieht, es stellt sich langfristig und mittlerweile unaufhaltsam um – zu unseren Ungunsten allerdings. Nüchterne Menschen sagen: Besser, wir bereiten uns jetzt darauf vor und machen das Beste daraus – und lassen uns nicht von Klima-PR blenden.

Ab Montag findet in Doha, Katar, die Welt-Klimakonferenz statt. Selbst die Welt-Umweltbehörde UNEP hat keine gesteigerten Erwartungen an dieses Treffen. Ohne einschneidende Maßnahmen seien die Klimaziele nicht erreichbar, heißt es. Gemeint ist das Ziel, die Erderwärmung auf ein Plus von maximal zwei Grad im Vergleich zu vor 1860 zu begrenzen. Anstatt zu sinken, sei der Ausstoß an Treibhausgasen seit dem Jahr 2000 um 20 Prozent gestiegen.

Was die UNEP nicht sagt, ist, dass der Zug längst abgefahren ist. Die aktuelle Studie zweier Klimaforscher aus Boulder, Colorado, malt ein Zukunftsszenario einer – im Mittel – um 4 Grad Celsius wärmeren Welt. John Fasullo und Kevin Trenberth vom Nationalen Zentrum für Atmosphärenforschung haben Klimamodelle auf ihre Glaubwürdigkeit abgeklopft. Ihr Ergebnis: Wir müssen mit dem Schlimmsten rechnen – die zuverlässigeren Klima-Modelle liegen bei vier Grad plus. Sämtliche Modelle, die einen sanfteren Anstieg vorhersagen, unterschätzen den Einfluss der Wolken. Dünne Schleierwolken wirken wärmend, dunkle Regenwolken kühlend. Herbert Formayer vom Zentrum für Globalen Wandel und Nachhaltigkeit bestätigte die Korrektheit der Studie. Auch Franz Prettenthaler von Joanneum Research Graz hält die Vier-Grad-Prognose für realistisch, „wenn wir uns nicht viel mehr anstrengen als bisher“.

Wie wird eine um 4 Grad wärmere Welt ausschauen? Fragen an den Klimaforscher Herbert Formayer vom Institut für Meteorologie, Zentrum für Globalen Wandel und Nachhaltigkeit an der Universität für Bodenkultur.

KURIER: Herr Formayer, wie überlebt man in einer Welt, die im globalen Mittel um vier Grad Celsius wärmer ist?
Formayer: Das ist kaum vorstellbar, es sind ja schon plus 3 Grad ein Wahnsinn. In der Eiszeit war es 4,5 Grad kälter. Die Diskussion um das 2-Grad-Ziel ist aus wissenschaftlicher Sicht gut begründet, wie realistisch das ist, ist aber eine andere Frage. Wie es jetzt ausschaut, ist das Erreichen kaum noch möglich, außer die Politik ändert sich massiv. Auch wenn man sich die Entwicklung in letzter Zeit anschaut: Die Energiekrise scheint abgesagt, weil die Förderung von Schiefergas (ebenfalls fossile Energie, Anm.) gerade von den USA nach Europa exportiert wird.

Wie muss man sich Hundstage im August 2050 vorstellen?
Da wird es global um 1,5 Grad wärmer sein. Wir haben jetzt gerade ein Plus von 0,8 Grad gegenüber der kleinen Eiszeit Ende des 19. Jahrhunderts erreicht. Jetzt noch einmal – innerhalb weniger Jahrzehnte – das Doppelte draufzupacken, ist enorm. Was sich da in den Ökosystemen verändert, ist sicher für viele Organismen zu viel.

Sind Temperaturen bis 50 C in Europa vorstellbar?
Aus meiner Sicht nicht, die 40-Grad-Marke werden wir aber sehr bald knacken. Jetzt liegen wir bei maximal 39,5 Grad (Andau, Bgld., 20. Juli 2007). Jeder Monat, in dem wieder ein Temperaturrekord aufgestellt wird, liegt derzeit gleich um 1 bis 1,5 Grad drüber. Es ist daher nur noch eine Frage der Zeit, bis wir Extremwerte von 42, 43 Grad messen werden.

Die Hitzewelle im August 2003 kostete Zehntausende Menschen das Leben. Sind wir in Österreich auf derartige Szenarien vorbereitet?
Die Hitzewelle in Moskau 2010 war weit östlich, die 2003 weit westlich, aber man wird auch in Österreich ein Vorwarnsystem brauchen. Irgendwann wird es uns treffen, und das wird dann sehr spannend, denn es kann sich heute noch keiner vorstellen, was das bedeutet. In nicht isolierten Dachböden und Häusern, wo noch viele alte Personen ihre Wohnungen haben, da wird es wirklich ungemütlich. Arbeiten auf der Straße wird kaum möglich sein. Es wird zu massiven Einschränkungen des öffentlichen Lebens kommen.

Wird die arbeitende Bevölkerung hitzefrei bekommen oder Siesta halten?
Eine Siesta ist natürlich grundsätzlich möglich, es passt aber nicht zu unserem Lebensstil zwischen 13 und 16 Uhr nach Hause zu gehen. Sehr viele Menschen pendeln ja zur Arbeit in die Städte, die können nicht einfach nach Hause. Das ginge nur dann, wenn wir wie in früheren Zeiten wieder dort arbeiten können, wo wir wohnen. Aber das würde Anpassungsmaßnahmen im großen Stil erfordern.

Seit dem Earth Summit in Rio de Janeiro 1992 hat es nie den großen Wurf zum Klimaschutz gegeben. Warum?
Mit dem Thema Klimawandel hat man es schwer, in der Öffentlichkeit und den Medien durchzudringen. Die Erderwärmung ist zwar brandgefährlich, aber nie wirklich brandaktuell. Für den Klimaschutz bedeutet das: Es müssten jetzt radikale Maßnahmen gesetzt werden, die aber erst in der
zweiten Hälfte des Jahrhunderts greifen werden. Dann werden wir aber auch schon die Auswirkungen voll zu spüren bekommen.

„Wo können wir 2025 noch Ski fahren?“, fragte die Österreichische Akademie der Wissenschaften (ÖAW) und traf mit dem an sich banal anmutenden Satz doch den Kern des Klimawandels. Gemeinsam mit dem Klimaforscher Herbert Formayer hat der Ökonom Franz Prettenthaler von Joanneum Research das Klima-Risiko im Wintertourismus für jede österreichische Gemeinde errechnet. Die Ausgangsfrage lautet: „Was bedeuten zwei Grad Erwärmung für die Alpen?“ Prettenthalers Antwort: „2020 bis 2050 wird die Zahl der Skitouristen um 17 Prozent zurück gehen, weil es in den betroffenen Gemeinden keinen Schnee gibt, und die Bedingungen für die Kunstschneeproduktion nicht mehr passen.“

Prettenthaler und Formayer haben insgesamt 122 Gemeinden in verschiedensten Höhenlagen und mit unterschiedlichen klimatischen Einflüssen untersucht. Die detaillierten Ergebnisse haben sie in der Studie „Tourismus im Klimawandel“ (ÖAW ISBN 978-3-7001-7151-5, 29 €) zusammengefasst.
Das Problem der Klimaforscher: Jede Fragestellung – Hochwasserrisiko, Stürme, Dürre etc. – muss für jede Region, nördlich oder südlich der Alpen, gesondert betrachtet werden. Prettenthaler: „Wir brauchen möglichst zuverlässige, kleinteilige Information.“

Diese regionalen Klimamodelle, die bei Extremwetter und in der Landwirtschaft möglicherweise überlebensnotwendig sein können, soll eine internationale Initiative der besten Klimamodellierer Europas liefern. Euro-Cordex wird von Forschern der Universität Graz koordiniert. Federführend beteiligt ist Andreas Gobiet vom Wegener Zentrum für Klima und Globalen Wandel der Karl-Franzens-Universität Graz: „Früher wurde eine Simulation herangezogen und als Basis für eine Prognose genommen. Im Projekt Euro-Cordex verwenden wir viele verschiedene Simulationen.“ Und: „Gerechnet wird mit
einem Raster von 12,5 Kilometern, wodurch es möglich wird, auch kleinräumige Klimaphänomene zu berücksichtigen.“ Ziel sei es, einen bestimmten Temperaturanstieg für den Zeitraum bis 2100 mit 90-prozentiger Wahrscheinlichkeit vorauszusagen.

Was die Steiermark betrifft, gibt es bereits für Österreich einmalige, detaillierte Prognosen: „Wir wissen, dass es hier bis 2050 um 1,5 Grad wärmer werden wird. In der kühleren Jahreszeit rechnen wir mit mehr Niederschlägen“, sagt Gobiet. Das bedeute aber nicht, dass es öfter ein bisschen mehr regnet, sondern selten heftig. „Und derartige Unwetter haben natürlich gesellschaftliche Auswirkungen.“

Und die Folgen des Klimawandels auf die Gesamtökonomie Österreichs? „Nicht nur der Tourismus ist betroffen, sondern auch die Lebensmittelproduktion“, sagt Prettenthaler. „Und die ist sehr stark in Ober- und Niederösterreich angesiedelt“, weshalb der Ökonom „negative Auswirkungen auf die Regionalwirtschaft in diesen beiden Bundesländern“ prognostiziert.

Damit nicht genug: Der Klimawandel wird auch das gewohnte Landschaftsbild Österreichs radikal verändern, sagt Franz Essl von der Abteilung Biologische Vielfalt und Naturschutz am Umweltbundesamt. „Die Waldgrenze wandert durch die wärmeren Sommer um 100 bis 150 Meter hinauf. Aussichtsberge wie Rax und Schneeberg, die höheren Voralpenberge und die Niederen Tauern sind allesamt Gipfel, die in einigen Jahrzehnten unterhalb der Baumgrenze liegen werden.“ Auch vom Segelrevier Neusiedler See heißt es Abschied nehmen: 2050 werden nicht nur sämtliche Lacken im Seewinkel nur noch selten Wasser führen, sondern auch der See als Ganzes werde „nur noch ein Schatten vergangener Tage“ sein.

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