Das Netzwerk der Jesuiten
Seine frühen Erfahrungen in der spanischen Armee sollten prägend sein für ihn und später für die gesamte Bruderschaft: Als Offizier lernte Ignatius von Loyola (1491–1556) Disziplin und Strenge, aber auch strategisches Denken und Effizienz. Diese Leitlinien (in Verbindung mit Exerzitien) waren von Anfang an auch die des von ihm gegründeten Ordens der Jesuiten, die nun erstmals den Papst stellen.
Die Societas Jesu (Gesellschaft Jesu), wie die Gemeinschaft genannt wird, wurde zur intellektuellen Speerspitze der Kirche. Bildung stand ganz oben auf der Agenda. Später sollten die (bis vor Kurzem nur männlichen) Kader-Schmieden der Jesuiten nicht nur zur Rekrutierung des eigenen Nachwuchses dienen, sondern auch weltliche Eliten hervorbringen. Der Hintergedanke: Über ein Netzwerk von Top-Leuten in Politik, Wirtschaft, Wissenschaft und Kunst kann man auch in die Gesellschaft einwirken.
Polit-Größen
Selbst wenn nicht alle Absolventen nur positive Erfahrungen mit der Ausbildung verbinden und manch einer die humanistische Basis längst verlassen hat (siehe Mugabe) – die Liste der Jesuiten-Zöglinge, die international den Durchbruch geschafft haben, ist beachtlich.
In Europa gehören EU-Ratspräsident Hermann van Rumpoy (Belgien) und Italiens scheidender Premier Mario Monti zu den bekanntesten Absolventen von Instituten mit jesuitischer Tradition. Punkto Effizienz war die Ausbildung der beiden wohl nicht so erfolgreich, aber immerhin zog „Super-Mario“ das Sparprogramm für sein Land konsequent durch. Auch sein Landsmann Mario Draghi wurde im ignatianischen Geist unterrichtet – im Istituto Massimo in Rom. Seit 1. November 2011 ist er Präsident der Europäischen Zentralbank.
Ganz besonders verbunden mit der Gesellschaft Jesu ist Heiner Geißler. Der frühere deutsche Bundesminister und Ex-CDU-Generalsekretär besuchte nicht nur das Kolleg St. Blasien im Schwarzwald, der heute 83-Jährige trat nach der Matura sogar in den Orden ein. Vor Ablegung der Gelübde (Armut, Keuschheit, Gehorsam) verließ er ihn aber: „Mit 23 Jahren habe ich gemerkt, ich kann zwei – also mindestens eines – dieser Gelübde nicht halten. Die Armut war es nicht.“
Wenig Freude mit ihren Ex-Zöglingen dürften die Ordensoberen mit den Castro-Brüdern haben, die Kuba seit fast 1959 dominieren, und mit Simbabwes Diktator Robert Mugabe, der seit 1980 in dem afrikanischen Land das Sagen hat.
Künstler
Auch im Bereich der Kunst haben Jesuiten-Absolventen Spuren hinterlassen – international vor allem im Film-Business: Alfred Hitchcock mit seinen Blockbustern und Luis Buñuel mit seinen surrealistischen Streifen, die oft die Kritik am Christentum in den Mittelpunkt stellen, und der Schauspieler Denzel Washington. Und dann wäre da noch Freddie Mercury, der schwule Sänger der britischen Band Queen. Der Titel eines seiner Songs: Jesus.
Österreichische Jesuiten-Schüler
Kurt Schuschnigg (1897–1977), der das Stella Matutina in Feldkirch besuchte und fast vier Jahre lang Kanzler im austro-faschistischen Ständestaat bis zum Anschluss 1938 war. VP-Vizekanzler Hermann Withalm, (1968–1970; gestorben 2003), VP-Unterrichtsminister Theodor Piffl-Percevic (1964–1969; gestorben 1994).
Schriftsteller Daniel Kehlmann, Filmregisseur Peter Tscherkassy, ORF-TV-Moderatorin Marie Claire Zimmermann, der Online-Chef im ORF, Thomas Prantner.
Der TV-Anchor Tarek Leitner (40) ging acht Jahre lang auf die Jesuitenschule am Freinberg in Linz. „Ich denke, es geht immer um die individuellen Menschen, mit denen man zu tun hat. Zum Beispiel habe ich bei einem Pater das Fotografieren gelernt. Das ist auf persönliches Engagement zurückzuführen, nicht auf die Organisation.“ Als Schulbub faszinierte ihn besonders die klösterliche Anlage: „Im Nachhinein erscheint mir alles als ein positives Gegenkonzept zur hektischen Welt.“ Dass der Jesuiten-Orden im neuen Pontifikat eine große Rolle spielen wird, glaubt Leitner nicht. „Ich denke, die Menschen sind, was sie sind, weil sie eine charakterliche Vorprägung haben. Der Papst stammt aus Buenos Aires, hat dort offenbar Armut gesehen, er hat seine Vita, seine Lebensgeschichte. Das sind die Dinge, die prägen – nicht unbedingt der Orden.“
Kulturmanager Georg Springer (60) hat durchmischte Gefühle, wenn er an die Schulzeit zurückdenkt. Er ging in den 1950er-Jahren als Externer in die Unterstufe in Kalksburg. „Dort habe ich einen derartigen Stock an Grundwissen erhalten, dass ich mich später in der Oberstufe in Mödling mehr oder weniger spielen konnte. Es war eine hervorragende Schule, aber die Disziplinierungen, wie Redeverbote, waren schwerst autoritär. Ich konnte am Nachmittag nach Hause gehen, aber für die Internen war es sehr streng. Ich habe zwar eine großartige Ausbildung mitgenommen, aber auch ein Bild von menschlicher Härte. “Ein Jesuit als Papst war für Springer eine große Überraschung. Er wünscht sich künftig ein transparenteres Verhalten der Kirche. „Es ist eine mächtige Organisation, die sich auch einmal Fragen gefallen lassen muss.“
Thomas Klestil (50), Leiter der Unfallchirurgie am Landesklinikum Baden sowie Mödling und Sohn des verstorbenen, gleichnamigen Bundespräsidenten, besuchte acht Jahre lang das Jesuiten-Kolleg in Kalksburg. „Mich hat damals, in den 70er-Jahren, beeindruckt, dass sie sich nicht an festgefahrene Tradition geklammert haben, sondern offen waren. Auch für alle sozialen Schichten und unterschiedlichen Gesinnungsgemeinschaften.“ Äußeres Zeichen dafür sei, dass „die Jesuiten keine eigene ,Ordens-Tracht‘ haben und sich so in allen Teilen der Welt anpassen können“. In der Schule habe er die Lehrer als „stark intellektuell geprägte Persönlichkeiten wahrgenommen, die in großer materieller Bescheidenheit lebten“. Und der neue Papst? „Ich habe die Hoffnung, dass er es schafft, den Wandel der Gesellschaft unter einen religiösen Hut zu bringen.“
Der Arzt und Politiker Erwin Rasinger (60) ging bis zur Matura nach Kalksburg und hat gute Erinnerung daran. „Die Jesuiten haben die Schüler zu kritischem Denken erzogen und Werte vermittelt wie Mitgefühl.“ Für Rasinger sei diese Prägung auch ein Grund gewesen, den Beruf als Arzt zu ergreifen.
Eine persönlich Bedeutung hat es für ihn nicht, dass Papst Franziskus Jesuit ist. „Ich denke aber, es wird zwei Effekte haben: Weniger Konzentration auf Kerneuropa. Und da der Papst aus Südamerika stammt, wird es sich mehr um soziale Themen drehen. Ich denke, das Wort Barmherzigkeit wird eine Renaissance erleben.“ Auf Reformen hofft Rasinger auch, gerade in Fragen des Zölibats: „Ich denke, das würde der Kirche in Europa einen Push geben. Denn viele Priester, die gute Hirten wären, scheiden wegen des Zölibats aus.“
Der Schauspieler Cornelius Obonya (43) ging vier Jahre ins Internat nach Kalksburg. Weil er ein schlechter Schüler war und „Disziplinierung und Führung im besten Sinne“ erhalten sollte. Ob ihn die Jesuiten geprägt haben? „Wenn ich ehrlich bin, nein. Die Disziplin habe ich dort nicht mitbekommen. Für mich war das Katholische eher mit Druck verbunden, mit Strafandrohung.“ Mit 18 trat Obonya aus der Kirche aus. „Zu Hause bin ich frei aufgewachsen, in der Schule wurden Debatten eher dogmatisch geführt.“
Dass der neue Papst ein Jesuit aus Südamerika ist, findet der Mime „wunderbar.“ Schon an dessen Namenswahl könne man ein Programm ablesen. „Aber die wahren Probleme sind nicht mit Symbolen zu lösen, das wird nur an Taten messbar sein. Wenn er es ernst meint, ist das aber eine unglaubliche Chance, die er eröffnet hat.“
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