Kein Lösegeld für Jemen-Geisel

APA12673964-2 - 10052013 - MUSCAT - OMAN: Der, im Jemen am 21. Dezember 2012 entführte Österreicher Dominik N. und zwei weitere finische Entführungsopfer am Donnerstag, 9. Mai 2013, am Flughafen in Muscat, Oman vor dem Abflug nach Wien. APA-FOTO: AFP/STR
So kam Dominik Neubauer frei: Mithilfe der jemenitischen Armee wurden die Entführer zur Flucht in die Wüste gezwungen. Dort setzten sie kriegerische Stämme bis zur Aufgabe unter Druck.

Medien überbieten sich mit Spekulationen über die Höhen der angeblichen Lösegeldzahlungen an die Entführer des Sprachstudenten Dominik Neubauer, 26, und des finnischen Ehepaares Atte und Leila Kaleva im Jemen. Die österreichische und die finnische Regierung bemühen sich zu versichern, dass nichts gezahlt wurde. Niemand glaubt das. Aus dem Kreis des Befreiungskommandos sickerte nun aber eine Methode durch, die tatsächlich nichts kostet: Die Entführer wurden durch regionale Stämme unter Druck gesetzt, die Geiseln laufen zu lassen – andernfalls hätten sie ihr Leben verwirkt.

Diese Methode wurde schon im Jahr 2008 bei der Befreiung von zwei österreichischen Geiseln in Mali erfolgreich eingesetzt. Damals wurden die Entführer von der algerischen Armee zur Flucht ins 1500 Kilometer entfernte Mali gezwungen. Dort fanden sie sich unter fremden und nicht freundlich gesinnten Stämmen, die nach Aufforderung des malischen Präsidenten Amadou Toumani Touré Druck ausübten. Den Entführern blieb nichts anderes übrig, als die Geiseln freizulassen und den Rückzug anzutreten.

Militärische Offensive

Kein Lösegeld für Jemen-Geisel
Geisel Jemen Neubauer
Im Fall Jemen war es ähnlich. Am 28. Jänner, nur wenige Tage nach der Entführung der drei Europäer, startete die malische Armee mit 7000 Soldaten und Kampfpanzern eine Offensive gegen die nur etwa 160 Kilometer südlich der Hauptstadt Sanaa gelegene El-Kaida-Hochburg Rada‘. Die Armee stellte in Ultimatum von 48 Stunden zur Abgabe der Waffen und Freilassung der Europäer.

Nach heftigen Kämpfen zogen sich die etwa 1000 militanten Gotteskrieger in die Wüste zurück. Auch die Entführer machten sich mit ihren Geiseln Richtung Osten davon.

Die Geheimdienste kannten immer ziemlich genau den Aufenthaltsort der Geiseln. Ein jemenitischer Regierungssprecher zählte die Fluchtstationen auf: Vom Distrikt Marib nach Al-Shihr in Hadramout und letztlich nach Hawf in Al-Mahra nahe der omanischen Grenze. Ortsangaben, die auch von den Geiseln nach ihrer Freilassung bestätigt wurden.

Kein Lösegeld für Jemen-Geisel
Screenshot aus You-Tube-Video von Familie Neubauer, Entführungsopfer Dominik Neubauer, Jemen
Bei der Entführung in Mali war die Situation ähnlich. Verbindungsbeamte vom Heeresnachrichtenamt (HNA), die in der Hauptstadt Bamako stationiert waren, wussten Dank der Unterstützung der regionalen Militärgeheimdienste immer über den Aufenthaltsort der Geiseln Bescheid. Die Amerikaner lieferten sogar hochauflösliche Satellitenfotos.

Doch in beiden Fällen war das Problem über Monate das gleiche: Ein militärischer Zugriff ohne Gefährdung der Geiseln schien nicht möglich.

Die jemenitischen Entführer gerieten aber durch die Flucht in eine höchst unerquickliche Situation. Sie waren ein religiös fanatisierter und einfach strukturierter Wüsten-Clan. Die Entführung war ursprünglich gar nicht geplant, sondern eine Zufallstat. Es fehlte den Kidnappern jegliche Infrastruktur, die derartige Operationen erfordern.

Bei ihrer letzten Fluchtstation waren sie überdies im Stammesgebiet der Mahara gelandet. Ein Wüstenvolk, das als „teilnomadisierendes Kriegervolk“ beschrieben wird. Die etwa 215.000 Stammesmitglieder leben im Südjemen, im Oman und in Saudi-Arabien. Fern der Heimat waren die Entführer nun darauf angewiesen, dass sie von den Mahara geduldet und mit Lebensmittel und Treibstoff versorgt werden.

Die Staatsgrenzen sind für die Mahara bedeutungslos. Für die Entführer waren sie aber unüberwindlich. Und mit ihren Lösegeldforderungen hatten sie schlechte Karten. Österreich und Finnland haben internationale Übereinkommen unterfertigt, die Zahlungen an terroristische Organisationen untersagen. Insbesondere die USA, die Briten und auch die Russen achten mit höchster Aufmerksamkeit darauf, dass niemand dagegen verstößt. Und der jenseits der Grenze herrschende omanische Sultan Qaboos bin Said Al Said hat ebenfalls kein Interesse, Lösegeld an jemenitische Banden zu zahlen. Der war viele Jahre mit der Bekämpfung der vom Südjemen unterstützten sozialistisch orientierten Guerillabewegung in Dhofar beschäftigt. Mit den kolportierten 16 Millionen Euro Lösegeld hätten diese Kräfte Zigtausende Kalaschnikows kaufen können.

Geheimdienstoperation

Kein Lösegeld für Jemen-Geisel
epa03703175 Finnish couple Leila Kaleva (L) and Atte Kaleva (2-L) are surrounded by media representatives and reporters as they hold a news conference in Helsinki, Finland, 16 May 2013. The Finnish couple along with Austrian student Dominik Neubauer, were abducted on December 21 in Sana'a by al-Qaeda-linked militants in Yemen and released on 09 May 2013. EPA/KIMMO BRANDT FINLAND OUT
Der Schlüssel zur Lösung waren die Mahara. Die sind höchst interessiert an Ruhe, Beschaulichkeit – und vor allem an weiterhin durchlässigen Staatsgrenzen. Es begann eine österreichisch-omanische Geheimdienstoperation. In der omanischen Hauptstadt Maskat wurde über mehrere Monate ein Verbindungsoffizier des österreichischen Heeresnachrichtenamtes stationiert. Die omanischen Kollegen begannen auf dem benachbarten jemenitischen Gebiet die politischen Entscheidungsträger der Mahara zu bearbeiten und zur Mitarbeit zu motivieren.

Mit Erfolg, wie sich schließlich zeigte. Die genauen Gründe, warum die Entführer plötzlich aufgaben, sind unbekannt. Angeblich wurden sie mit kollektivem Mord bedroht. Jedenfalls wurden die Geiseln plötzlich ins Auto gesetzt, und an der Grenze einem omanischen Geheimdienstkommando übergeben. Später wurden in Sanaa Gerüchte laut, dass die Entführer angeblich verhaftet worden wären. Möglicherweise sind sie auch schon tot. Aber das wird man nie erfahren. Und ob als Dank österreichische Wirtschaftsprojekte in der Region gestartet werden, bleibt abzuwarten (siehe unten).

Das Kidnapping von Dominik N. und den zwei Finnen dürfte auch Auswirkungen auf die künftigen wirtschaftlichen Beziehungen zwischen Österreich und dem Oman haben. Die Zeitung Oman Daily Observer berichtete zuletzt, dass es seit der Beendigung der Geiselnahme ein „Turbo“ in den Beziehungen zwischen den beiden Ländern gezündet wurde. Lokale Medien berichten bereits euphorisch von neu ausgebrochener Freundschaft zwischen den beiden Ländern. Damit soll an die alten, sehr engen Beziehungen aus der Habsburger-Zeit angeknüpft werden.

Schon im Juni will die Wirtschaftskammer ein Büro im Sultanat eröffnen. Im Vorjahr wurden von Österreich Waren im Wert von 76 Millionen Euro nach Oman exportiert, aber nur um drei Millionen Euro importiert. Nun will man vor allem Halwa, eine traditionelle Süßigkeit, in die Alpenrepublik exportieren.

Über das Büro der Wirtschaftskammer soll in die Gegenrichtung Know-how in den Bereichen Tourismus, Erziehung und Infrastruktur transferiert werden. Damit könnten sechs Joint Ventures (darunter eines der Strabag und eines der Alpine) ausgebaut werden. Derzeit arbeiten rund 60 Österreicher im Oman und haben weitere 40 Familienmitglieder vor Ort.

Vor zwei Jahren geschlossen

Im Oman gibt es auch Hoffnungen, dass Österreich wieder eine Botschaft in der Hauptstadt Maskat eröffnet und sich nicht mehr über die Vertretungen in Riad oder Abu Dhabi vertreten lässt. Vor zwei Jahren wurde die Botschaft (gemeinsam mit der Vertretung in Rio de Janeiro) geschlossen. Laut Außenamtssprecher Martin Weiss sei derzeit „leider keine Wiedereröffnung geplant“. Das sei auch kein mögliches Gegengeschäft für die Hilfe bei der Geiselnahme. Die Schließung der Vertretung sei aufgrund von Budgetkürzungen notwendig gewesen.

Die Stämme in den Wüsten Nordafrikas und der arabischen Halbinsel entsprechen keineswegs den gewohnten, klischeehaften Fernsehbildern mit Zeltsiedlungen. Es handelt sich vielmehr um Völker mit meist Hunderttausenden Mitgliedern. Sie sprechen ihre eigenen Sprachen. So sprechen die Mahara im Jemen Mehri, eine der neusüd­arabischen Sprachen. Im Tschad werden sogar 200 verschiedene Sprachfamilien ausgewiesen.

Die Stammesgebiete haben in den meisten Fällen nichts gemein mit den in der Kolonialzeit gezogenen Staatsgrenzen. So ist es den Menschen auch gar nicht möglich, eine nationalstaatliche Identität zu entwickeln. Die brauchen sie auch gar nicht. Alles, was man zum Leben braucht, liefert der Stamm. Der Sultan regelt die Ausbildung der Jugendlichen, ebenso die Versorgung der Alten und Gebrechlichen. Er vergibt Weiderechte und ist oberste Gerichtsbarkeit. Die Zentralregierung wird von diesen Menschen kaum wahrgenommen. Außer in Form der Armee, wenn diese im Stammesgebiet operiert.

Rebellen

Die Stammesführungen haben naturgemäß kein Interesse an einer starken Autorität der jeweiligen Staatsführung. Das kann auch zu militärischen Auseinandersetzungen führen. So haben es im Norden des Jemen, im Bereich der Provinzhauptstadt Saada, die dort ansässigen zaiditischen Al-Houthi-Rebellen geschafft, praktisch ihr eigenes Gemeinwesen zu etablieren.

Die fragilen Machtverhältnisse im Jemen nutzen militante El-Kaida-Führer aus Afghanistan, um die dortigen Stämme zu unterwandern. Nachdem der militärische Druck der USA in Afghanistan zu stark geworden war, konnten sie sich auf diese Weise im Südjemen eine neue Operationsbasis schaffen. Sie nennen sich „El Kaida auf der arabischen Halbinsel“. Von dort setzen sie ihre Offensive Richtung Sahara fort, mussten dabei aber nach der französischen Militäraktion in Mali eine Niederlage verbuchen.

Kommentare