"Größte Flüchtlingskrise seit Zweitem Weltkrieg"

Warum werden aus Menschen, die aus ihren Heimatländern aus unterschiedlichen Gründen flüchten, Naturkatastrophen gemacht?
Syrien, Irak, Ukraine: AI wirft der internationalen Gemeinschaft Versagen beim Schutz von Zivilisten vor.

Die Menschenrechtsorganisation Amnesty International prangert in ihrem Jahresbericht Gewalt und Unrecht rund um den Globus an. Millionen Menschen waren 2014 auf der Flucht vor Gewalt und Verfolgung, heißt es – alleine vier Millionen Menschen aus Syrien. Im kommenden Jahr werde sich die Lage weiter verschlimmern, so die Prognose der Menschenrechtler. Westliche Staaten müssten mehr für Schutzbedürftige aus Konfliktgebieten tun.

Die verheerenden Konflikte in Syrien und im Irak, in Nigeria oder in der Ukraine lassen einen beunruhigenden Trend erkennen: Staaten, die bewaffneten Gruppen unterliegen und nicht in der Lage sind, die Bevölkerung vor unfassbaren Gräueltaten zu schützen. In diesen und anderen Staaten, so der Bericht, ist die Zivilbevölkerung in der Gewaltspirale von bewaffneten Gruppen, staatlichen Sicherheitskräften und Milizen gefangen. Dies führt dazu, dass immer mehr Menschen fliehen: "Wir befinden uns in der größten Flüchtlingskrise seit dem Zweiten Weltkrieg", heißt es. 2014 stieg die Zahl der Menschen auf der Flucht erstmals seit Ende des Zweiten Weltkrieges auf über 50 Millionen, rechnet Amnesty vor.

Schwere Menschenrechtsverletzungen in der Ukraine

Schwer ins Gericht geht Amnesty mit der Ukraine, hier seien sowohl von ukrainischer als auch von separatistischer Seite schwere Menschenrechtsverletzungen begangen worden. Der Mediensprecher von AI Ukraine, Bogdan Ovcharuk, warf beiden Seiten vor, das Kriegsvölkerrecht immer wieder zu missachten. Besonders gefährlich sei die "willkürliche Bombardierung von bewohnten Gebieten" sowie das Erwidern des Feuers aus diesen Gebieten, so Ovcharuk. Russland solle daher aufhören, die Separatisten zu unterstützen und ihnen Waffen zu liefern, da diese damit Menschenrechte und das Kriegsvölkerrecht verletzen würden.

Gleichzeitig prangerte der Mediensprecher die massive Verletzung von Menschenrechten am Maidan an. Der ukrainischen Regierung warf er insbesondere vor, noch immer keine Ermittlungen gegen die Schützen bei den Protesten vor einem Jahr eingeleitet zu haben.

Journalisten fürchten Strafverfolgung

Besorgniserregend ist laut Ovcharuk auch die Lage der Medien. Einerseits würden diese immer öfter für Propagandazwecke missbraucht, andererseits müssten Journalisten Strafverfolgung fürchten. Jüngst sei der bekannte Journalist Ruslan Kotsaba verhaftet worden, weil er die Situation in der Ukraine als "Bürgerkrieg" bezeichnet und die militärische Aufrüstung im Land kritisiert habe. AI bezeichnet ihn als "Gewissensgefangenen" - den ersten in der Ukraine seit fünf Jahren.

Berichte von Amnesty International seien von ukrainischer und separatistischer Seite außerdem wiederholt "missbraucht" worden, um die Gegenseite zu kritisieren. Das sei "verstörend", sagte Ovcharuk.

"Ertrinken-Lassen"

Schockiert zeigt sich die Organisation auch über die "Rekordzahl" an Bootsflüchtlingen auf dem Mittelmeer und die vielen Toten. Bisher seien die EU-Staaten mit wenigen Ausnahmen vor allem darum bemüht, Menschen draußen zu halten. Dies sei "abscheulich", kritisierte Generalsekretär Salil Shetty. Amnesty International prangert "Ertrinken-Lassen als Planungstool der europäischen Migrationspolitik" an.

Zwischen 9. und 11. Februar 2015 sind wieder Hunderte Menschen vor der italienischen Küste in Seenot geraten und ertrunken oder erfroren. "Die Konsequenzen waren leider voraussehbar", kritisiert Heinz Patzelt, Generalsekretär von Amnesty International Österreich . "Damit ist das eingetreten, was mit dem Ende der italienischen Such- und Rettungsoperation Mare Nostrum befürchtet wurde: Mehr Menschen sterben im Mittelmeer." Die Operation Triton, die als Ersatz für Mare Nostrum dient, ist nicht auf Suche und Rettung ausgerichtet.

Auch Österreich in der Kritik

Westliche Staaten sollten dringend handeln, so der Bericht. In Österreich kritisiert die Organisation die lange Dauer von Asylverfahren sowie die mangelhafte Betreuung von Asylsuchern. Die Initiative der österreichischen Regierung zur Aufnahme von 1500 Syrien-Flüchtlingen in einem speziellen Programm wird lobend erwähnt.

Erfolge beim Kampf um Menschenrechte

Im globalen Kampf um die Menschenrechte sieht Amnesty aber auch Erfolge. Mit dem Inkrafttreten des internationalen Waffenhandelsabkommens (ATT) werde weltweit die Verbreitung von Waffen und Munition in Konfliktgebiete eingeschränkt - damit würden tausende von Leben gerettet.

Auch im politisch heiklen Fall des Beitritts Palästinas zum Internationalen Strafgericht (IStGH), der von Israel, den USA und europäischen Staaten kritisiert wird, bezieht die Menschenrechtsorganisation Stellung. Ermittlungen des Kriegsverbrecher-Tribunals könnten dabei helfen, die "Kultur der Straflosigkeit" auf beiden Seiten im Nahost-Konflikt zu beenden, so Amnesty.

Der Bericht zum Download (PDF)

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