9/11: "Wir müssen nach vorne schauen"

9/11: "Wir müssen nach vorne schauen"
Zehn Jahre nach den Anschlägen sind die Amerikaner immer noch betroffen, ihren Alltag prägen aber andere Sorgen

Khemarith So gab am Samstag seiner Freundin Amanda das Jawort. Am 11. September, genau 10 Jahre nach den Terroranschlägen auf das World Trade Center und das Pentagon, wird er beim Essen im Kreise seiner Familie und Freunde das wohl schönste Fest seines Lebens ausklingen lassen. Danach steigen viele Hochzeitsgäste wieder in ein Flugzeug nach Hause. Am Jahrestag von 9/11 zu fliegen, ist für sie anscheinend kein Problem mehr.

"Am Anfang unserer Planung war das Datum schon ein Thema, aber so viele andere Faktoren haben es dann in den Hintergrund gedrängt", erzählt So, ein 32-jähriger Amerikaner mit kambodschanischen Vorfahren, dem KURIER. "Nur ein einziger Gast hat uns darauf angesprochen."

Für viele Amerikaner sind die Erinnerungen an 9/11 noch tief im kollektiven Bewusstsein verankert. Fast jeder weiß, wo er an diesem Tag war. Laut einer neuen Studie des Pew Research Centers, einem renommierten Forschungsinstitut in Washington, hat die Anteilnahme der Bevölkerung über die Jahre sogar zugenommen. Heute meinen 75 Prozent, dass die Anschläge sie emotional sehr getroffen hätten. Im Jahr 2002, direkt nach 9/11, hatten das nur 67 Prozent angegeben.

Doch das Leben geht weiter. Im Alltag ist für viele die Wirtschaftskrise eine weit größere Sorge als ein möglicher neuer Anschlag. "Werde ich Arbeit haben, werde ich meine Arztkosten bezahlen können, wie sieht die Zukunft für meine Kinder aus - das nimmt im täglichen Leben einen viel breiteren Raum ein", erklärt Mark Carl Rom, Professor für Politikwissenschaften an der Georgetown University in Washington.

"Die Gefahr, die Arbeit zu verlieren, ist für die meisten Leute viel greifbarer", ergänzt Ethan Katz, Assistenzprofessor für Geschichte an der University of Cincinnati im Bundesstaat Ohio.

Beschränkte Freiheit

9/11: "Wir müssen nach vorne schauen"

Die zahllosen Einschränkungen persönlicher Freiheiten im Namen des Antiterrorkriegs - wie etwa Ganzkörperscanner auf den Flughäfen - scheinen von der Bevölkerung großteils akzeptiert worden zu sein. Wenn auch leicht gereizt und mit vereinzelt aufflammendem Widerstand bei der Einführung neuer Maßnahmen. "Man lernt halt, damit zu leben", sagt Chris Lambert, ein 38-jähriger Projektmanager, der in New York am Wiederaufbau von Grund Zero mitwirkt.

"Ich gehe davon aus, dass sie mich beschützen wollen", meint Michelle Davidson, eine pensionierte Designerin aus New York, die im Vorjahr wegen eines verdächtigen Pakets in der U-Bahn die Polizei gerufen hat. "Es ist dann wohl schon o.k."

Der 22-jährige Samuel Kippen aus Hawaii sagt, 9/11 habe sein Verständnis der Welt geprägt wie nichts anderes. Dennoch ist er, wie viele andere Amerikaner auch, skeptisch über die langfristigen Folgen des Antiterrorkriegs der USA, insbesondere die Invasionen im Irak und Afghanistan. "Wir sind heute in zwei sinnlose Kriege verwickelt", sagt er. Der Tod von Osama bin Laden ist für viele eine Art Schlusspunkt und Grund, die Truppen heimzuholen.
Auch für E. J. Dionne jr., Kommentator der Washington Post, ist es höchste Zeit für einen Schlussstrich. Er beschreibt die vergangenen zehn Jahre als Umweg, der das Land geschwächt, gespalten und weniger selbstsicher gemacht hat. Nach dem zehnten Jahrestag "müssen wir diesen Tag hinter uns lassen. Von jetzt an haben wir keine Alternative, wir müssen nach vorne schauen - und nicht zurück".

9/11: "Wir müssen nach vorne schauen"

Wie der Jahrestag in den USA begangen wird
Zum 10. Jahrestag der Terroranschläge sind Gedenkkundgebungen im ganzen Land geplant. Im Mittelpunkt steht das Erinnerungsritual am Ground Zero in New York. Präsident Obama, sein Vorgänger Bush, der bereits gestern einen Kranz vor dem Pentagon niedergelegt hat, sowie Bürgermeister Bloomberg und dessen Vorgänger Giuliani nehmen daran teil.

Ab 8.40 Uhr (14.40 MESZ) werden die Namen der Opfer verlesen, umrahmt von Musik und Gebeten. Mehrere Schweigeminuten unterbrechen das Programm - zu den Uhrzeiten, an denen die Flugzeuge ins World Trade Center rasten (8.46, 9.03 Uhr), als die Türme einstürzten (9.59, 10.28 Uhr), als das Pentagon getroffen wurde (9.37 Uhr) und als das vierte Flugzeug bei Shanksville abstürzte (10.03 Uhr). Nach dem Ritual wird das Mahnmal für die Anschläge eröffnet. Obama nimmt anschließend an Zeremonien in Washington und Shanksville teil. Am Abend besucht er ein ökumenisches Konzert in der Hauptstadt.

Landesweit sind Behörden und Privathaushalte so wie jedes Jahr aufgerufen, die Flaggen auf Halbmast zu setzen und sich um 8.46 Uhr New Yorker Zeit an der Schweigeminute zu beteiligen. Seit Mittwoch zeichnen Scheinwerfer die Silhouette der gefallenen Türme in den Himmel über Manhattan.

Das Gedenken findet unter hohen Sicherheitsvorkehrungen statt - gibt es doch eine Terrorwarnung für Washington und New York. Drei bisher nicht gefasste Männer mit El-Kaida-Hintergrund, zwei davon US-Bürger, sollen Anschläge geplant haben.

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