Zu viele Kreuzfahrtschiffe: Das Venedig-Syndrom in Dubrovnik
Es klirrt wie Erdbrocken auf dem Förderband eines Bergwerks – dann macht es Rums. Mit Getöse bohrt sich der Anker in den Boden der Adria. Keine zweihundert Meter Luftlinie entfernt vom Zlatni potok, einer Wohnsiedlung mit Blick auf die Altstadt von Dubrovnik und auf Lokrum, die vorgelagerte Insel.
Fluchend wälzt sich Anders Banicevic, 72, im Bett. Es ist fünf Uhr in der Früh. Dort wo die schwimmende Bettenburg jetzt liegt, lichtete ein anderer Kreuzfahrer vor knapp drei Stunden den Anker. In Kino-Lautstärke hallte dabei der Titelsong aus dem Film „1492“ über das nächtliche Meer. Dazu knatterte ein Bord-Feuerwerk. „Mit Tourismus“, schimpft Banicevic, ein ehemaliger Kapitän, „hat das nichts mehr zu tun. Das ist blanker Terrorismus.“
Eigentlich müssten die Pötte in Gruž liegen – im Stadthafen von Dubrovnik. Doch schon Schiffe der Mittelklasse bringen es auf stolze 250 Meter Länge, die Top Ten der Branche auf bis zu 361 m. Am Pier können daher nur drei gleichzeitig festmachen. An manchen Tagen aber steuern sechs die „Perle der Adria“ an. Den „Überschuss“ dirigiert der Hafenkapitän in die Bucht vor der Wohnsiedlung. Nur dort ist das Wasser tief genug für die weißen Riesen.
Wenn Banicevic die letzten der insgesamt 86 Stufen nimmt, die zu seinem Haus führen, stehen dort häufig ganze Reisegruppen mit Selfie-Stick aus Südkorea oder China. Für den Ex-Kapitän und viele andere Dubrovniker sind sie zum Albtraum geworden.
Die City-Busse sind voll und verspäten sich oft. „Die Kreuzfahrer“, sagt Ðuro, ein ruhiger Mittvierziger mit gemütlichem Waschbär-Bauch und seit 16 Jahren bei den städtischen Verkehrsbetrieben angestellt, „haben kein kroatisches Geld oder nur große Scheine, diskutieren daher mit uns, ob sie nicht doch in Euro bezahlen können und halten uns für polyglotte Auskunftsautomaten“.
Kroatisch, sagt Ðuro, sei eine schwere Sprache, „hvala“ – danke – für Ausländer sicherlich ein Zungenbrecher. „Aber ’thanks’ könnten sie sagen. Tun sie aber nicht.
Sie sagen ’fuck’, wenn sie in Badekleidung nicht einsteigen dürfen.“ Wegen der Polster. „Ein Mix von Schweiß und Sonnenöl ist wie ein Tattoo. Für die Ewigkeit. Menschen mit durchschnittlichem Intelligenzquotienten müsste das eigentlich klar sein.“
Geld sparen
Auch die Galeristin Anna klagt über Verluderung der Sitten durch den Massentourismus. Zwar profitiere die Stadt von den Liegegebühren. Doch Gewerbetreibende gehen leer aus. „Sogar Ansichtskarten von Dubrovnik gibt es auf dem Schiff. Bei fünf Mahlzeiten täglich an Bord trinken manche nicht mal einen Cappuccino. Und wenn doch, nur um das Geld für die Toilette zu sparen.“
In öffentlichen Bedürfnisanstalten haben sich die Preise in zwei Jahren verfünffacht.
Murattis Galerie in der Altstadt lief auch schon besser: „Seit Kreuzfahrten für jedermann erschwinglich sind, hat sich der Geschmack gewandelt, um es milde zu formulieren. Es soll grell, gefällig und vor allem günstig sein.“ Die Einnahmen decken gerade die Betriebskosten. Frau Muratti denkt daher ernsthaft über Verkauf nach: „Die Lebensqualität stimmt nicht mehr.“
2019, tröstet Bürgermeister Mate Frankovic, werde alles besser. Dann laufen die alten Verträge mit der Kreuzfahrt-Industrie aus. Sein 2017 abgewählter Vorgänger hatte sie abgeschlossen und die Bürger gebeten, „in Stoßzeiten“ zu Hause zu bleiben. Denn durch die engen Gassen des einst für 4000 Menschen gebauten historischen Stadtkerns schoben sich bis zu 20.000 Besucher täglich.
Weil die UNESCO mit Streichung von der Liste des Weltkulturerbes drohte, reduzierte die Stadt die Anzahl der Tagesgäste inzwischen auf maximal 8000. Es könnte aber schon zu spät sein.
Fort sind Bäcker, Schuster oder Schneider. In die denkmalgeschützten Gewölbe zogen Mojito-Bars, Händler von Souvenirs „Made in India“ oder Mini-Märkte ein. Dort können Touristen zwischen 20 Sorten Sonnencreme wählen. Was Einheimische im Alltag brauchen, fehlt.
Viele sind bereits weggezogen in die modernen Viertel. Noch 2001 lebten in Alt-Dubrovnik, mehr als 2000 Menschen. Jetzt sind es weniger als 500. Wenn im Dezember das letzte Kreuzfahrtschiff ablegt, herrscht dort sogar zu Mittag die Totenstille einer Geisterstadt.
„Bald werden wir nur noch Filmkulisse sein“
„Bald werden wir nur noch Filmkulisse sein“, fürchtet ein Kardiologe, der seinen Namen nicht gedruckt sehen will. Seiner Heimatstadt stellt er die Diagnose „Venedig-Syndrom“. Auch in La Serenissima, im Mittelalter Erzrivalin von Dubrovnik, sorgten Kreuzfahrer- und Rollkoffer-Tourismus dafür, dass die Einwohnerzahl in weniger als einem Menschenalter um mehr als zwei Drittel sank: Von 200.000 auf gerade einmal 60.000.
Dubrovnik und den anderen „Perlen der Adria“ droht Ähnliches. 2016 kippten mehr als 3700 Kreuzfahrtschiffe dort insgesamt sechs Millionen Tagesgäste aus. Die Masseninvasion der „Eintagsfliegen“ vergrault zahlungskräftige, kulturell und historisch Interessierte. Enttäuscht erzählen sie zu Hause, wie es um die „pulsierenden, mittelalterlichen Städtchen“ wirklich steht.
Die Bucht von Kotor
Als Dubrovnik die Reißleine zog und die Zahl der Tagesgäste limitierte, verfielen die Reeder in Schreckstarre. Aber nur kurz. Inzwischen steuert die Kreuzfahrt-Armada ein neues Ziel an: Die fast 30 km lange, von hohen, steilen Bergen flankierte Bucht von Kotor im benachbarten Montenegro. 2017 liefen über 500 Kreuzfahrt-Schiffe mit insgesamt 600.000 Passagieren an Bord in den Fjord ein, der zum Weltnaturerbe gehört. An dessen Ende liegt das Städtchen Kotor, das die Kreuzfahrt-Industrie letztes Jahr im Ranking der Adria-Destinationen aus dem Nichts auf Platz drei katapultierte.
Die Gäste würden im Schnitt etwa 40 Euro ausgeben, sagt Ana Nives Radovic, die Chefin der städtischen Tourismus-Agentur. „Für uns viel Geld.“ Allein der Hafen spülte 2017 drei Millionen Euro Liegegebühren in die Kassen. Die Privatwirtschaft geht wie in Dubrovnik leer aus. Und die Folgen sind noch katastrophaler. Die Schiffe ankern direkt vor dem Tor zur Altstadt; manche sind höher als die Kirchtürme dort und haben so viel Kabinen wie Kotor Einwohner: Knapp 1500.
Einheimische brauchen für Alltagsgeschäfte, die gewöhnlich eine halbe Stunde dauern, das Dreifache. Nichts geht mehr auf der nur zweispurigen Straße rund um die Bucht, wenn die Kreuzfahrer mit fünfzig Reisebussen und mehr zum Sightseeing ausschwärmen. „Zu Fuß wäre man oft schneller“, schimpft Fischer Nevres Deric. Am liebsten würde er auch zum Markt mit dem Tretroller fahren, mit dem er Behördengänge erledigt, „aber leider hat der keinen Kühlraum“. Auch Kotor werde bald schon zum Disneyland verkommen. fürchtet er.
Radoslav Coso, der kürzlich seine Doktorarbeit über Chancen und Risiken für Tourismus in Montenegro geschrieben hat, treiben ähnliche Ängste um. Seine Empfehlung an die Stadtoberen von Kotor: Klasse statt Masse. Elite-Tourismus würde zwar die Preise in die Höhe schnellen lassen. Doch nur so seien das Städtchen und seine einzigartige Umgebung zu retten. Dubrovnik könne sich den Luxus leisten, Obergrenzen festzulegen, hält Tourismus-Agentin Nives-Radovic dagegen, „wir haben keine Wahl“: Kotor hat keine Hotels und ist auf Tagesgäste angewiesen.
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