Zirngast: "Es ist wichtig, nicht den Mund zu halten"

Der Österreicher Max Zirngast befindet sich in der Türkei in Haft
Angeklagter österreichischer Aktivist: Öffentliche Aufmerksamkeit hilft demokratischen Stimmen in der Türkei.

Der in der Türkei wegen angeblicher Mitgliedschaft in einer Terrororganisation angeklagte österreichische Student und freie Journalist Max Zirngast lässt sich durch den ihm bevorstehenden Prozess nicht einschüchtern. "Es ist wichtig, nicht den Mund zu halten", sagte er im APA-Interview. Der Sinn einer Anklage, wie sie gegen ihn vorliege, sei nämlich, die betroffene Person zum Schweigen zu bringen.

"Die öffentliche Aufmerksamkeit hingegen hilft nicht nur mir, sondern demokratischen Stimmen in der Türkei insgesamt", erklärte Zirngast, der seit seiner Entlassung aus dem Hochsicherheitsgefängnis Sincan 2 nahe der Hauptstadt Ankara am 24. Dezember in den Medien sehr präsent ist. "Ich sage ja nichts, was strafrechtlich relevant ist. Das habe ich auch vorher nicht gemacht", betonte er.

Terrorvorwurf sei Taktik

Die ihm vorgeworfene Mitgliedschaft in der illegalen Organisation TPK/K (Türkiye Komünist Partisi/Kivilcim, Türkische Kommunistische Partei/Funke) wies Zirngast erneut zurück. Es sei höchst fraglich, ob es diese Organisation überhaupt gebe. Diese Art von Terrorvorwürfen sei eine Taktik, die in der Türkei schon lange existiere, um unliebsame Stimmen in rechtliche Bedrängnis und in Verruf zu bringen, erklärte er. "Damit ist der Schmutz schon einmal geworfen", beschreibt es Zirngast. Er müsse sich jetzt mit den Terrorvorwürfen auseinandersetzen, obwohl kein einziger Beweis für Verbindungen zu einer Terrororganisation vorgelegt worden sei.

"Es ist logisch unmöglich über die Nicht-Existenz von etwas ein definitives Urteil zu fällen, aber tatsächlich gibt es keine Entscheidung irgendeines Gerichts in der Türkei, die die Existenz der Organisation bestätigen würde", so Zirngast. Stattdessen gebe es zwei Urteile von verschiedenen Gerichten - Samsun und Adana - aus 2012 und 2015, die besagten, dass deren Bestehen nicht belegt werden konnte. Auch in der Anklageschrift stehe nach 1995/1996 nichts Konkretes mehr zur Geschichte der TPK/K. Selbst wenn es heute noch Reste der Organisation geben sollte, so wisse er über diese nichts und habe zu diesen keinen Kontakt, sagte der Student der Politikwissenschaften.

Die in der Anklageschrift an manchen Stellen als mutmaßliche Frontorganisation, an anderen Stellen als Abspaltung der TPK/K bezeichnete marxistische TÖPG (Toplumsal Özgürlük Parti Girisimi, Initiative zur Gründung der Partei der Sozialen Freiheit), für deren Zeitung er über Weltpolitik geschrieben hatte, setzt sich laut Zirngast in der Türkei für eine demokratische Republik mit einer entsprechenden Verfassung ein. Die Organisation trete dabei unter anderem für die Rechte von Minderheiten, Frauen und Arbeitern und auch gegen ökologische Zerstörung ein, was sich auch in all ihren Aktivitäten ausdrücke, sagte er. Diese Grundanliegen charakterisieren auch andere Zeitungen und Internetportale, für die er in der Türkei und im Ausland geschrieben habe.

Alle Instanzen

Selbst bei einer Verurteilung mit einem geringen Strafausmaß und ohne dass er wieder ins Gefängnis müsste, wolle er Einspruch erheben, um die Schaffung eines negativen Präzedenzfalles zu vermeiden, kündigte Zirngast an. "Es geht mir nicht darum, zu sagen, 'Ich will hier raus und alles andere ist mir egal', sondern der Fall hat auch rechtliche Konsequenzen für andere Personen." Sollte es notwendig sein, wolle er alle Instanzen in der Türkei durchlaufen und auch internationale Institutionen anrufen.

Dass das Verhältnis zwischen Judikative und Exekutive in der Türkei bedenklich sei, bestätigte der freie Journalist. "Die Informationen, die die Polizei mit welchen Methoden auch immer erstellt, werden zumindest im ersten Teil des Prozesses, bis die Anklageschrift erstellt und vom zuständigen Gericht gesehen wurde, unhinterfragt übernommen." Die Position, die die Polizei erarbeite, sei somit bestimmender als sie sein sollte, unterstrich er.

Dies habe sich auch in seinem Fall gezeigt: "Wenn die Polizei nicht so sehr darauf aus gewesen wäre, uns in ein bestimmtes Licht zu rücken und möglichst ins Gefängnis zu schicken, wäre dies nicht passiert, da es tatsächlich keinen stichhaltigen Beweis gibt, der die Anklage - die Mitgliedschaft in einer terroristischen Organisation - nahelegen würde."

Die Unterbesetzung von Staatsanwälten und Richtern in der Türkei sei ein weiteres Problem, das zur Folge habe, dass in einem zehn- bis fünfzehnminütigen Schnellverfahren, das keine fundierte Entscheidung zulasse, über eine eventuelle Inhaftierung verhandelt werde. Der Putsch und die Ausrufung des Ausnahmezustands hätten diesen Zustand verschlimmert: Sehr viele Richter und Staatsanwälte seien entlassen und oft durch sehr junge Personen ohne Erfahrung ersetzt worden. "Das schwächt noch einmal die Stellung der Judikative gegenüber der Exekutive", so Zirngast.

Auf die Frage, ob die Türkei sich nicht selbst schade, indem sie eine derartige Anklage gegen einen ausländischen Staatsbürger - und damit mediale Aufmerksamkeit für den Fall - zulasse, antwortete Zirngast, er wisse nicht, wie viel Relevanz die Angelegenheit in der Türkei tatsächlich habe. "Mein Fall ist in der Türkei nicht wirklich in den Medien", sagte er. Dies sei seiner Meinung nach auch zu seinem Vorteil.

Im Unterschied dazu seien die Fälle des US-Pastors Andrew Brunson und des früheren Korrespondenten der deutschen Tageszeitung "Welt", Deniz Yücel, zumindest zum Teil auch für innertürkische Angelegenheiten genutzt worden. "Diese Instrumentalisierung war von Anfang an die Absicht in diesen Fällen", meinte Zirngast. Auf seinen treffe dies nicht zu.

Ob es hinsichtlich der Reputation der Türkei Auswirkungen gebe, könne er nicht einschätzen. "Für jemanden, der sich mit rechtlichen Prozessen oder Demokratiefragen in der Türkei auseinandersetzt, ist eine solche Form von Festnahme, Inhaftierung und Anklage ohnehin nichts Neues."

Aufgrund seiner ausländischen Staatsbürgerschaft sieht sich der freie Journalist teilweise in einer besseren Position als zehntausende andere politische Gefangene, darunter Journalisten, Akademiker, Abgeordnete und Gewerkschafter. "Die europäische Öffentlichkeit und mein Status haben mir sicher geholfen, dass es so schnell gegangen ist mit meiner Freilassung. Dahingehend bin ich in einer privilegierten Position."

Neues Visum

Darüber, ob er nach einem etwaigen Freispruch in der Türkei bleiben wolle, habe er noch nicht nachgedacht, sagte Zirngast. Er zweifelt darüber hinaus, sich dahingehend frei entscheiden zu könne. Derzeit müsse er sich erst um ein neues Visum bemühen, da er seinen Termin zur Ausstellung eines neuen Aufenthaltstitels aufgrund der Haft versäumt habe. "Wäre kein Ausreiseverbot verhängt worden, wäre ich abgeschoben worden", erklärte der Aktivist.

Grundsätzlich sei er "sehr gerne" in der Türkei und habe viele gute Freunde dort. "Es gibt wundervolle Personen in diesem Land und es würde mir natürlich wehtun, wenn ich sie gar nicht mehr sehen könnte."

Der 1989 geborene Steirer studiert seit 2015 Politikwissenschaft an der Technischen Universität des Nahen Ostens in Ankara. Er schreibt für verschiedene Medien in der Türkei und im Ausland, darunter das deutschsprachige linksradikale Magazin "re:volt", die US-amerikanische Zeitschrift "Jacobin" und die deutsche Tageszeitung "junge Welt", nach eigener Darstellung vor allem politische, gesellschaftliche und ökonomische Analysen zur Türkei, besonders zu den Entwicklungen der letzten Jahre.

Zirngast war im September in der Türkei in Haft genommen worden und kam am 24. Dezember unter Auflagen frei. Der Prozessbeginn wurde für den 11. April 2019 festgesetzt. Bei einer Verurteilung drohen Zirngast bis zu zehn Jahre Haft.

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