Der Anführer der Gruppe ist Raphaël. „Oh, ich glaube, ich hab wieder eins“, ruft er. Schnell kommt ihm sein Vater zu Hilfe, der nur wenige Meter von ihm entfernt fischt. Zusammen ziehen sie eines der Pariser Vélib-Leihfahrräder aus dem Wasser. Sie schieben es zu einem ein paar Meter entfernten, kleinen Haufen an Fundstücken, der schon aus anderen Rädern, aber auch Tretrollern, langen Metall-Pfosten, einem Autoradio und einem Wecker besteht. Raphaël ist durch sein ungewöhnliches Hobby mittlerweile über die Landesgrenzen hinweg bekannt geworden.
„Wenn ich das Fernsehen anmache, höre ich ständig Nachrichten wie: ‚2050 wird alles explodieren‘ und ‚2050 haben wir keine saubere Luft mehr‘“, sagt Raphaël, der nur seinen Vornamen verraten will und sich schon langsam an die vielen Anfragen von Journalisten und TV-Stationen gewöhnt hat. „Deswegen finde ich es wichtig, dass jeder das Seine tut, um die Welt ein Stück weit besser zu machen – selbst wenn es nur eine Kleinigkeit ist. Anstatt einfach nur zuzuschauen, wie unsere Welt untergeht, sollten wir handeln.“
Inspirieren lassen hat sich Raphaël von einem anderen Umweltaktivisten: Dem Youtuber Chris Detek, der seit November 2014 alleine oder mit Promis Metallschrott aus Frankreichs Flüssen holt und inzwischen 650.000 Abonnenten hat. Der Zehnjährige entdeckte dessen Videos 2019 – und war sofort hellauf begeistert. „Das ist doch total super: Man tut etwas für den Planeten, und es macht auch noch Spaß“, meint er. „Ich habe die Videos meinem Vater gezeigt und mir auch solche großen Magneten zu Weihnachten gewünscht.“
Ein Wunsch, den Alexandre prompt erfüllte. Ihn überrascht Raphaëls Umweltbewusstsein nicht. „Wir haben Raf in diesem Sinne erzogen, und Tiere mochte er zum Beispiel schon immer. Oft muss ich ihn auf dem Weg zur Schule davon abhalten, Zigarettenstummel oder jetzt, in Corona-Zeiten, Masken aufzuheben – einfach aus hygienischen Gründen.“
Mit den Supermagneten, die teilweise Hunderte an Kilos halten können, stehen Raphaël und sein Vater am Wochenende oder am Mittwochnachmittag, an dem in Frankreich schulfrei ist, an den Pariser Gewässern. Rund zehn Tonnen Metallschrott haben sie so innerhalb eines Jahres gefischt. Am Tagesende melden sie ihren Fund über eine App der Stadtverwaltung, die den Schrott dann abholen kommt. Nicht jedoch, bevor die beiden das obligatorische Foto des Metallhaufens gemacht und es stolz auf dem Instagram-Konto „Raf sur Seine“ gepostet haben.
Das Profil hat inzwischen 20.000 Abonnenten. Regelmäßig bekommt Raphaël Nachrichten von Menschen aus der ganzen Welt, die ihm gratulieren. Bald soll ein kanadisches Comic über ihn entstehen, die Stadt Paris will mit den Fundstücken eine Ausstellung organisieren.
Seine kuriosesten Stücke sammelt Raphaël im Keller der Familie – er nennt den Raum sein „Museum“. Dort liegen ein paar Petanque-Kugeln oder auch ein Seitengewehr aus dem Jahr 1874. „Es widert mich an, dass die Leute solche Sachen ins Wasser schmeißen“, sagt er. „Und was hier liegt, ist ja auch nur ein ganz kleiner Teil von dem, was wir aus dem Wasser fischen – oft finden wir 1.000-mal so viel in wenigen Hunderten Meter Wasser.“ Auch die Corona-Pandemie hätte das Problem nicht gelöst – im Gegenteil. „Ich habe sogar das Gefühl, dass seitdem noch mehr Schrott in der Seine liegt.“
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