Epidemien und Hochwasser: Wandernder Jetstream brachte Probleme
Anhand von Baumring-Analysen und historischen Daten zu Hungersnöten, Getreidepreisen oder Seuchen hat ein Forschungsteam den Einfluss des von Nordamerika in unsere Breiten ziehenden Starkwindbandes, genannt Jetstream, auf Europa rekonstruiert. Über mehr als 700 Jahre hinweg zeigt die Studie im Fachblatt Nature deutlich, dass es immer wieder Probleme gab, wenn der Jetstream weit nördlich bzw. südlich verlief - was sich zuletzt auch am verheerenden Hochwasser ablesen lässt.
Die Lage des Abschnitts des Windzugbandes zwischen Nordamerika über den Nordatlantik nach Europa hat vor allem im Sommer großen Einfluss auf die oft recht gegensätzlichen Wetterlagen über Europa: "Befindet sich der Jetstream in einer extrem nördlichen Position, herrschen über den Britischen Inseln kühlere und feuchtere Bedingungen, bei gleichzeitig wärmeren und trockeneren Bedingungen über dem Mittelmeer und dem Balkan", so Ellie Broadman von der University of Arizona (USA) in einer Aussendung der Uni.
Eine solche Konstellation spielte auch als Mitauslöser der Hochwasser in weiten Teilen Österreichs und Mitteleuropas in den vergangenen Tagen mit, wie auch die an der Studie beteiligte, an der Universität Freiburg (Deutschland) und der Universität Innsbruck tätige Wissenschafterin Andrea Seim gegenüber der APA erklärte. Höhere Temperaturen im nordöstlichen Mittelmeerraum steigern dort die Verdunstung und können - wie kürzlich gesehen - dadurch die Regenmengen weiter nördlich nach oben schnellen lassen. Weht der Jetstream sehr weit im Süden wird es hingegen über Großbritannien heißer und trockener und im Mittelmeer kühler und feuchter.
In der aktuellen Untersuchung ging das Team um Erstautorin Valerie Trouet (Uni Arizona) dem bekanntermaßen veränderlichen Phänomen in der Rückschau nach. Neben diversen historischen Quellen zapfte man auch die Informationen an, die das Wachstum der Bäume über die einstigen Witterungsbedingungen liefern. Im Rahmen der sogenannten Dendrochronologie kann aus dem jährlichen Dickenwachstum von Bäumen recht detailliert zum Beispiel auf die einstigen Sommertemperaturen geschlossen werden. In der Studie schließe man aus der mikroskopischen Zusammensetzung der Zellwände im Holz "auf die atmosphärischen Winde, die Kilometer oberhalb der Erdoberfläche wehen - es ist faszinierend", wird Trouet zitiert.
Die Wissenschafterinnen und Wissenschafter suchten nach Hinweisen auf markante Wetterunterschiede zwischen den Britischen Inseln und dem nordöstlichen Mittelmeerraum - die Forscher sprechen von "Wetter-Dipolen". Bilden sich solch gegensätzliche "Pole", dann kann ihr Einfluss auch weit über Großbritannien nach Nordeuropa oder mehr oder weniger den gesamten Mittelmeerraum reichen, erklärte Seim, die sich seit einiger Zeit u.a. mit dem Zusammenhang zwischen Klima und Getreidepreisen in Europa beschäftigt.
Die Daten zu den Dipolen verglichen die Wissenschafter dann mit Aufzeichnungen, die beispielsweise irische Mönche über Jahrhunderte hinweg über Stürme und andere Naturkatastrophen oder Nahrungsmittelpreise gesammelt haben. So erstellte man einen Datensatz, der vom Jahr 1300 bis zum Jahr 2004 reicht.
Wetter und Epidemien
Tatsächlich könne man nun sagen: "Epidemien waren auf den Britischen Inseln häufiger, wenn der Jetstream weiter nördlich lag. Weil die Sommer nass und kalt waren, blieben die Leute eher in Innenräumen, wo bessere Bedingungen zur Weitergabe von Krankheiten herrschten", so Trouet. Als zum Beispiel in den Jahren 1348 bis 1350 die Pest stark in Irland wütete, war der Jetstream in einer sehr weit nördlichen Position, ergab die Analyse. Sie zeige, wie stark und über den Kontinent unterschiedlich Veränderungen des Phänomens die Gesellschaft immer wieder beeinflusst haben.
Mit der Arbeit erweitere man auch Möglichkeiten zur Verbesserung neuer Klimamodelle, die bisher bei ihren Überlegungen zum Jetstream auf Messdaten angewiesen waren, die nur rund 60 Jahre zurückreichen. Gerade hier seien noch viele Fragen offen. So gehen momentan einige Forscher davon aus, dass der Klimawandel das Wind-Zugband tendenziell im langjährigen Durchschnitt eher weiter in Richtung Norden verschieben könnte. Sehe man sich die historischen Daten an, dann sei so eine Entwicklung immer wieder mit "höheren Getreidepreisen, der Ausbreitung von Epidemien und überdurchschnittlichen Sterberaten im Bereich der Britischen Inseln einhergegangen", schreiben die Forscherinnen und Forscher in ihrer Arbeit.
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