Nach Vergewaltigung und Mord von Ärztin: Mega-Streiks in Indiens Spitälern

Eine Menschenmenge, viele in Arztkitteln, demonstriert mit Schildern, die Gerechtigkeit fordern.
Mehr als eine Million Ärztinnen und Ärzte haben einen 24-stündigen Streik angetreten. Außer die Notaufnahmen sind alle medizinischen Dienste in Indien geschlossen.

In Indien sind Ärztinnen und Ärzte am Samstag um sechs Uhr morgens landesweit aus Protest gegen die Vergewaltigung und Ermordung einer Ärztin in Kolkata in einen 24-stündigen Streik getreten. Wie die indische Ärztekammer IMA in einer Erklärung mitteilte, bleiben alle medizinischen Dienste, außer die Notaufnahmen in Krankenhäusern, für 24 Stunden geschlossen. Es werde erwartet, dass sich mehr als eine Million Mediziner an dem Streik beteiligen würden.

"Frauen machen die Mehrheit unseres Berufsstandes in diesem Land aus. Immer wieder haben wir ihre Sicherheit gefordert", sagte der Präsident der Indian Medical Association (IMA), R. V. Asokan, am Freitag gegenüber der Nachrichtenagentur Reuters. Die Demonstranten und Demonstrantinnen fordern sicherere Arbeitsbedingungen und eine Bestrafung des Täters oder der Täter.

Eine Menschenmenge, hauptsächlich in Arztkitteln, demonstriert mit Schildern für Gerechtigkeit.

Ärzte protestieren am 17. August 2024 in Bangalore, Indien, gegen eine vermeintliche Vergewaltigung und einen Mord an der medizinischen Hochschule RG Kar in Kolkata. 

Die Vergewaltigung und Ermordung einer 31-jährigen angehenden Ärztin in einem medizinischen College in Kolkata hatte die landesweiten Proteste unter Ärzten ausgelöst. Die Verärgerung über das Versagen strenger Gesetze bei der Bekämpfung der zunehmenden Gewalt gegen Frauen heizte die Streiks zusätzlich an. Erst im Jahr 2022 wurden mehr als 31.000 Vergewaltigungsfälle gemeldet.

Gewalt gegen Mediziner

Das schon lange schwelende Problem wurde einmal mehr aktuell, als die Leiche der 31-jährigen Ärztin in Ausbildung am Freitag vergangener Woche gefunden wurde - in einem Seminarraum ihres Krankenhauses in der Millionenstadt Kolkata. Die Frau soll dort nach einer langen Schicht geschlafen haben. Ihr Körper wies viele Verletzungen auf, eine Autopsie wies Spuren sexueller Gewalt nach. Die Polizei nahm bisher einen Verdächtigen fest.

Stimmen aus der Ärzteschaft berichteten, die Obduktion deute auf eine Gruppenvergewaltigung hin. Inzwischen wies das Oberste Gericht Kolkatas eine indische Bundespolizeibehörde an, die Ermittlungen zu übernehmen.

In einem Wartezimmer einer Apotheke sitzen zwei Angestellte an einem Schreibtisch.

Die Notaufnahme eines Krankenhauses in Kolkata, während in ganz Indien Protesten stattfinden.

Ärztinnen und Ärzte erleben auf dem Subkontinent immer wieder Gewalt am Arbeitsplatz. Berichte häufen sich, wonach Angehörige angreifen - gerade wenn Patienten sterben. Bis zu 75 Prozent der Medizinerinnen und Mediziner seien etwa Drohungen, körperlichen Übergriffen ausgesetzt, hieß es in einer Studie der Indian Medical Association von 2019.

Jede Viertelstunde eine Vergewaltigung

Zum anderen ist auch Gewalt gegen Frauen in dem patriarchisch geprägten Land mit 1,4 Milliarden Einwohnerinnen und Einwohnern verbreitet. Nach offiziellen Daten wird in Indien jede Viertelstunde ein neuer Vergewaltigungsfall gemeldet. Die tatsächliche Zahl dürfte dabei deutlich höher sein, wie Frauenrechtlerinnen immer wieder betonen. Aber das Stigma ist so groß, dass viele Opfer lieber schweigen.

Demonstrantinnen halten Schilder mit Aufschriften über Geschlechtergerechtigkeit hoch.

"Ich lebe in einem Land, in dem ein Mädchen weder im Mutterleib noch außerhalb sicher ist", steht auf diesem Plakat.

Ein Grund dürfte die Gesellschaft sein. Jedes Jahr werden Tausende weibliche Föten abgetrieben, Mädchen besuchen Schulen seltener als Buben, und Töchter sind für Familien oft eine finanzielle Belastung - häufig müssen sie bei ihrer Heirat eine hohe Mitgift zahlen, obwohl dies inzwischen offiziell verboten ist.

Premierminister Narendra Modi griff den Fall in seiner Rede am Unabhängigkeitstag indirekt auf. "Die breite Masse ist wütend", sagte der 73-Jährige. "Unser Land, unsere Gesellschaft und unsere Regionalregierungen müssen das ernst nehmen. Verbrechen gegen Frauen sollten mit einer größeren Dringlichkeit untersucht werden." Doch die Werte einer Gesellschaft ändern sich nur langsam.

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