Tochter des "Teufels von Avignon": "Glaube, er hat auch mich vergewaltigt"

Zusammenfassung
- Caroline Darian, Tochter des verurteilten Sexualstraftäters Dominique Pelicot, glaubt, dass ihr Vater auch sie vergewaltigt hat, obwohl es keine Beweise gibt.
- Darian hat ein Buch geschrieben, das am 16. Januar in deutscher Sprache erscheint, und eine Sensibilisierungskampagne sowie eine Stiftung ins Leben gerufen, um Opfern von Vergewaltigung zu helfen.
- Ihre Mutter Gisèle Pelicot, die ihren Ehemann erfolgreich vor Gericht brachte, ist ihr Vorbild und eine große Kraftquelle in der schweren Zeit.
Es war einer der aufsehenerregendsten und erschreckendsten Prozesse in der Geschichte Frankreichs: Gisèle Pelicot klagte ihren Ehemann Dominique an, sie über viele Jahre hinweg unter Drogen gesetzt und – auch gemeinsam mit 50 weiteren Männern – vergewaltigt zu haben. Neben den Videos der Vergewaltigung wurden auf seinem PC Fotos seiner (wahrscheinlich) bewusstlosen Tochter in Unterwäsche gefunden.
Pelicot trat ihren Peinigern vor Gericht – der Prozess dauerte dreieinhalb Monate – mutig gegenüber. Sie gewann: Ihr Ehemann, der von den Medien als "Teufel von Avignon" tituliert wurde, wurde zu 20 Jahren Gefängnis verurteilt. Auch die Mittäter wurden schuldig gesprochen.
Nun meldete sich Pelicots Tochter Caroline Darian öffentlich zu Wort. Die 46-Jährige gab dem Sender BBC ein emotionales Interview.
"Es war wie ein Erdbeben"
Das erste Mal erfuhr Darian von den Taten ihres Vaters, als sie ihre Mutter am 2. November 2020, es war ein Montag, kurz vor halb neun anrief. Sie verfiel in Schockstarre, schildert sie. "In diesem Moment verlor ich alles, was ein normales Leben war. Es war wie ein Erdbeben. Ein Tsunami." Zu wissen, dass der eigene Vater zu solchen Verbrechen fähig ist und die Mutter sein Opfer war, sei eine "furchtbare Belastung" gewesen. Nach dem ersten Schock reagierte sie mit Wut und wüsten Beschimpfungen auf ihren Vater.
Während des monatelangen Prozesses stand Darian ihrer Mutter zur Seite, genauso wie ihre Brüder Florian und David. Weltweit wurden die Taten ihres Vaters als "Fall Pelicot" bekannt, sie selbst beschreibt sowohl das Vorgefallene als auch den Prozess als "Gemetzel". Ihre Brüder nennen Dominique Pelicot "den Teufel selbst".
"Er sollte im Gefängnis sterben"
Darian weigert sich, ihren Vater jemals wieder als solchen zu bezeichnen. Vielmehr sieht sie in ihn "den Verbrecher, den Sexualverbrecher, der er ist."
Mitleid oder Mitgefühl empfindet sie ihm gegenüber nach der Verkündung der lebenslangen Haftstrafe nicht: "Mein Vater sollte im Gefängnis sterben", findet Darian klare Worte im Interview. "Er ist "einer der schlimmsten Sexualstraftäter der letzten 20 oder 30 Jahre.“ Dass ihr Vater in vollem Bewusstsein handelte, mache das Geschehene noch schlimmer. "Er ist ein gefährlicher Mann."
"Ich habe keine Beweise"
Auch zu den Fotos von ihr in Unterwäsche (sediert?) auf dem Bett liegend, die auf dem Handy ihres Vaters gefunden wurden, äußerte sie sich im Interview mit der BBC. Ihre erste Reaktion: Sie tat sich schwer, sich selbst auf den Bildern zu erkennen. Erst nachdem sie ein Polizeibeamter auf ein Muttermal auf ihrer Wange hingewiesen hatte, das auch ihre Mutter habe, musste sie anerkennen, dass auch sie selbst Opfer ihres Vaters gewesen war. "Ich lag auf meiner linken Seite, wie meine Mutter auf all den Bildern."
Trotz fehlender Beweise, dass Dominique Pelicot auch sie vergewaltigt habe, ist Darian überzeugt davon. "Ich weiß, dass er mir Drogen gegeben hat, wahrscheinlich zum Zweck des sexuellen Missbrauchs. Aber ich habe keine Beweise." Das sei zermürbend, sagte sie im Gespräch. Ihr Vater habe zwar vor Gericht betont, seine Tochter nie angerührt zu haben, doch das glaube sie ihm nicht. Sie glaube ihm gar nichts mehr, immerhin habe er bereits viele verschiedene Versionen des Gewesenen erzählt – und Darian ist überzeugt, Pelicot habe vor Gericht nur das zugegeben, wofür man stichfeste Beweise hatte.
Ihre Mutter sei in dieser schwierigen Zeit ihr Vorbild, sie sei, genauso wie ihre Brüder, ihr Ehemann und ihr Sohn, eine große Kraftquelle. Natürlich erkundigte sich die BBC auch über den derzeitigen Zustand von Gisèle Pelicot. Trotz Erschöpfung gehe es ihr "gut" und sie würde sich erholen, so Darian.
Buch erscheint am 16. Jänner
Um das erlebte Trauma aufzuarbeiten, hat Caroline Darian ein Buch geschrieben, das in Frankreich bereits 2022 erschien, in deutscher Sprache aber erst am 16. Jänner erscheint. Der Titel: "Und ich werde dich nie wieder Papa nennen." Darin arbeitet Darian das Erlebte auf und schreckt auch nicht davor zurück, ins Detail zu gehen. Im Buch erzählt sie ebenso davon, dass sie alle Fotos aus dem "alten Leben" vernichtet habe, nur vier Bilder seien ihr geblieben.
Der heilende Umgang mit dem Unbeschreiblichen geht aber über das Verfassen eines Buches hinaus: Caroline Darian hat nicht nur die Sensibilisierungskampagne #MendorsPas ("Betäubemichnicht") ins Leben gerufen, in der sie über Vergewaltigung mittels Betäubung aufklärt, sondern auch eine Stiftung zu diesem Thema gegründet. Nach dem Vorbild ihrer Mutter möchte sie helfen, Opfern eine Stimme zu geben und sich zu wehren.
"[Den Opfern] wird nicht geglaubt, weil es keine Beweise gibt. Ihnen wird nicht zugehört und sie werden nicht unterstützt", betont die Tochter des "Teufels von Avignon". Sie spricht aus Erfahrung.
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