Sprengerin der Ketten: Der Kampf gegen Kinderehen in den USA
Eine Ehe einzugehen ist im Regelfall eine Entscheidung, die einvernehmlich von Erwachsenen getroffen wird – aus Liebe, weil man ein gemeinsames Leben aufbauen möchte und sich in symbolischer und auch rechtlicher Weise zueinander bekennt. Das Durchschnittsalter für Eheschließungen in Österreich lag 2017 bei Männern um 32,7 und bei Frauen um 30,4 Jahre. Soweit die hierzulande verbreitete, westlich geprägte Idealvorstellung.
Debatte 2017
Dass das nicht in jedem kulturellen oder religiösen Kontext das Standardprozedere ist, zeigte 2017 die emotionale Debatte um Kinderehen im Zuge der Flüchtlingsbewegung. Diskutiert wurde über rechtswidrige Eheschließungen von zumeist minderjährigen Mädchen und volljährigen Männern im Ausland und deren rechtliche Illegitimität, vor allem in Deutschland und Österreich. Heruntergebrochen geht es um einen abweichenden kulturellen Hintergrund, oft mit einem starken religiösen Einfluss, der diesen Kinderehen zugrunde liegt. Dabei finden Zwangsverheiratungen Minderjähriger auch mitten in der westlichen Kultur statt und werden sogar durch den Gesetzgeber legitimiert – in den USA.
Kein Mindestalter für Ehen
Nach Recherchen der Bewegung „Unchained At Last“ wurden alleine in den Jahren 2000 bis 2010 176.000 Ehen mit Minderjährigen in 38 amerikanischen Bundesstaaten geschlossen. Von den übrigen zwölf gibt es keine zugänglichen Aufzeichnungen, rechnet man die Zahlen jedoch hoch, kommt man fast auf eine Viertelmillion Ehen. Das kommt einer „staatlich sanktionierte Vergewaltigung Minderjähriger“ gleich, sagt Fraidy Reiss, ihres Zeichens Gründerin der Bewegung, die sich für das Verbot von Kinderehen in den USA einsetzt. Grund für die rechtliche Legitimation ist ein dehnbares oder gänzlich fehlendes Mindestalter zur Eheschließung: Stimmt ein Elternteil oder der Vormund zu, ist in Massachusetts eine Ehe schon ab 12 möglich, in anderen Staaten „erst“ ab 14 und in 23 Staaten gibt es überhaupt kein Mindestalter – Kinder sind also nicht geschützt. Viele Amerikaner wissen das nicht.
Hochzeit, aber keine Scheidung
Tammy Monteiro, 36, aus New Bedford in Massachusetts, flüchtete vor einem Jahr aus einer 20-jährigen Ehe, in der sie geistigen, emotionalen und finanziellen Missbrauch erlebt hatte. Sie beschreibt ihren acht Jahre älteren Ehemann als Mitglied einer extremistischen christlich-religiösen Gruppe. Als Tammy 15 war, entschied er, sie heiraten zu wollen und ließ sich von der damals wohl instabilen Mutter das Sorgerecht übertragen. Die nächsten zwanzig Jahre ihres Lebens verbrachte Tammy dann mit der Aufzucht ihrer acht Söhne. Der Ehe widersprechen oder sich scheiden lassen konnte sie damals nicht – schließlich war sie minderjährig. Minderjährige können weder eine Scheidung noch eine Nichtigerklärung beantragen, eine Anordnung zur Verhinderung von Missbrauch einholen, eine Wohnung mieten oder ein Girokonto eröffnen. Aber sie können heiraten.
Kampf um das Gesetz
Und nun stehen sie da – die Überlebenden dieser Gesetzeslücke: In Brautkleidern, mit Ketten an den Handgelenken und einem roten Stoppschild ("Stop child marriage in the US") um den Hals. Die Ketten an den Händen, die gelte es zu sprengen. Nicht alle Frauen haben welche, Tammy zum Beispiel möchte kein "Leben als Opfer" leben.
Im State House Massachusetts warteten sie am Mittwoch auf ihr Treffen mit Gouverneur Charlie Baker, der ihr Gesetz nun unterstützen möchte. Frauen, die Jahre ihres Lebens in ungewollten Ehen fristen mussten, weil sie als Kinder oder Jugendliche von ihren Eltern mit älteren Männern verheiratet wurden und keinen legalen Weg hatten, sich daraus zu befreien.
Es ist nicht das erste Mal, dass Fraidy Reiss und ihre Verbündeten versuchen, ein Verbot in einem der 50 Staaten auf den Weg zu bringen. Doch jedes Mal wurde ein entsprechender Entwurf abgeschmettert. Grund dafür sei laut Reiss eine veraltete Einstellung vieler Politiker gegenüber Teenager-Schwangerschaften. Sie würden eine Heirat als "einzige Wahl" für ungewollt schwangere junge Mädchen betrachten, auch wenn das bedeute, dass sie beispielsweise ihren Vergewaltiger ehelichen müssen. Druck kommt in solchen Situationen oft aus dem unmittelbaren familiären Umfeld, wird aber eben nicht durch das Gesetz reguliert. Die Minderjährigen, zumeist Mädchen, sind damit ihrem direkten Willen ausgeliefert.
Wie ist das eigentlich in Österreich?
Nach der erwähnten Debatte um Kinderehen in Europa wurden in Deutschland entsprechende Zahlen veröffentlicht, die das Problem abbilden und greifbar machen. Denn um verheiratete Kinder zu schützen, muss man wissen, dass sie existieren. In Österreich ist es allerdings bis heute nicht zu einer Erhebung gekommen, obwohl ein entsprechender Antrag beim Parlament bereits im Juni 2017 eingebracht worden ist. Beratungen fanden nicht statt, da "entsprechende Statistiken nicht geführt" werden, hieß es 2016 aus dem Innenministerium.
Dabei ist es auch hier möglich, bereits mit 16 die Ehe einzugehen, wenn das "verheiratete, minderjährige Kind" als reif erscheint und der Partner volljährig ist. Dazu muss nur eine Ehemündigkeitserklärung beim Gericht beantragt werden.
Kinderehen sind in westlichen Gefilden ebenfalls ein Problem, dem nur schwer beizukommen ist. "Es geschieht in jeder Kultur, jeder Religion und jeder Community", sagt Reiss. Die Organisation betreue Opfer aus allen grossen Religionen, seien es Christen, Juden oder Muslime. Die gesetzliche Lage ist im Gegensatz zur religiösen jedoch etwas, das betroffene Frauen (und Männer) vor einer aussichtslosen Situation und möglichem Missbrauch schützen oder sie gegebenenfalls daraus befreien kann. Die Staaten Delaware und New Jersey haben die Ehe unter 18 nun bereits verboten. Ob Massachusetts' Gouverneur den Forderungen nach einem entsprechenden Verbot beikommt, bleibt abzuwarten. Fraidy Reiss jedenfalls hat schon angekündet "wahrscheinlich den Rest ihres Lebens" darum zu kämpfen.
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