Wie Sea Shepherd im Mittelmeer Oktopusse aus illegalen Fallen rettet

Ein Fischer hält einen Oktopus, der aus einem Topf kriecht.
Tausende Oktopusse werden illegal gefangen. Wie die Meeresschutzorganisation Sea Shepherd auf dem Schiff versucht, das im Mittelmeer zu verhindern.

Alle Augen sind auf die Wasseroberfläche gerichtet. Langsam ziehen die Freiwilligen die braun-schwarze Falle aus dem tiefblauen Meer. „Octopus jumping?“, schreit einer von ihnen. Springt das Tier? Kann es sich selbst befreien?

„Jumping!“, sagt Georgiana, lächelt und macht ein Stricherl auf ihrer Liste. Der Oktopus platscht ins Wasser. Er ist aus einem der vielen illegalen Fanggeräte entkommen. Das wird an diesem Tag noch einige Male passieren.

Eine Boje hängt an einem Seil im blauen Wasser.

Oktopus in der Falle

Springt er, oder springt er nicht?

Eine Frau mit Schwimmweste macht sich Notizen auf einem Schiff auf dem offenen Meer.

Dokumenation

Georgiana führt an diesem Tag die Liste an Bord.

Eine Hand in einem blauen Handschuh hält einen roten Seestern und Meerespflanzen.

Andere Tiere

Es gehen auch andere Tiere in die Falle. Auch sie werden befreit (und dokumentiert).

Fischer legen die Fallen vor der Küste Italiens aus. Es sind derer Hunderte, die hier gar nicht sein dürften – ein weitläufiges Netzwerk illegaler Fischerei

Sea Shepherd patrouilliert auf dem Mittelmeer

Die Crew der M/Y Sea Eagle holt die Fallen  aus dem Wasser. Das umgebaute Lotsenschiff gehört der Meeresschutzorganisation Sea Shepherd. Georgiana aus Rumänien ist eine der Freiwilligen an Bord. Sie wird seekrank, trotzdem hält sie durch. Sie will wie die anderen den illegalen Fischern und ihren Tricks das Handwerk legen.

Das Schiff schaukelt auf den Wellen, hin und her, ein Meter auf und ein Meter ab, die Sonne knallt aufs Deck. Die Seilwinde dreht sich. Der Schlamm spritzt von den glitschigen Seilen. Diese sind bis zu zwei Kilometer lang.

Das Schiff „Sea Eagle“ auf dem offenen Meer mit einer Gruppe von Menschen an Bord.

Fallen werden aus dem Wasser geholt

An ihnen sind in einem Abstand von acht Metern schwarze Plastikgefäße befestigt, die im schlammigen Untergrund gelegen sind, gut getarnt. Sie sind wie gemacht für die Kraken, quasi schlüsselfertige Häuser. 

Die Kraken quartieren sich in den Fallen ein

Die Fischer müssen sie nur noch ernten. Sie landen in den Restaurants und auf den Märkten.

Ein Oktopus versteckt sich in einem Rohr.

Der Tintenfisch in der Falle

Und?, könnte man fragen. Andrea Morello, der Präsident von Sea Shepherd Italien, ist überzeugt, dass diese Art von Fischerei, die Wilderei, die Tintenfisch-Population gefährden kann. So ein Ökosystem ist fragil. „Die Oktopusse sind die Hauptnahrungsquelle der Mönchsrobben“, sagt Vince, während im Hintergrund der Schiffsmotor dröhnt. Die Robben sollen in italienischen Gewässern wieder angesiedelt werden. Der Nahrungsmangel aber könnte es den Säugern schwer machen.

Seit neun Jahren fährt Vince mit Sea Shepherd über die Meere. 

Der Bootsmann Vince ist eine Legende bei Sea Shepherd

Er war auch schon vor Afrika unterwegs. Wochenlang betritt die Crew bei solchen Missionen das Land nicht. In Italien sind es immerhin Tage.

Vince schaut in jede Falle, bevor sie an Deck verstaut wird. Denn nicht alle Kraken springen. Manche müssen aus den Fallen geholt und wieder ins Meer zurückgebracht werden. Dann sollte es schnell gehen. Vince deckt die Öffnung der Falle mit der Hand zu, damit die Tiere nicht aufs Deck fallen, um sie dann vorsichtig zu entlassen.

Free Oktopus.

Mitglieder der Sea Shepherd Crew beobachten das Meer von einem Schiff aus.

Die Crew hält Ausschau

Wo sind die Fallen? Sind sie legal oder illegal?

Eine Gruppe von Personen auf einem Schiff hantiert mit einer schwarzen Flagge.

Illegale Fallen kommen an Bord

Schwere Arbeit auf dem Schiff.

Ein Oktopus kriecht aus einem schlammbedeckten Topf, der von einer Hand gehalten wird.

Rettung

Aus den schlammigen Fallen

Auf einem Schiff liegen Netze, Seile, Bojen und Säcke.

Sichergestellt

Die Fallen werden gelagert und an Land recycelt

In Italien werden laut Sea Shepherd jedes Jahr fast 3.000 Tonnen Tintenfische gefangen, was Hunderttausenden Tieren pro Jahr entspricht. Legal. Illegale und private Fischerei sind nicht eingerechnet. Das Problem: „Niemand weiß, wie viele Oktopusse es eigentlich gibt“, sagt Morello. Er steht auf der Brücke der Sea Eagle, während zwei Crewmitglieder nach Bojen Ausschau halten, an denen die Fallen befestigt sind. Sie blicken konzentriert durch die Ferngläser. 

Die Bojen sind mit Fahnen gekennzeichnet. „Backbord voraus“, hört man auf Englisch, „da ist eine.“ Kapitän Stan nimmt Kurs auf die schwarze Fahne. Mit einem Joystick lenkt er das große Schiff bis auf wenige Meter heran. Es ist heikel. Die Leinen können sich unter der Sea Eagle verfangen.

Und was jetzt? Sind die Fallen legal im Wasser? Es gibt eine Fangquote.

Oder illegal? Jede Boje sollte mit einer Nummer gekennzeichnet sein. Sollte. Manche haben zwar ein „Kennzeichen“, sind aber trotzdem gesetzeswidrig. Denn die Nummer kann gefälscht sein. Jede Boje wird fotografiert, ihre Koordinaten werden festgehalten.

Illegale Bojen zu finden, ist eine investigative Arbeit

So entsteht eine Karte, wo überall Fallen gelegt sind. „Das ist investigative Arbeit“, sagt Morello. Er arbeitet genau. Alles muss für die Behörden nachvollziehbar sein. Nach wenigen Stunden sind es viele Punkte, die in der Karte dieses Küstenabschnitts eingezeichnet sind.

Und es geht weiter. Doch eine der Leinen verfängt sich unter dem Schiff. Kein Vor und kein Zurück mit dem Motor hilft. Wer ist eine gute Schwimmerin? Clotilde, dritte Ingenieurin an Bord, tauscht den heißen Maschinenraum gegen das kühlere Meer. Sie springt ins Wasser und befreit die Sea Eagle. Ohne mit der Wimper zu zucken.

Die Uhr auf der Brücke zeigt 12. Der Teil der Mannschaft, der nicht beschäftigt ist, geht essen. Elodie aus Frankreich hat gekocht. Vegan, denn tierische Produkte haben an Bord nichts verloren – auch die Schuhe sollten nicht aus Leder sein. Dreimal täglich gibt es frisches Essen. Was, das kann jeder auf der Tafel in der Messe lesen. Quiche kommt heute auf die Teller. Für alle, die seekrank sind, gibt es Nudeln (ohne Soße).

Andrea Morello nimmt Kontakt zur Küstenwache auf. 

Deren Boot einige Meter von der Sea Eagle entfernt im Wasser liegt. Sea Shepherd arbeitet eng mit ihr zusammen. Die Beamten stellen fest, ob die Nummern auf den Bojen korrekt sind, oder ob die Fallen aus dem Verkehr gezogen und an Bord geholt werden dürfen. Sie dürfen. Am nächsten Tag beginnt die Crew mit der schweren Arbeit.

Es ist 18 Uhr. Das Abendessen – ein Melonensalat – steht bereit. Und dann bleibt Zeit, an Deck den Sonnenuntergang zu genießen. „Beach“ nennen die Langgedienten eine Fläche unter der Brücke.

Eine Gruppe von Menschen sitzt auf dem Bug eines Schiffes bei Sonnenuntergang.

Sonnendeck auf einem Lotsenschiff.

Es könnte nicht kitschiger sein: Delfine springen. „Das ist die Belohnung“, sagt die Krankenschwester an Bord. Seekranke sind derzeit keine zu versorgen. Es wird dunkel. Um 21 Uhr ist es ruhig an Bord. Nur die Nachtwache passt auf.

Schon in den vergangenen Jahren zogen die Sea Shepherds Fallen aus dem Wasser. 7.600 waren es 2022 vor der Toskana. Sie wurden der Guardia di Finanza übergeben. „Wenn man bedenkt, dass ein Tintenfisch in einer Falle 1.200 Eier legt, kann man sich vorstellen, wie viele Tiere es jetzt mehr gibt, wenn Hunderte von Fallen entfernt werden“, erklärte Morello schon damals. Man sehe die Wirkung. Apropos Wirkung: Zeigt Sea Shepherd Präsenz, kommen keine illegalen Fischer.

Morello ist nur wenige Tage an Bord der Sea Eagle. Er sitzt schon wieder im Zug, unterwegs zu einer anderen Mission an Italiens Küsten. Der Waggon ist voll, viele der Reisenden sind Touristen, mit Sack und Pack unterwegs. Immer wieder fällt ein Koffer um. Er seufzt und sagt: „Und sie alle essen Fisch.“

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